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Elegant und tragfähig. Der Sessel "Sibirjak" aus Birkenrinde wirkt wie feines Leder.

© Anastasiya Koshcheeva

Möbel aus Birkenrinde: Gewachsen in Sibirien

Traditionell werden russische Souvenirs aus Birkenrinde gemacht. Was herauskommt, wirkt oft kitschig. Schade, fand Anastasiya Koshcheeva – und erfand das Naturmaterial neu.

Als Anastasiya Koshcheeva zum Studium nach Deutschland ging, hatte sie ein Stück Heimat im Gepäck. Die Eltern hatten es ihr mitgegeben: eine Dose aus Birkenrinde mit dem aufgeprägten Namen ihrer sibirischen Heimatstadt Krasnojarsk. Ein typisch russisches Souvenir. Der kitschige Behälter verschwand allerdings schnell in der hintersten Ecke ihres Schrankes in Coburg. Hier studierte die junge Frau Produktdesign, bevor sie zum Masterstudium an die Fachhochschule Potsdam wechselte.

Die gut versteckte Dose war fast vergessen. Eher zufällig hat sie das Ding irgendwann hervorgekramt und staunend festgestellt: Der Inhalt – Kekse und Pinienkerne – war knackfrisch und genießbar geblieben. Kein Wunder, dass man in Russland früher Nahrungsmittel wie Mehl, Zucker, Nudeln oder Hülsenfrüchte in Vorratsdosen aus Birkenrinde aufbewahrte.

Die Designerin. Anastasiya Koshcheeva verbindet altes Handwerk aus Ihrer Heimat mit moderner Gestaltung.
Die Designerin. Anastasiya Koshcheeva verbindet altes Handwerk aus Ihrer Heimat mit moderner Gestaltung.

© promo

„Das Naturmaterial enthält ätherische Öle, die konservierend wirken“, sagt die 29-jährige Russin. Die Rinde taugte auch sonst zu allem Möglichen. Rucksäcke, Taschen, Schuhe, sogar Wigwams wurden daraus gefertigt. Das Material war schließlich in Hülle und Fülle vorhanden, es wuchs bald schneller als man gucken konnte. „15 Prozent der russischen Wälder bestehen aus Birken“, weiß Anastasiya.

In Russland wird Birkenrinde mit Souvenir-Ramsch assoziiert

Für ihre Masterarbeit in Potsdam hat sie noch vieles mehr über den natürlichen Werkstoff recherchiert und begeisterte sich bald für das „tolle Material“. Man müsste es nur anders und moderner verwenden, fand sie. „Bei der traditionellen Verarbeitung hat man die Birkenrinde kaum noch erkannt“, erklärt Anastasiya, und zeigt in ihrer Kreuzberger Hinterhofwerkstatt ein paar recht geschmacklose Beispiele.

Gemeinhin werde in Russland die honigfarbene Rinde verwendet, die sich unter der weiß-grauen Borke verbirgt. Dann wird jedes daraus gefertigte Objekt mit viel Farbe oder mit aufgeklebten Ranken, Blättern und Blümchen aus Holz aufwändig dekoriert. „So was findet man bei uns in jedem Souvenirladen“, erzählt die junge Designerin. Die Rinde als Hauptmaterial könne man nur noch erahnen, und das läge durchaus in der Absicht der Hersteller. „In Russland wird Birkenrinde normalerweise mit etwas Billigem assoziiert und daher lieber versteckt.“

Ein Fehler, fand sie, und tüftelte an neuen, hochwertigen Produkten. Solchen, in denen das fantastisch flexible und wasserresistente Material richtig zur Geltung kommen sollte.

Nachhaltiger kann ein Werkstoff kaum sein

Bei der Lampe "Svetoch" wird durch die wabenartige Struktur das Licht genial gefiltert.
Bei der Lampe "Svetoch" wird durch die wabenartige Struktur das Licht genial gefiltert.

