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In Laboren läuft der Kampf gegen das Coronavirus.

© imago/Hans Lucas

Im Kampf gegen das Coronavirus: Wissenschaftler fordern von der Regierung mehr Mitsprachrecht

„Zu wenig oder kein wissenschaftlicher Diskurs“: Experten schlagen Gründung einer nationalen Kommission vor, um Regierung in der Pandemie zu beraten.

Mehrere Wissenschaftler fordern die Bundesregierung auf, im Kampf gegen das Coronavirus ihre Fach-Expertise mehr in die politische Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. In ihrem Appell fordern die Fachleute, Besprechungen nicht nur mit einzelnen Wissenschaftlern aus Spezialdisziplinen zu führen, sondern ergebnissoffen Präventions- und Kontrolloptionen zu erarbeiten.

"Es existiert zu wenig oder kein Platz für den wissenschaftlichen Diskurs im Vorfeld der Entscheidungsfindung. Wesentliche Bereiche der Gesellschaft sind nicht vertreten", schreiben die Autoren des Appells um den Epidemiologen und Virologen Klaus Stöhr.

Unterzeichnet ist das Papier unter anderem von Martin Exner, Direktor des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit, von Arne Simon von der Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie und dem Medizinstatistiker Gerd Antes. Ihre Position: "Ein offener Diskurs mit allen wesentlichen Fachbereichen ist entscheidend zur Überwindung der Krise."

Sie selbst machen ebenfalls einige Vorschläge zur Überwindung der Krise: So sollen bundesweit Stufenpläne erstellt werden, wie es einige Bundesländer bereits machen. Dieser solle transparent sein und auch eine "Positivagenda" beinhalten, zum Beispiel gegen die Pandemiemüdigkeit.

"Unabhängiges Expertengremium" soll Bundesregierung beraten

Für die Erstellung der Stufenpläne soll der Beitrag von bestimmten Lebensbereichen für Infektionen von Risikopersonen evaluiert werden. Prioritär seien dabei Kitas, Grundschulen und der Einzelhandel.

Die Idee dahinter: Bei Personengruppen, die quasi keinen Kontakt zu Risikopersonen und Menschen in Pflege- und Altenheimen haben, ist das Risiko einer Infektion vertretbarer. Diese Position ist in der Wissenschaft jedoch aus Sorge vor Mutationen umstritten.

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Die Autoren des Papiers fordern, dass ein "unabhängiges Expertengremium" für solche Fragen eine Risikoeinschätzung für die Bundesregierung vornimmt. "Langfristig wird eine nationale Kommission benötigt, die ähnlich wie die ständige Impfkommission [...] die Bundesregierung in einem strukturierten Prozess und im vollen Bewusstsein ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung in den Fragen der Risikobewertung und -regulierung berät."

Stöhr war von der Kanzlerin nicht eingeladen worden

Der Epidemiologe Klaus Stöhr gilt als Kritiker der Maßnahmen der Regierung.
Der Epidemiologe Klaus Stöhr gilt als Kritiker der Maßnahmen der Regierung.

© imago

Federzeichnend verantwortlich für den Appell ist der Virologe Klaus Stöhr. Er kritisiert die Maßnahmen der Bundesregierung seit Längerem. Stöhr, der als SARS-Forschungskoordinator mehrere Jahre für die WHO gearbeitet hat, fordert einen weitaus besseren Schutz der Alten- und Pflegeheime. Dann könne man auch bei höheren Covid-Inzidenzen Schulen und Kitas öffnen.

Im Tagesspiegel-Interview forderte er vor einigen Wochen ein Umdenken der deutschen Pandemie-Strategie. „Wir können, das haben die letzten Monate gezeigt, einen guten Mittelweg bei Inzidenzen von 130 bis 160, vielleicht sogar 180, ermöglichen.“ Es sei im Winter nicht realistisch Inzidenzen von 50 zu erreichen, sagte Stöhr damals. 

Dem widersprechen aber viele Modellierer, darunter Helmholtz-Infektionsforscher Michael Meyer-Hermann, der die Kanzlerin in der Pandemie regelmäßig berät. Auf den Rat von Klaus Stöhr hatte die Kanzlerin dagegen verzichtet. Zu einem vorbereitenden Austausch mit Wissenschaftlern im Kanzleramt im Januar war er – trotz des Wunsches einiger SPD-Ministerpräsidenten – nicht eingeladen worden.

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