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Update

Gazastreifen: Palästinenser werfen Israel Bruch der Feuerpause vor

Laut palästinensischen Angaben wurde die von Israel einseitig verkündete Waffenruhe kurz nach Beginn von Israel selbst gebrochen. Die Hamas feuert indes weiter auf israelisches Gebiet. Eine Beruhigung der Lage ist nicht in Sicht.

In weiten Teilen des Gazastreifens hat am Montag eine sieben Stunden lange humanitäre Waffenruhe begonnen, die laut palästinensischen Angaben aber kurz nach Beginn gebrochen wurde. Israelische Streitkräfte hätten beim Beschuss des Schati-Flüchtlingslagers ein achtjähriges Mädchen getötet, teilte ein Sprecher des palästinensischen Gesundheitsministeriums mit. Auch das Lager Nuseirat sei beschossen worden. Eine israelische Militärsprecherin teilte mit, man prüfe die Berichte. Eine von Israel einseitig erklärte siebenstündige Feuerpause war um 09.00 Uhr MESZ in Kraft getreten. Sie sollte es humanitären Helfern ermöglichen, Leichen und Verletzte zu bergen. Außerdem sollten Hilfslieferungen in das blockierte Palästinensergebiet gebracht werden.

Die Waffenruhe war ursprünglich bis 17.00 Uhr (Ortszeit/16.00 Uhr MESZ) angesetzt. Ausgenommen war nach Medienberichten eine Region im Bereich Rafah im südlichen Gazastreifen, wo es noch Kämpfe gab. Der israelische Generalmajor Joav Mordechai warnte, jeder Verstoß gegen die Waffenruhe werde sofort Konsequenzen nach sich ziehen.

Teil der Bodentruppe wurde hinter Grenzlinie zurückgezogen

Zuvor war am Sonntagabend die israelische Bodenoffensive im Gazastreifen eingestellt worden. Ein Teil der Bodentruppen wurde hinter die Grenzlinie zurückgezogen, doch bleibt die israelische Armee in großer Stärke in einer Sicherheitszone weiterhin im Gazastreifen stationiert. Auch die Luftangriffe werden fortgeführt. Die Umgruppierung der Bodentruppen war von der israelischen Regierungsspitze und dem Sicherheitskabinett bereits Mitte letzter Woche beschlossen worden und wurde am Samstag und Sonntag unabhängig von den dramatischen Entwicklungen des Kampfgeschehens umgesetzt.

Die Armee nahm eine Frontbereinigung vor und richtete so eine mehrere hundert Meter, mancherorts gar bis zu zwei Kilometer breite Sicherheitszone westlich der Grenze, also auf palästinensischem Gebiet ein. Früher waren aus diesen Feldern und Plantagen die Kassam-Geschosse auf die umliegenden israelischen Ortschaften abgefeuert worden. Die nun dort stationierten Truppen unternehmen grundsätzlich keine Offensivaktionen mehr, wohl aber stehen schnelle Eingreifkommandos bereit, falls dies die Lage erfordert.

31 "Angriffstunnel" zerstört

Wenige Gegenstände konnte dieser Mann aus seinem völlig zerstörten Haus im mittleren Gazastreifen retten.
Wenige Gegenstände konnte dieser Mann aus seinem völlig zerstörten Haus im mittleren Gazastreifen retten.

© dpa

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, die wesentlichen Kriegsziele seien weitgehend erreicht worden – insbesondere die Zerstörung der 31 aufgespürten, bis auf israelisches Gebiet reichenden „Angrifftunnel“ der Hamas. Zudem sollen Konfrontationen mit dem Feind reduziert werden, also Reibungsflächen zumindest verkleinert werden. Aber die Luftwaffe und auch die Artillerie und Marine führten ihre Bombardierungen und Beschießungen weiter, wobei am Sonntag erneut eine UN-Schule, diesmal in Rafah am Südende des Gazastreifens, getroffen wurde, in die sich Flüchtlinge in vermeintliche Sicherheit gebracht hatten. Dabei wurden nach palästinensischen Angaben mindestens zehn Personen getötet.

