zum Hauptinhalt
Fenster nach Sachsen: Firmenchef Dirk Frenzel (2.v.r.) mit Staatsministerin Widmann-Mauz, dem Auszubildenden Mohamed Hamza Karami (hinten) und seinen Angestellten Aziz Boutfousste (links) und Youssef Haitham.

© IntB/Potente

Integrationsbeauftragte auf Deutschlandtour: Wo wir es geschafft haben

Annette Widmann-Mauz zeigt, wo Geflüchtete erfolgreich integriert wurden. Auf der Reise wird aber auch klar, wo die richtig großen Hürden stehen.

Vier Jahre lang, sagt Dirk Frenzel, wurde in seiner Firma nicht ausgebildet. Frenzel, Geschäftsführer des Fenster- und Türenbauers Fechner in Leipzig-Markkleeberg, drückt es diplomatisch aus: „Weil es von den Bewerbern her nicht passte.“ Bis er von der Arbeitsagentur Mohamed Hamza Karami, Youssuf Haithan aus Syrien und den Marokkaner Aziz Boutfousste vermittelt bekam. Drei arabische Männer in einem sächsischen Betrieb: Nicht, dass die gesamte Kundschaft das gleich enthusiastisch begrüßte.

Ein Kunde habe sich einmal früh um sieben beklagt, wen er denn da geschickt bekommen habe. Mittags, sagt Frenzel lächelnd, habe er wieder angerufen und sich überschwänglich bei ihm bedankt: Nicht nur das Handwerk des fremdartigen Tischlers hatte überzeugt, er hatte auch den Einsatzort penibel aufgeräumt verlassen.

In der Werkstatt der Leipziger Firma steht und lauscht vergangenen Freitag Staatsministerin Annette Widmann-Mauz, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Zusammen mit Journalisten, die sie zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause durch Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern und Baden-Württemberg unter dem Titel „Deutschland kann Integration“ eingeladen hat.

Davon sei sie überzeugt, sagt die CDU-Politikerin gleich zum Auftakt. „Und ich will das sichtbar machen“, gerade in diesen Tagen, sagt sie, gerade jetzt, nach dem rechtsextremen Mord an ihrem Parteikollegen, dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, und allem zum Trotz, was im Netz behauptet wird. Und sie setzt hinzu: Dass der Mordfall Lübcke ein Einzelfall sei, der eines einzelnen Täters, das könne sie „nicht akzeptieren“.

Der Landkreis voller Extremisten, beim Amt hilft man Geflüchteten

Was auf dieser Reise zu beweisen sein wird. Ein paar Kilometer weiter, in Naumburg, amtiert Götz Ulrich. Obwohl es bei diesem Besuch um die Migrationsagentur gehen soll, die er und seine Mitstreiter aufgebaut haben, ein One-stop-Service, der vom Ankommen bis zur möglichen Einbürgerung alle Angelegenheiten von Neuankömmlingen managt. Damit werden die Frustration und Reibungsverluste des Ämterhoppings minimiert.

Auch Ulrich ist so ein Einzelfall und die Begegnung mit ihm nach Kassel beklemmend. CDU-Politiker auch er, Landrat seit 2014, auch er erhielt Morddrohungen und stand zeitweise unter Polizeischutz, als er sich in vielen Bürgerversammlungen während der Flüchtlingsjahre nach 2015 für Akzeptanz und Pragmatismus bei der Aufnahme Geflüchteter einsetzte. Und als er auch nicht wich, als die Erstaufnahme in Tröglitz angezündet wurde, sondern ankündigte, sie werde wieder aufgebaut.

