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Heiko Maas ist jetzt ganz Berliner. Nachdem er anfangs nach Saarlouis pendelte, lebt inzwischen auch seine Familie in Potsdam.

© Henscke/Reuters

Heiko Maas: Warum die Vorratsdatenspeicherung jetzt doch kommt

Als Heiko Maas Justizminister wurde, sprach sich der SPD-Politiker klar gegen die Vorratsdatenspeicherung aus. Jetzt hat er sich von Sigmar Gabriel einnorden lassen. Weil er denken und einstecken kann.

Von Anna Sauerbrey

Heiko Maas steht im Mittelpunkt des weiten Raumes, breitbeinig, der Standfestigkeit wegen, professionelle Kameraruhe. Jedes Wackeln würde im Fernsehen aussehen wie Seemannsschwanken. Es ist Mittwoch, der 25. Februar, 11.30 Uhr. Vorfrühlingssonne fällt durch die hohen Fenster im Erdgeschoss des Bundesjustizministeriums. Es ist der schönste Tag seit einer gefühlten Ewigkeit. Und er ist der vorläufige Höhepunkt der Karriere des Heiko Maas.

Als Maas die Mietpreisbremse verkündet, ist er einen Moment lang ganz oben. Aber dann kommt Sigmar Gabriel

In der Nacht hat der Koalitionsausschuss getagt. Die Mietpreisbremse wurde beschlossen. Nach monatelangen Verhandlungen mit dem Koalitionspartner hat er es geschafft: Heiko Maas, der Newcomer aus dem Saarland, Sigmar Gabriels Überraschungsbesetzung im Kabinett Merkel III, hat eines der wichtigsten Wahlversprechen der SPD eingelöst. Schnell eine Spielfeldrandfrage: „Herr Minister, wie fühlen sie sich heute? Als Gewinner?“ „Ja“, sagt Maas. „Aber das hält immer nur einen Tag. Wer weiß, was morgen kommt?“

Der erste Maas: Bei der Landtagswahl 1994 gab Heiko Maas den Rebellen. Gemeinsam mit einigen Kollegen von den Jusos verschaffte sich der heutige Bundesjustizminister Zugang zum Plenarsaal im Saarbrücker Landtag. Auf dem Rednerpult sitzend, mit kaputten Jeans, ließ er sich für sein Wahlkampfplakat ablichten. Damit die Fahne des Saarlands im Hintergrund zu sehen war, mussten die Jusos sie verrückten, dabei riss eine Kordel und das blieb dann so, die ganze Legislaturperiode lang. Die Jusos hatten eigentlich gehofft, der Landtag würde gegen sie vorgehen, sobald das Bild in den Straßen hinge - das Fotoshooting verstieß gegen die Geschäftsordnung. „Aber den Gefallen hat der Landtag uns nicht getan", sagt Stephan Schweitzer, der damals dabei war und heute die Geschäfte der Landesvertretung des Saarlands in Berlin leitet. Bis heute hängt das Bild in der Landesgeschäftsstelle der Saar-SPD (as).

© SPD Saar

Was schließlich kommt, am vergangenen Sonntag, ist Sigmar Gabriel, und zwar im Deutschlandfunk. „Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung“, sagt der SPD-Parteivorsitzende. Heiko Maas und Thomas de Maizière sollten das jetzt verhandeln. Es müsse Schluss sein mit dieser „ideologischen Debatte“. Maas wusste, dass das Interview kommen würde. Eine Ohrfeige ist es dennoch. Denn Maas hatte, kaum angekommen in Berlin, im Januar 2014 forsch erklärt, er werde kein Gesetz vorlegen, das Telefonanbieter verpflichtet, die Kommunikationsdaten ihrer Kunden für die Behörden „auf Vorrat“ zu speichern, jedenfalls nicht, solange ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vorläge. Seitdem gilt Maas vielen als Held, als Vorratsdatenspeicherungsverhinderer – auch, wenn der EuGH inzwischen geurteilt und das Instrument zumindest prinzipiell zugelassen hat.
Die Nachricht ist nun trotzdem: Maas ist gekippt. Am Freitag ist aus seinem Ministerium zu hören, an einem Entwurf für die Vorratsdatenspeicherung werde unter Hochdruck gearbeitet. Man will eine solide Lösung, die auf jeden Fall vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat. Gleichzeitig soll das Thema endlich erledigt werden. Bis zum Sommer, also bis zum SPD-Parteikonvent im Juni, werde man versuchen, etwas vorzulegen. Maas macht also mit. Aber warum eigentlich?