Hamas schießt weiter

Die Hamas setzte ihre Attacken mit Raketen, Kassam-Geschossen und Mörsergranaten beinahe ungebremst fort. Ihre Sprecher im Ausland verkündeten die Fortsetzung der Kämpfe bis zum vollkommenen Abzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen und der Aufhebung der Blockade. Die Hamas-Führung in Gaza selbst hatte erneut um eine Feuerpause gebeten und strebt einen Waffenstillstand an. In Kairo trafen die Mitglieder der palästinensischen Verhandlungsdelegation ein. Die Repräsentanten der Hamas, des „Islamischen Dschihad“ und Präsident Mahmud Abbas’ Fatah begannen mit ihren internen Diskussionen.

Benjamin Netanjahu.
Benjamin Netanjahu.

© AFP

Netanjahu eröffnet mit seinen Beschlüssen eine neue Front – gegen die Nationalisten in der eigenen Partei, der Regierung und der breiten Öffentlichkeit. Sie streben nach wie vor eine militärische Vernichtung der Hamas und ihrer Herrschaft an, was einer Eroberung des Gazastreifens gleichkäme. Bereits am Sonntag meldeten sich Politiker der verbündeten Partei „Israel Unser Haus“ und auch aus Netanjahus Likud mit heftigen Attacken zu Wort. Verlangt wird unter anderem die Einsetzung einer staatlichen Untersuchungskommission wie zuletzt nach dem zweiten Libanonkrieg. Käme es dazu, so müsste Netanjahu seine Absetzung befürchten, die nun ohnehin von den Gegnern in seiner Partei betrieben wird.

Vermisster Soldat nicht entführt sondern bei Kämpfen getötet

Der seit Tagen im Gazastreifen vermisste israelische Soldat Hadar Goldin wurde unterdessen für tot erklärt. Wie die israelische Armee in der Nacht zum Sonntag mitteilte, wurde der vermisste Leutnant am Freitag bei Kämpfen in Rafah am Südrand des Palästinensergebiets wie zwei andere Soldaten durch einen Selbstmordattentäter getötet. Dies hätten forensische Untersuchungen und weitere Ermittlungen ergeben. Israel war zunächst von einer Entführung des 23-Jährigen durch Kämpfer der Hamas ausgegangen. Der neue Befund stützt sich auf die Untersuchungsergebnisse einer Spezialkommission unter der Leitung des Chefrabbiners der Streitkräfte.

Nach der vermuteten Verschleppung des Soldaten oder seines Leichnams hatte Israel die Bombardements im Raum Rafah verstärkt. In der Stadt an der ägyptischen Grenze geriet am Sonntag eine UN-Schule unter Beschuss, wobei zunächst ungeklärt blieb, woher das Feuer kam.

Dritte UN-Schule unter Beschuss

Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) bestätigte, ersten Berichten zufolge seien nahe der Schule mit 3000 Schutzsuchenden Geschosse eingeschlagen. Bei dem Bombardement habe es offenbar "zahlreiche Tote und Verletzte" gegeben. Laut UNRWA haben in dem dichtbesiedelten Küstengebiet rund 220.000 Menschen Zuflucht in UN-Schulen gefunden. Dennoch gab es bereits wiederholt tödliche Angriffe auf die Einrichtungen.