Ulrich redet spürbar ungern über sich, schließlich gebe es „deutschlandweit eine Bedrohungslage“ und er müsse als öffentliche Person schließlich auch sichtbar sein, habe Repräsentationspflichten, „da gibt’s keine absolute Sicherheit“. Aber er weiß auch, dass in seinem Landkreis eine wohl überdurchschnittliche Zahl von Reichsbürgern lebt und dass hier der rechtsextreme „Dritte Weg“ solide Wurzeln hat. Ralf Wohlleben, einer der Angeklagten im Münchner NSU-Prozess, ist nach seiner Haftentlassung dort hingezogen. Und Götz Ulrich erinnert sich an jene ersten Jahre im Amt: „Ich bin in jeden Ort im Kreis gefahren, zu Einwohnerversammlungen mit 400 bis 600 Menschen jede Woche. Da riefen Rechtsextreme sogar nach einem starken Führer. Und Beifall gab es teils von Leuten, die ich persönlich kannte und von denen ich das nicht erwartet hätte.“

Landrat ließ sich durch Morddrohungen nicht beirren

Ulrich machte weiter, die Migrationsagentur des Burgenlandkreises ist eine der größeren Früchte seiner Arbeit. Hier berät das Jobcenter über Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten und vermittelt freie Stellen, das Jugendamt hat hier eine auf Geflüchtete zugeschnittene Dependance ebenso wie der Kreissportbund. Und alle können die Kundschaft von Zimmer zu Zimmer begleiten, statt sie auf eine weit entfernte neue Behörde zu verweisen, wo sie ihre Geschichte zum womöglich x-ten Mal erzählen müssen.

Sachgebietsleiterin Dagmar Apostel erzählt mit fühlbarer Begeisterung, was das neue Arbeiten auch mit ihren Kollegen gemacht hat: Weniger Frust und ein Teamgeist, der die erste wilde Anfangszeit weit überlebte und, wie sie sagt, bis heute trage.

Die Kommunalangestellte Apostel, Firmenchef Frenzel – ihre Berichte bestätigen, was am Abend Hans Vorländer bei einem Glas Wein vorträgt. Der Professor der TU Dresden und seine Leute haben das Phänomen erforscht; für die „Kontakthypothese“ gebe es „harte Evidenz“. Wer Erfahrung mit Fremden macht, ob mit dem geflüchteten Syrer oder der EU-Zuwanderin nebenan, verliert irgendwann seine Vorurteile. Aber Ostdeutschland habe keine lange Geschichte solcher Erfahrungen. „Da hat der Westen einen Vorsprung von Jahrzehnten.“

Wo Deutschland Integration nicht kann

Insofern ist die Reise der Staatsministerin aus Berlin unausgesprochen auch eine in jenes Deutschland, das Integration vermutlich könnte, aber sie ablehnt oder ihr misstraut. Manchmal trägt eben auch Vorländers Kontakthypothese nicht ganz ans Ziel. Auch auf dieser Reise ist ab und zu zu hören: „Ja, die Leute hier sind toll. Aber das sind Ausnahmen.“ Als wäre die positive eigene Erfahrung nichts gegen das Misstrauen, das ohne Erfahrung auskommt. 

In der Zentrale von RB Leipzig, wo die Deutsche Fußballstiftung ihre Projekte für Geflüchtete vorstellt und der aus Syrien stammende Trainer Alaa Shehabi von seinen Jugendmannschaften erzählt und vom B-Schein, den er demnächst machen wird, erzählt am Abend Pablo Thiam vom Alltag als "Anderer": Thiam, als Diplomatenkind aus Guinea in Bonn aufgewachsen, war Bundesligaspieler in Köln, Stuttgart, Wolfsburg und München.

Heute ist er im Management des VfL Wolfsburg, lebt in Berlin und rät seinen Kindern: „Charlottenburg, der Ku'damm okay, aber geht abends nicht zum Alex.“ Bei Spielen in Ostdeutschland habe er „persönlich schon viel erlebt“, er fühle sich dort nicht wohl, „ich schaue mich immer um, wenn ich im Osten unterwegs bin“.

Silvia Pfefferkorn vom Vorstand des Vereins „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“ will sich der traurigen Realität und dem daraus weit resultierenden verbreiteten Bild von Rassismus und Ausgrenzung entgegensetzen. Die temperamentvolle Inhaberin einer Dresdner Werbeagentur erzählt das Narrativ „konsequent abschieben“ vom kommunalen Ende her: „Wer wird denn abgeschoben? Doch die, die man kriegt – weil sie arbeiten und die Kinder zur Schule schicken.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false