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Wahlkampf: Fremde Stimmen

SPD und Union werben im Wahlkampf massiv um Einwanderer – möglichst unbemerkt von den Stammwählern.

Berlin - So muss sich ein Popstar fühlen: Franz Müntefering wird umringt von sechs jungen Türkinnen, die geschminkt und aufgeregt für die Kameras posieren. Die Damen haben fast eine Stunde in der Kreuzberger Oranientraße auf den Parteivorsitzenden der SPD gewartet. Müntefering ist am Mittwoch ins Berliner Migrantenviertel gekommen, um in einem orientalischen Spezialitätenladen den Sorgen von türkischen Geschäftsleuten zu lauschen. Bei Tee, Nüssen und Süßigkeiten durchläuft er mit ihnen das ABC der Integrationspolitik: Arbeit, Bildung, Chancengleichheit. Seine Botschaft: Die SPD versteht die Sorgen der Migranten.

Der Termin in Kreuzberg ist nur einer von vielen, mit denen der Parteichef und seine Mitstreiter die bislang eher vernachlässigte Wählergruppe umwerben. Rund 700 000 türkischstämmige Wähler gibt es in Deutschland, die Zahl der Deutschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund wächst. Im Superwahljahr 2009 haben SPD und Union dieses Wählerpotenzial offenbar erkannt. An die große Glocke hängen wollen die Volksparteien ihr Werben um Migranten allerdings nicht.

Die Anbahnungstermine werden in der deutschen Öffentlichkeit nicht weiter betont. Zur Veranstaltung „Wir sind Deutschland“ etwa, zu der im August eine SPD-Arbeitsgruppe mit dem Namen „Neue Inländer“ ins Willy-Brandt-Haus lud, waren ausschließlich Vertreter von Migrantenverbänden eingeladen. Dabei sprach Andrea Nahles hier zum ersten Mal als potenzielle Integrationsministerin im Schattenkabinett von Frank-Walter Steinmeier. Intern ist von „Zielgruppenkommunikation“ die Rede. Der Grund ist naheliegend: Nicht jeder Genosse ist für einen EU-Beitritt der Türkei, für eine doppelte Staatsbürgerschaft bei Migranten und niedrigere Hürden in der Zuwanderungspolitik. Das Werben um Migranten kann Stammwähler abschrecken, heißt es unisono bei SPD und CDU/CSU, hinter vorgehaltener Hand.

Dabei kann vor allem die SPD hier gewinnen: Laut einer Untersuchung des Instituts Data 4U will mehr als die Hälfte der befragten Deutschtürken die Sozialdemokraten wählen – die CDU nur knapp jeder zehnte. Wohl auch deshalb posierte die Kanzlerin beim Fraktionssommerfest mit einem Döner in der Hand für türkische Fotografen und schickt ihre Staatsministerin für Integration Maria Böhmer auf Kuscheltour ins Migrantenmilieu. Auch Hardliner wie den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch und CSU-Kollegen kann man derzeit beim Fastenbrechen mit Muslimen beobachten.

„Im Umgang mit Migranten haben wir noch Nachholbedarf“, sagte Generalsekretär Ronald Pofalla am Dienstag in Berlin bei der ersten Konferenz von CDU-Mandatsträgern mit ausländischen Wurzeln. Pofalla lud die Migranten ein, der Partei dennoch beizutreten: „Wir alle, und darauf lege ich Wert, sind Union.“

Die SPD ist ebenfalls fleißig unterwegs: Müntefering persönlich besucht zahlreiche Veranstaltungen von türkischen Organisationen und hielt kürzlich auf der Geburtstagsfeier von Kenan Kolat eine Lobrede auf den „großen Unterstützer“, den Vorsitzenden der „Türkische Gemeinde in Deutschland“.

„Es wäre besser, wenn die Parteien ihre Öffnung stärker in der deutschen Öffentlichkeit darstellen würden“, moniert Bülent Arslan, Gründer der Deutsch-Türkischen Plattform in der CDU. „Trotzdem muss eine Partei immer abwägen, ob sie mit ihren Schritten mehr Wähler gewinnt oder verliert.“

Ferda Ataman

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