© Crispy Point Agency, Annika Nagel

Das gelang ihr zum Beispiel bei der Lampe „Svetoch“, durch deren erhaben-offene, wabenartige Struktur das Licht genial gefiltert wird. Vor allem als Hängeleuchte punktet sie – und trägt im Wohnzimmer besonders an dunklen Winterabenden viel zu einer gemütlichen Atmosphäre bei. Bei dem Hocker „Taburet“ aus puderfarbigem Metallgestell mag man kaum glauben, dass das Sitzgeflecht aus Birkenrinde ist. Wie feines Leder wirkt es – und ist mindestens so stabil und tragfähig. „120 Kilo hält es aus“, verspricht Anastasiya. Sogar einen Sessel hat die Designerin aus dem Material kreiert. Doch die Produktion dieses Sitzmöbels ist besonders knifflig und macht den Sessel dadurch recht teuer. So bleibt es hier meist bei Einzelanfertigungen.

Anders ist es mit den Vorratsbehältern und Dosen in verschiedenen Größen, die Anastasiya auch in ihrem Programm hat. Natürlich sehen sie ganz anders aus als die traditionellen Vorbilder. Das liegt vor allem daran, dass sie die dem Baum zugewandte helle Rinde der Birke benutzt. Der Prozess, diese in mehreren Schichten vorsichtig abzutragen, sei schon etwas aufwendig, gibt sie zu. Das Resultat wiegt das auf: Wie Samt fühlt sich die helle Oberfläche an. Jedes Stück ist ein Unikat, weil die Rinde mal heller, mal dunkler und immer etwas unterschiedlich gemasert ist. Manchmal setzt sogar ein kleines Stück Borke mittendrin einen besonderen Akzent und die Dose wird zu einem kleinen Kunstwerk. Die frisch haltende Wirkung des Materials ist geblieben, so dass die Dosen – wie früher – praktische Behälter im Küchenregal sind. Die schlichten Deckel aus dunklem Zedernholz passen perfekt.

Filigrane Anmutung, stabiler Sitz. 120 Kilo Gewicht kann dieser Stuhl vertragen.
Filigrane Anmutung, stabiler Sitz. 120 Kilo Gewicht kann dieser Stuhl vertragen.

© Crispy Point Agency, Annika Nagel

Nachhaltiger kann ein Werkstoff kaum sein. Die Rinde wird im Frühjahr gewonnen und durch vertikale Schnitte vorsichtig abgelöst. Der Baum sieht dann vielleicht ein bisschen merkwürdig aus, aber er stirbt nicht. Birken sind offenbar sehr robust. „Die Bäume wachsen sehr schnell“, sagt Anastasiya zufrieden. In Deutschland, so findet sie, würde die Birke eher als Unkraut behandelt, dabei sei sie als sogenannter Pionierbaum so wichtig für den Waldboden. „Wo Birken gestanden haben, kann anderes viel besser wachsen“, sagt die Russin.

Ständig fällt ihr irgendetwas ein

Die junge Unternehmerin lässt die Rinde in Sibirien ernten. In diesem Jahr waren es sage und schreibe sechs Tonnen. Auch das Gros ihrer Möbel und Objekte wird dort produziert. „Es gibt bei uns nicht mehr viele Menschen, die sich auf dieses spezielle Handwerk mit der Birkenrinde verstehen“, erklärt sie. Das Wissen darum werde nicht weitergegeben – und irgendwann verschwinden. Mit ihren schönen schlichten Objekten arbeitet Anastasiya dagegen an. Und trägt auch dazu bei, dass ihre Landsleute mit Tradition Geld verdienen können.

„Vielleicht musste ich Sibirien verlassen, um den Wert dieses Materials zu erkennen“, sinniert sie. Manch andere hat sie schon davon überzeugt. Vor zwei Jahren erst startete die Designerin ihre Produktion, doch der Absatz ist schon erstaunlich hoch. In diesem Jahr will sie 5000 Dosen, 500 Hocker und 300 Leuchten produzieren lassen. Ständig fällt ihr irgendetwas ein, was man noch aus der Rinde fertigen könnte. „Die Ideenliste ist unendlich lang“, sagt sie lächelnd.

Könnte gut sein, dass ihr Produktionsstandort in Mittelrussland bald ausgebaut werden muss. Längst hat sich Anastasiya eingelebt in Berlin und fühlt sich wohl in der Stadt. Nur manchmal vermisst sie die Weite. „Wenn man mit dem Zug durch Deutschland fährt, hält der jede Viertelstunde an“, hat sie festgestellt. In Sibirien fahre die Bahn stundenlang, ohne jeden Stopp. „Da ist buchstäblich nichts“, sagt sie. Außer, hin und wieder, einem Birkenwäldchen.

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