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Abschiebeaktion vom Flughafen Rheinmünster in Baden-Württemberg (Archivfoto von 2014)

© Daniel Maurer/dpa

Abschiebung abgelehnter Asylbewerber: „Immer wieder trifft es gut Integrierte”

Am Donnerstagmorgen landete wieder ein Abschiebeflug in Kabul. Bellinda Bartolucci von Pro Asyl über Rechtslage und Umstände dieser Flüge.

An diesem Donnerstag ist der inzwischen 23. Abschiebeflug in Kabul gelandet. Was wissen Sie über diese Flüge?

Seit Dezember 2016 gibt es fast monatlich eine Sammelabschiebung nach Afghanistan, also in ein Kriegs- und Krisengebiet. Die Flüge landen alle in Kabul. Eine kurzzeitige Pause gab es nur nach einem verheerenden Anschlag der Taliban auf die deutsche Botschaft in Kabul im Mai 2017. Mit den 22 Flügen zuvor wurden über 530 Menschen abgeschoben. Zwar kann dabei nicht von „Massenabschiebungen“ gesprochen werden, doch sind das über 530 Fälle zu viel. Diese Abschiebepolitik führt zu enormer Verunsicherung bei afghanischen Schutzsuchenden, was alles andere als eine gute Bedingung für Integration ist. 

Bellinda Bartolucci ist rechtspolitische Referentin von Pro Asyl.
Bellinda Bartolucci ist rechtspolitische Referentin von Pro Asyl.

© R/D

Inzwischen wurde bekanntgegeben, dass weitere 30 Personen abgeschoben wurden - vermutlich Männer, Frauen waren auf den Flügen bisher nicht dabei. Woher kommen sie?  

Zu befürchten ist, dass erneut vor allem Menschen aus Bayern abgeschoben wurden. Während in vielen Bundesländern aus guten Gründen diese Rückführungen, insbesondere von Nicht-Straftätern umstritten sind, und sie sich deshalb kaum an Abschiebungen nach Afghanistan beteiligen, war Bayern bisher immer mit dabei.

Sie sprechen von Menschen, die keine Straftaten begangen haben. Damit werden die Abschiebungen aber meist begründet.

Die tatsächlichen Zahlen zeigen allerdings das Gegenteil: Der Großteil aller Betroffenen war strafrechtlich nie auffällig geworden, noch wurden sie als „Gefährder“ geführt. Und immer wieder trifft es gut Integrierte. Wir standen auch mit Betroffenen in Kontakt, deren Gesundheit massiv in Frage stand. Was mit diesen Menschen nach der Abschiebung passiert, ist extrem schwer zu sagen. Sie müssen sich zunächst um ihre Sicherheit kümmern, der Kontakt nach Deutschland bricht da in der Regel ab. Genauso haben wir die Erfahrung gemacht, dass Abgeschobene Afghanistan erneut verlassen müssen.

Einige Aufregung verursachte Innenminister Horst Seehofer, als er sich rühmte, am Tag seines 69. Geburtstags – das war im Sommer letzten Jahres - seien 69 Personen abgeschoben worden, eine so hohe Zahl wie nie zuvor.

Die Kritik an diesem Abschiebeflug mit 69 Betroffenen war zu Recht groß. Besonders dramatisch wurden die Auswirkungen der Abschiebungen, als sich ein Betroffener nach der Rückführung noch in Kabul das Leben nahm. Diese Abschiebungen reißen Menschen aus ihrem Leben. Selbst zu Abschiebungen aus der Schule oder vom Arbeitsplatz kam es.

Das Argument praktisch jedes Bundesinnenministers ist: Wir müssen Recht durchsetzen, sonst glauben die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr an den Rechtsstaat.

Abschiebungen in ein Kriegs- und Krisengebiet können doch kein Argument für den Rechtsstaat sein. Klar ist: Abgeschoben werden können nur Menschen, deren Asylantrag bereits abgelehnt wurde und bei denen weder Abschiebungsverbote noch sonstige Abschiebungshindernisse oder andere Aufenthaltsmöglichkeiten vorliegen. Das muss ordentlich geprüft werden! Gerade im Falle Afghanistan ist das Problem, dass viele Ablehnungen durch das Bamf, das “Bundesamt für Migration und Flüchtlinge”, pauschal darauf abstellen, dass die Betroffenen – selbst bei Vorverfolgung beispielsweise durch die Taliban – Schutz in einer Stadt wie Kabul finden könnten und dort zurecht kommen könnten. Die erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere die dortige Sicherheits- und Versorgungslage, werden kaum im Einzelfall geprüft. Dass das so nicht geht, zeigt schon allein die hohe Erfolgsquote vor Gericht: Rund 60 Prozent aller afghanischen Betroffenen erhalten bei inhaltlicher Überprüfung Recht. Wenn das bei anderen Rechtsgebieten der Fall wäre, wäre das ein Skandal. Hier aber müssen sich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte schon rechtfertigen, warum ihr Einsatz für den Rechtsstaat so essentiell ist.

Immerhin sind dennoch mehr als 200.000 Personen “vollziehbar ausreisepflichtig”. Sollen die hierbleiben dürfen?

Die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesinnenministeriums führt in die Irre. Sie suggeriert, in Deutschland stünden 235.000 abgelehnte Asylsuchende kurz vor der Abschiebung. Richtig ist, dass laut Ausländerzentralregister 235.000 Personen „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind – doch rund die Hälfte von ihnen hat nie einen Asylantrag gestellt. Und bei sehr vielen von ihnen liegen Duldungsgründe vor. Das heißt, sie sind zwar ausreisepflichtig, dürfen aber nicht abgeschoben werden, weil beispielsweise Familienangehörige in Deutschland leben, sie eine Ausbildung machen oder schwer krank sind. Darüber hinaus musste die Bundesregierung auf Anfrage schon zugeben, dass in diesem Register auch jede Menge Karteileichen enthalten sind. Das heißt, hinter den Zahlen stecken Personen, die gar nicht mehr in Deutschland sind. 

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