Die Reise geht an die Saar: Hier ist Maas weiter sehr beliebt, hier will er dennoch nicht mehr sein

Eine Reise ins Saarland, ein paar Wochen früher, der Politische Aschermittwoch der Saar-SPD in der Turnhalle von Rehlingen-Siersburg. „Willkommen zu Hause“, dröhnt es aus den Lautsprechern. Standing Ovations vor der Sprossenwand. Spotlight auf den Minister. Die Bodyguards gehen voran zwischen den Biertischen. Maas sieht gut aus. Die Genossen an der Saar bekommen einen Hauch von Hauptstadt zum Hering. In der Saar-SPD ist Maas durchmarschiert. Den Schritt vom Abgeordneten zum Minister schaffte er in nur einer Legislatur, viele Male war er hier Spitzenkandidat, mal als Schwiegersohn, mal als James-Bond-Typ, der Mann ist wandelbar. Am Ende war er in der Großen Koalition auch stellvertretender Ministerpräsident. Hier hat der studierte Jurist auch viel durchgemacht: Den Parteiaustritt seines einstigen Förderers Lafontaine, den „Verrat“ der Grünen an der SPD 2009, als es zur Jamaika-Koalition statt zu Rot-Grün kam. An der Saar ist Maas noch immer ein Star, gut verdrahtet und beliebt, in der SPD und darüber hinaus. Nur passen tut er nicht mehr hierher. Nach seiner Rede (viel Lob für die SPD in Berlin, Kritik am Koalitionspartner ausgespart), wird der Hering serviert. Anke Rehlinger, Maas’ Nachfolgerin im Wirtschaftsministerium Saar, sagt, Maas möge gar keinen Hering. Maas sagt, doch natürlich, und pellt die Kartoffeln mit Messer und Gabel. Eine Hand legt sich auf seine Schulter, es ist ein älterer Herr mit Bieratem. Er ruft Maas über die Musik der Blaskapelle zu, er müsse jetzt endlich mal was gegen TTIP machen. Maas nickt höflich, die Schultern angespannt.

Maas gilt als kühler politischer Analytiker

„Klar kann der Maas auch volksnah“, sagt ein alter Weggefährte. „Aber ist schon gut für ihn, dass er jetzt in Berlin ist.“ Ein anderer alter Freund sagt, „der Heiko“ sei in Berlin gewachsen. „Natürlich nicht an Größe“, fügt er schmunzelnd hinzu. Maas ist nach Berlin gegangen, meinen viele an der Saar, um dort zu bleiben. Nur laut sagen will das lieber keiner – um das Nachfolgegerangel noch ein wenig hinauszuzögern.
Was viele seiner Wegbegleiter bewundern und warum sie ihn vermissen, ist Maas’ analytische Denkweise. Einer imitiert das Geräusch, das Maas’ Gehirn seiner Ansicht nach beim Schalten macht: Rattattattat. Zackzackzackzackzack.
Spätestens als Gabriel ihm klar machte, er würde sich öffentlich zur Vorratsdatenspeicherung äußern, dürfte Maas erkannt haben, dass seine Hinhaltetaktik nicht mehr funktioniert, dass er entweder a) wie seine Vorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sein ganzes politisches Ich oder b) einen Entwurf vorlegt. Er hat sich für b) entschieden. Er braucht Thomas de Maizière für weitere Projekte, für weitere Erfolge. Und ist nicht ein Kompromiss mit dem Vernunftmenschen de Maizière besser als eine Diskussion mit den scharfen Hunden aus Bayern im Koalitionsausschuss? Also schnell weg damit, damit das leidige Thema nicht so lang an ihm klebt, an seiner schönen, neuen Berliner Existenz.

