zum Hauptinhalt
Fachkräfte gesucht: Zia Sahel, Mitarbeiter aus Afghanistan, Werksleiter Enrico Held, und Zakaria Raffali, Mitarbeiter aus Marokko, besprechen sich in einem Unternehmen in Sachsen.

© dpa/Jan Woitas

Gesetz für Fachkräfteeinwanderung: Die Ampel-Pläne könnten an der frustrierenden Realität scheitern

Die Ampel vollzieht einen Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik, um Fachkräfte anzuwerben. Doch der könnte ausgebremst werden, weil Behörden völlig überlastet sind.

Eben noch tiefste Zerwürfnisse um deutsche Heizungskeller, nun die Chance, einmal wieder Einigkeit zu demonstrieren. Es gibt sie noch, die Themen, bei denen die Ampel sich als Fortschrittskoalition präsentieren kann. An diesem Freitag wird es wieder so weit sein: Der Bundestag beschließt ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz.

Der Tag markiert einen Systemwechsel für ein Land, das traditionell wenig anzufangen wusste mit jenen, die aus der Ferne kommen und hier ihr Glück suchen. Nun will die Regierung Deutschland am liebsten auf Augenhöhe mit Einwanderungsnationen wie Kanada oder Australien bringen. Nach deren Vorbild wirbt künftig auch Deutschland mit einem Punktesystem international um Einwanderungswillige.

Diese Modernität wäre mit CDU/CSU niemals möglich gewesen.

Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion

„Ihr seid uns willkommen“, in diese Worte fasste am Montag Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, die zentrale Botschaft. Gemeinsam mit Irene Mihalic (Grüne) und Johannes Vogel (FDP) stellte sie die endgültige Einigung nach Abschluss des parlamentarischen Verfahrens vor.

Wer noch kein Jobangebot hat, kann sich künftig nach dem Punktesystem um eine sogenannte Chancenkarte bewerben und im Erfolgsfall für ein Jahr in Deutschland auf Arbeitssuche gehen. In dieser Zeit Sozialleistungen zu beziehen, ist ausgeschlossen. Wer nach einem Jahr keinen Job gefunden hat, muss wieder ausreisen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Für weniger Qualifizierte wird die Tür dabei weiter geöffnet als bisher: Für die Vergabe der Chancenkarte zählen auch Kriterien wie Sprachkenntnisse, Deutschlandbezug und das Potenzial eines Ehe- oder Lebenspartners.

Und wer als Fachkraft oder sogar mit akademischem Abschluss kommen möchte und schon ein Jobangebot hat, für den steht der Weg nach Deutschland ohnehin offen.

Zur neuen Willkommenskultur zählt zum Beispiel, dass Fachkräfte künftig nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihre Eltern mitbringen dürfen. „Diese Modernität wäre mit CDU/CSU niemals möglich gewesen“, sagte Mast am Montag mit Beben in der Stimme.

Dabei sind auch die Sozialdemokraten in den vergangenen Jahrzehnten einen weiten Weg gegangen. „Weder aus Frankreich, noch aus England, noch aus Deutschland dürfen sie Einwanderungsländer machen. Das ertragen diese Gesellschaften nicht“, sagte noch 1992 Helmut Schmidt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau.

Mittlerweile aber ist klar: Deutschland ist dringend darauf angewiesen, dass Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland kommen, und zwar in großem Stil. Netto rund 400.000 Zugewanderte pro Jahr werden benötigt, so die gängige Schätzung. Da sind aber auch Menschen eingerechnet, die aus der EU kommen.

Das neue Gesetz soll für rund 130.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus Drittstaaten pro Jahr sorgen. Dass Fachkräfte gebraucht werden, ist auch in der Union Konsens. Und doch ist der Widerstand gegen die Pläne scharf.

Bei der Migration sei die Ampel „außer Rand und Band“, sagt Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Der Koalition falle nichts anderes ein, „als die Anforderungen an Qualifikation zu reduzieren und Asyl- und Arbeitsmigration zu vermischen“. Die Migration der wirklichen Fachkräfte bleibe auf der Strecke.

Und die Union weist auf ein gravierendes Problem hin: Die Einwanderung von Fachkräften scheitert oftmals nicht an gesetzlichen Hürden – sondern vielmehr daran, dass es die Behörden ganz praktisch nicht schaffen, alle Formalitäten abzuwickeln. Das beginnt in den teils völlig überlasteten deutschen Auslandsvertretungen. Das Visumverfahren sei eine „echte Belastung für den Zuwanderungsstandort Deutschland“, hieß es in einer Stellungnahme des Fachjuristen Roman Lehner für den Bundestag im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens.

Frustrierende Realität für ausländische Arbeitskräfte

Und das Problem setzt sich in Deutschland fort. In der Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hieß es, die Realität für ausländische Arbeitskräfte und deren Arbeitgeber seien monatelange Wartezeiten, unbeantwortete Anfragen und morgendliches In-der-Schlange-stehen. Das Problem ist der Koalition sehr wohl bewusst, und es soll auch Abhilfe geschaffen werden. Doch das dauert. Erst einmal wird der gesetzliche Rahmen modernisiert.

Von links nach rechts: Irene Mihalic (Grüne), Katja Mast (SPD) und Johannes Vogel (FDP), die Ersten Parlamentarischen GeschäftsführerInnen ihrer Fraktionen, am Montag im Bundestag.

© imago/Metodi Popow/IMAGO/M. Popow

Dadurch will die Ampel auch ein großes Problem der deutschen Einwanderungsdebatte entschärfen: Künftig soll klarer als bisher getrennt werden zwischen jenen, die zum Arbeiten kommen, und jenen, die vor Verfolgung fliehen. Bislang sind diese Thematiken teils vermischt, auch weil legale Möglichkeiten für Arbeitsmigration fehlen.

Nun soll auch rückwirkend neu sortiert werden. Die Möglichkeit eines sogenannten Spurwechsels steht allen offen, die bis zum Stichtag 29. März 2023 in Deutschland Asyl beantragt haben. Wer nach den Bedingungen des neuen Gesetzes auch zum Arbeiten hätte einreisen können, kann vom Asylsystem ins System der Arbeitsmigration wechseln.

Für ein „völlig falsches Signal“ hält das Andrea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion. „Der Stichtag wird niemanden davon abhalten, sich in der Hoffnung auf ein künftiges Bleiberecht ebenfalls auf den Weg zu machen.“ 

Das will auch die Ampel erklärtermaßen nicht. Die irreguläre Migration müsse verringert, die reguläre aber erhöht werden, sagte FDP-Politiker Vogel am Montag. Ob letzteres gelingt, werden die Zahlen der kommenden Jahre zeigen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false