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Ein Abgeordneter im Bundestag checkt seinen Email-Account.

© Maurizio Gamberini/dpa

Die Macht der sozialen Netzwerke: In der Ausnüchterungsphase

Wissenschaftler blicken ernüchtert auf die Rolle der Sozialen Medien in der Politik - manche warnen sogar vor der "Scheinpartizipation".

Von Anna Sauerbrey

Der Sommer geht zu Ende. Der Bundestag hat sein lädiertes Netzwerk rechtzeitig wieder hochgefahren und die Politiker kehren aus ihren Wahlkreisen und von ihren Sommerreisen zurück. Obwohl die meisten ihre Scholle mittlerweile sozusagen 24/7 via Facebook und Twitter bearbeiten, hat sich an diesem alten Ritual so gut wie nichts geändert. Zu Recht.

Wie bringt man einen Menschen dazu, seine Meinung zu ändern? Wie holt man ihn auf seine Seite? Das Netz, besonders die sozialen Netzwerke, waren lange Zeit die große Hoffnung all derer, die die öffentliche Meinung oder sogar das Verhalten der Menschen gern beeinflussen würden: Werber, Politiker, Marketingleute, Interessenvertreter aller Art.

Nach dem Arabischen Frühling hielt man das Web 2.0 für ein Zaubermittel

Der Höhepunkt der Web 2.0-Euphorie liegt um das Jahr 2011. Nachdem sich im Arabischen Frühling Demonstranten über Twitter und andere soziale Netzwerke organisiert hatten, entstand der Eindruck, mithilfe der neuen Kommunikationsmittel ließen sich von jetzt auf gleich Revolutionen auslösen. Der Arabische Frühling lag zwischen den beiden genialen Online-Wahlkämpfen von Barack Obama 2008 und 2012. Es herrschte das Gefühl vor, ein neues Zaubermittel gefunden zu haben: Was könnte man den Leuten nicht alles verkaufen, wenn man sie quasi mit einem Tweet dazu bringen kann, zum ersten Mal einen Schwarzen zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu wählen?

Inzwischen allerdings macht sich Ernüchterung breit, sowohl in der Politik als auch in Unternehmen. Empirische Studien zeigen, dass es weit weniger einfach ist als gedacht.

Wolfgang Merkel, Leiter der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin, fasste die Ernüchterung kürzlich in einem Papier für die Otto-Brenner-Stiftung zusammen. Eine seiner Schlussfolgerungen: Die Hoffnung, zum Beispiel auch Nichtwähler über das Netz wieder zu erreichen, hat sich nicht bewahrheitet. Die, die ohnehin schon wenig Interesse an Politik haben, meiden sie auch im Netz. Merkel zitiert unter anderem den Düsseldorfer Politikwissenschaftler Gerhard Vowe, der nach einer Langzeitstudie schließt: „Das Netz zeigt keine durchschlagende Wirkung auf das (politische) Verhalten der Bevölkerung insgesamt.“

Kanye West hat 13 Millionen Follower. Aber machen die, was er sagt?

Die Euphorie kam wohl auch daher, dass Lautstärke und Reichweite einer Botschaft mit echtem Einfluss, mit dem Bewirken von Verhaltensänderungen, verwechselt wurden. „Die bisherigen Modelle“, schrieb kürzlich Vyacheslav Polonski, ein Doktorand des Oxford Internet Institutes im Blog der London School of Economics, „haben alle denselben Fehler“. Mag ja sein, führt er an, dass der US-Rapper Kanye West 13 Millionen Twitter-Follower hat. „Aber haben Sie schon mal gemacht, was Kanye West Ihnen gesagt hat?“ Auch Polonski kommt zu dem Schluss, dass sowohl Marketingprofis als auch Interessenvertreter und Politiker häufig zu einfach gedachte Strategien gesetzt haben.

Technologiekonzerne, Unternehmen und Wissenschaftler haben versucht, Maßstäbe für den Einfluss in sozialen Medien zu entwickeln. Der „Klout“-Index zum Beispiel orientiert sich daran, mit wie vielen anderen Leuten eine Person virtuell verknüpft ist, also wie groß die Reichweite seines Netzwerkes ist. Diese „Knotenpunkte“ mit politischen oder anderen Botschaften zu beschallen, bewirkt aber oft wenig. Denn deren „Freunde“ oder „Follower“ sind meist ohnehin geistige Verwandte.

Erfolgreich waren in der Vergangenheit vielmehr solche Kampagnen, die gar nicht erst versuchten, Menschen „umzudrehen“. Auch Jim Messina, Obamas Internetguru, legte die Obama-Kampagne vor allem darauf an, Leute an die Wahlurnen zu bekommen, die ohnehin schon Unterstützer Obamas waren – nicht, seine Gegner von ihm zu überzeugen.

Die digitale Illusion, sich zu beteiligen, könnte zu weniger echter Partizipation führen, warnt ein Politikwissenschaftler

Wolfgang Merkel sieht sogar die Gefahr, dass die politische Kommunikation im Netz kontraproduktiv sein könnte. Sie verbreite die Illusion, sich zu beteiligen und Einfluss auf Politik zu nehmen und verhindere so vielleicht echte Partizipation im Rahmen von Parteien oder Interessengruppen. Für diese Art Pessimismus ist es wohl noch zu früh. Noch immer gibt es nur „erste Erfahrungen“.

Doch bis auf Weiteres gilt: Am besten hilft reden, reden, reden. Vor Ort.

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