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Die Türkei will selbst darüber entscheiden, wo die Patriot-Raketen aus Deutschland stationiert werden sollen.

© dpa

"Indirekte Abschreckung": Vorstellungen der Türkei für Patriot-Stationierung zeichnen sich ab

Die Nato soll die Türkei an der Grenze zu Syrien militärisch unterstützen. Wie und wo genau die Patriot-Raketen zum Einsatz kommen sollen, ist noch unklar. Gegenüber den Landsleuten macht die Regierung Erdogan aber schon mal deutlich, wer das Kommando haben wird.

Vor der offiziellen Zustimmung der Nato zur Stationierung von Patriot-Raketenabwehrsystemen in der Türkei zeichnet sich ein möglicher Streit zwischen Ankara und den Bündnispartnern ab. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und die Regierungspartei AKP erklärten am Donnerstag, die Türkei wolle selbst entscheiden, wo die Raketen aufgestellt werden, und auch die Kommandogewalt über einen Einsatz der Patriots übernehmen. Bei einer Stationierung in unmittelbarer Grenznähe könnte laut Experten durch „indirekte Abschreckung“ eine Art Schutzzone in Syrien entstehen – was die Türkei seit Monaten fordert, die Nato für die Patriots-Mission aber ausdrücklich ausschließen will.

Erdogan sagte während eines Besuches in Pakistan, die Entscheidung über den Stationierungsort der Patriots liege bei der türkischen Armee. In Ankara äußerte sich AKP-Sprecher Hüseyin Celik ähnlich und betonte, die Türkei werde auch darüber entscheiden, in welchen Fällen die Raketen eingesetzt würden: „Unsere Armee wird den Finger am Abzug haben“, sagte Celik nach Parteiangaben. Schließlich müsse im Ernstfall innerhalb von Sekunden darüber entschieden werden, ob die Patriots etwa zur Zerstörung einer anfliegenden Rakete der Syrer abgefeuert werden sollten.

Die Äußerungen von Erdogan und Celik sind in erster Linie als Beschwichtigungen fürs heimische Publikum und für die Opposition in Ankara zu werten. In der nationalstolzen Türkei muss die Regierung jeden Eindruck vermeiden, dass Ausländer auf türkischem Boden das Sagen haben könnten. Unklar blieb am Donnerstag, ob die Nato-Partner diese innenpolitische Motivation der türkischen Regierung akzeptieren.

Zu den genauen Stationierungsorten der Patriots wollte sich Celik nicht äußern; das sei Sache der Experten. Die Zeitung „Cumhuriyet“ meldete, die deutschen Patriots sollten in der Grenzprovinz Sanliurfa stationiert werden, zu der ein rund 170 Kilometer langer Streifen der insgesamt 900 Kilometer langen türkisch-syrischen Grenze gehört. In der Provinz liegen auch die Grenzstädte Akcakale und Ceylanpinar, wo es in den vergangenen Wochen bei Angriffen syrischer Regierungstruppen auf türkischer Seite Tote und Verletzte gab.

Der Syrien-Experte Ali Semin vom Istanbuler Politik-Institut Bilgesam erwartet, dass eine Stationierung der Nato-Waffen in Grenznähe die Lage im Norden Syriens beeinflussen würde. „Es wäre der erste Schritt hin zu einer Schutzzone oder einer Flugverbotszone“, sagte Semin unserer Zeitung. Selbst wenn die Nato jede Art von offensiver Ausrichtung der Patriots ausschließe, wirke die bloße Präsenz der Raketen wie eine „indirekte Abschreckung“. In einem 20 bis 30 Kilometer tiefen Gebiet südlich der Grenze könnte dann ein Areal entstehen, in das sich syrische Kampfflugzeuge und Hubschrauber nicht mehr hinein wagten.

Deshalb würden die Patriots auch die Rebellen im Norden Syriens „etwas beruhigen“, sagte Semin. Die Aufständischen fordern wie die Türkei die Einrichung einer Schutzzone. Während sich die Rebellen davon vor allem Zuflucht vor Luftangriffen erhoffen, spielt für die Türkei neben der Stärkung der Opposition auch die mögliche Rückkehr zumindest einiger der inzwischen fast 125.000 Syrer in den Flüchtlingslagern an der Grenze eine Rolle.

Das von Semin entworfene Szenarium widerspricht jedoch den Zielsetzungen der Nato für den Patriots-Einsatz. Generalsekretär Anders Fogh Rassmussen hatte zu Wochenbeginn erklärt, es gehe nicht um eine Flugverbotszone innerhalb Syriens. Auch Bundesverteidigungsminister Thomas de Maziere sagte, die Patriots seien keine Vorstufe für eine Flugverbotszone. Das sieht die Türkei möglicherweise anders, obwohl auch Erdogan am Donnerstag den rein defensiven Charakter der Patriots-Mission unterstrich.

Von der syrischen Regierung liegt bisher keine Reaktion auf die Anforderung der Türkei an die Nato vor. Russland, der wichtigste internationale Verbündete der Regierung in Damaskus, meldete am Donnerstag seine Kritik an den Plänen an. Eine Entsendung der Patriots könne eine weitere Eskalation des Konflikts in der Region zur Folge haben, sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow. Statt um eine militärische Initiative sollte sich die internationale Gemeinschaft lieber um eine politische Lösung bemühen.

In Syrien selbst meldeten die Regierungsgegner am Donnerstag neue Erfolge im Kampf gegen die Truppen von Präsident Baschar al-Assad. Rebellen eroberten nach Oppositionsangaben einen Armeestützpunt in Mayadeen am Euphrates, südlich der Stadt Deir Ezzor im Osten Syriens. Damit kontrolliert die Opposition nach eigenen Angaben nun ein erdölreiches Gebiet nahe der irakischen Grenze. 

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