Die israelische Armee hat bestätigt, auf ein Ziel nahe einer UN-Schule im Gazastreifen geschossen zu haben. Im Visier seien drei "Terroristen" der radikalen Palästinensergruppe Islamischer Dschihad gewesen, die auf einem Motorrad nahe der Schule unterwegs gewesen seien, erklärte die Armee am Sonntag. Bei dem Beschuss in Rafah an der Grenze zu Ägypten waren zuvor laut palästinensischen Rettungskräften mindestens zehn Menschen getötet und rund 30 weitere verletzt worden.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat den neuerlichen Beschuss einer UN-Schule im Gazastreifen durch die israelische Armee als „weitere schockierende Verletzung des Völkerrechts“ kritisiert. „Es ist eine moralische Schandtat und ein krimineller Akt“, sagte Ban am Sonntag in New York. Das internationale Recht fordere klar den Schutz von Zivilisten, UN-Mitarbeitern und UN-Einrichtungen. „Zufluchtsräume der Vereinten Nationen müssen sichere Zonen, nicht Kampfzonen sein.“ Bei dem Beschuss des mit Flüchtlingen überfüllten Campus der Schule waren zehn Menschen getötet worden. „Die israelische Armee ist mehrfach über den Standort der Schule informiert worden“, erklärte Ban. „Dieser Angriff und andere Verstöße gegen das Völkerrecht müssen rasch aufgeklärt und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden.“ Ban forderte Israel und die radikal-islamische Hamas auf, die Kämpfe umgehend zu beenden. „Dieser Wahnsinn muss aufhören.“

Frank-Walter Steinmeier fordert dauerhafte Lösung

In Kairo traf trotz der verhärteten Fronten am Samstagabend eine palästinensische Delegation ein, die sich im Namen der Autonomiebehörde im Westjordanland für Verhandlungen über eine Waffenruhe bereithalten will. Ob wie ursprünglich angekündigt auch Hamas-Vertreter darunter waren, blieb zunächst unklar. Israel hatte nach dem schnellen Scheitern einer Feuerpause am Freitagmorgen angekündigt, die Regierung werde keine Unterhändler nach Kairo entsenden, da die Hamas sich an Abmachungen nicht halte.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy forderte im Namen aller 28 Mitgliedstaaten einen "sofortigen Stopp" des Blutvergießens. Israel habe ein Recht auf Selbstverteidigung, doch dessen Durchsetzung müsse "angemessen" sein. Auch China forderte Israel auf, seine Gaza-Offensive zu beenden.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte eine dauerhafte Lösung: Der Status Quo des abgeriegelten Küstenstreifens sei "nicht haltbar", schrieb Steinmeier in einem Beitrag für die Zeitung "Welt am Sonntag". Er schlug eine Öffnung der Grenzübergänge "unter internationaler Überwachung" vor, damit der Waffenschmuggel unterbunden werde. Steinmeiers britischer Kollege Philip Hammond nannte die Lage im Gazastreifen "unerträglich".

Mit ungewöhnlich scharfen Worten hat Frankreichs Außenminister Laurent Fabius die israelischen Angriffe im Gazastreifen verurteilt. Das Recht Israels auf Sicherheit "rechtfertigt nicht, dass man Kinder tötet und Zivilisten massakriert", erklärte Fabius am Montag in Paris. Die internationale Gemeinschaft müsse eine politische Lösung des Konflikts durchsetzen, forderte er: "Wie viele Tote braucht es noch, bis das aufhört, was man wohl das Blutbad von Gaza nennen muss?" Zwar habe die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas einen "überwältigenden" Anteil an der gewaltsamen Entwicklung im Nahen Osten, erklärte Fabius. Doch dies rechtfertige nicht das israelische Vorgehen, fügte er mit Blick auf den Angriff auf eine UN-Schule in Rafah mit mindestens zehn Toten hinzu.

Fabius forderte erneut einen "wirklichen Waffenstillstand" und hob hervor, dass die Europäer bereit seien, ihren Teil dazu beizutragen. "Eine politische Lösung ist unerlässlich", unterstrich der Außenminister und verwies darauf, dass die Rahmenbedingungen dafür bekannt seien. Da sich die beiden Konfliktparteien trotz unzähliger Versuche unfähig gezeigt hätten, eine Verhandlungslösung zu finden, sollte die internationale Gemeinschaft eine solche Lösung nun durchsetzen: "Waffenstillstand, Durchsetzung der Zwei-Staaten-Lösung und Sicherheit Israels, es gibt keinen anderen Weg", hob Fabius hervor.

(mit AFP, dpa)

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