Maas hat sich verliebt in seine Berliner Existenz

Zu Beginn seiner Zeit in der Hauptstadt schlief Maas in einem Zimmer im Ministerium gleich neben seinem Büro und flog am Wochenende nach Saarlouis zu seiner Frau und den beiden Söhnen. Jetzt wohnen sie alle in der Nähe von Potsdam. Corinna Maas, die Lehrerin ist, arbeitet hier an einer Schule.
Renate Künast, Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, sitzt Anfang März in ihrem Büro und versucht eine kritische Bilanz seiner ersten eineinhalb Jahre im Amt. Die Aufgabe ist nicht ganz leicht. Denn im Grunde müsste die Opposition vieles gut finden, was Maas gemacht hat. Künast sagt, ihr gehe einiges nicht weit genug. Anderes zu weit. Die Mietpreisbremse habe zu viele Schlupflöcher. Bei der Verschärfung des Sexualstrafrechts wiederum sei Maas zu weit gegangen. Nach seinen ursprünglichen Vorschlägen hätte schon das Fotografieren von unbekleideten Kindern strafbar sein sollen. Erst nach Monaten massiver Kritik änderte der Justizminister seine Pläne und begrenzte die Verschärfung von Strafen auf die kommerzielle Verbreitung von Kinderpornografie.

Eingelebt aber habe er sich erstaunlich schnell. „Dafür, dass er aus diesem putzigen kleinen Ländle kommt, hat er sich sehr ordentlich hier gemacht.“ Sehr ordentlich – in der Sprache von Renate Künast ist das schon fast eine Goldmedaille. Was er besonders schnell verstanden habe, sei der Umgang mit den Medien: „Tolle Präsenz, alle Achtung.“

Renate Künast sagt: Dafür, dass er aus diesem putzigen kleinen Ländle kommt, hat er sich sehr ordentlich hier gemacht

Was Maas’ Standfestigkeit in Sachen Vorratsdatenspeicherung betrifft, ist Renate Künast an diesem Mittwoch Anfang März noch optimistisch. Um so entgeisterter muss sie in dieser Woche feststellen, dass der Justizminister die Biege macht. Künast fragt sich, wofür Maas bei allen Erfolgen in einzelnen Projekten am Ende einmal stehen wolle. „Ihm fehlt das rechtspolitische Koordinatenkreuz. Was soll der Staat regeln, wo beginnt die Freiheit, selbst zu gestalten?“ Im Vortragssaal des Brandenburgischen Oberlandesgerichts steht Maas neben einer überdimensionierten Zimmerpalme. Die Herren und Damen tragen am Revers die Anstecknadel der Brandenburgischen Juristischen Gesellschaft. Maas spricht über die Aufarbeitung der NS-Herrschaft. „Verantwortung verjährt nicht“, ist sein Vortrag überschrieben.

Beim Bier danach stellt ein älterer Jurist den Bundesjustizminister. „Sie haben Weizsäcker zitiert. Ein Tag der Befreiung. Aber ich frage, wer wird befreit, Täter oder Opfer?“ „Worauf wollen Sie hinaus?“, fragt Maas zurück. Oft wird ihm fehlende Empathie vorgeworfen. Doch er hört gut und geduldig zu. Der ältere Herr erläutert, 1949 sei Deutschland voller Täter gewesen, es müsse also nicht „Befreiung“ heißen, denn nur Opfer würden befreit, sondern „Niederlage“.

Es gibt keine juristische Unabhängigkeit von der Realität

Maas ist amüsiert. Trotz seiner 48 Jahre hat er etwas Jungenhaftes, das ältere Männer zum Schwenken von Zeigefingern animiert. Nun ja, versucht ein dritter Jurist zu vermitteln. Tag der Niederlage, das klänge doch auch merkwürdig. „Tag der glücklichen Niederlage dann eben“, sagt der Zeigefinger. Mit dieser Art der juristischen Begriffsspielerei kann Maas nichts anfangen. Ohne Politik gäbe es kein Recht, sagt er in seinem Vortrag. „Jedes Recht hängt von einer politischen Vorentscheidung ab. Es gibt keine juristische Unabhängigkeit von der Realität.“ Wichtig sei, sich immer wieder an die leitenden Grundsätze des Rechts zu erinnern. Das Recht ist eine Klammer zwischen den Werten des Grundrechts und der Realität. Im besten Fall wird die Vorratsdatenspeicherung das jetzt auch: Eine Klammer zwischen den Werten und den Anforderungen der Realität. Eine Art glückliche Niederlage. Als der ältere Jurist merkt, dass dem Minister das Gespräch nicht schmeckt, versucht er es auf ein anderes Thema zu lenken. „Wir haben hier in Brandenburg übrigens einen Karnevalsumzug“, sagt er. „Ach, ja?“, sagt Maas und lacht. „Ich dachte, das hätte ich hinter mir gelassen.“

Der Text erschien zuerst am 21. März auf der Seite Drei des Tagesspiegels.

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