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Auch die Produkte der israelischen Kosmetiklinie Ahava werden in den Siedlungsgebieten hergestellt.

© AFP

Israel: „Made in Israel“ – oder in der Westbank?

Immer mehr Länder führen die Kennzeichnung von Produkten aus den besetzten Palästinensergebieten ein. Jüdische Organisationen kritisieren Einseitigkeit.

Berlin - Die Welt kritisiert seit Jahrzehnten die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Palästinensergebieten als völkerrechtswidrig – ohne Folgen. Nun wollen weltweit immer mehr Verbraucher keine Produkte aus diesen Siedlungen mehr kaufen und fordern deren Kennzeichnung. Das südafrikanische Kabinett beschloss nun, dass Produkte aus den besetzten Palästinensergebieten künftig nicht mehr mit der Herkunftsbezeichnung „Made in Israel“ vertrieben werden dürfen. Die britische Regierung empfiehlt dies britischen Unternehmen bereits seit 2009, die Schweizer Ladenkette Migros will Waren aus den Siedlungen ab Mitte 2013 kenntlich machen. In Deutschland fordert die katholische Friedensbewegung Pax Christi eine solche Kennzeichnung, damit der Verbraucher weiß, was er kauft. Aus Sicht der Bundesregierung spricht rechtlich nichts gegen eine solche Kennzeichnung. Aber sie ist umstritten.

Worum es geht

Jaffa-Orangen sind ein Begriff. Angebaut werden sie vielfach in der Gegend um die Stadt Jaffa, die heute in Israel liegt, und daher tragen sie zu Recht das Label „Made in Israel“. Doch auch Rotwein aus der Golan Heights Winery oder die Cremes der Kosmetiklinie Ahava mit Produkten vom Toten Meer werden als „Made in Israel“ ausgezeichnet – eigentlich müsste hier stehen: „Golan, israelisches Siedlungsgebiet“ oder „Westbank, israelisches Siedlungsgebiet“. Denn diese Produkte werden in israelischen Siedlungen hergestellt, die laut Völkerrecht sowie Urteilen des Internationalen und Europäischen Gerichtshofs illegal auf palästinensischem Gebiet errichtet wurden und nicht zum Territorium des Staates Israel gehören. Laut Genfer Konvention ist es verboten, die eigene Bevölkerung dauerhaft in besetzten Gebieten anzusiedeln und die dortigen Bodenschätze und Ressourcen wirtschaftlich auszunutzen. Bislang ist es für israelische Unternehmen profitabel, sich für Standorte auf palästinensischem Land zu entscheiden, zumal sie dafür staatliche israelische Vergünstigungen erhalten.

Die EU dagegen unterschiedet genau: Waren aus israelischen Siedlungen fallen nicht unter das Assoziationsabkommen von 1995, das israelischen Waren Zollfreiheit oder Vorzugszölle einräumt. Immer mehr Konsumenten in Europa wollen nun genau wissen, woher Wein, Zitronen oder Hautcremes stammen. In Großbritannien ist die Bewegung kritischer Verbraucher am stärksten. So hat die britische Regierung schon vor drei Jahren Unternehmen offiziell empfohlen, Produkte aus den Siedlungen für den Kunden kenntlich zu machen. Im Mai kündigte die dänische Regierung an, Siedlungsprodukte gesondert zu kennzeichnen. Im Juni zog die Schweizer Ladenkette Migros nach. Die Waren wie etwa Datteln oder Zitrusfrüchte sollen künftig mit „Westbank, israelisches Siedlungsgebiet“ oder „Ostjerusalem, israelisches Siedlungsgebiet“ bezeichnet werden, bestätigte Migros-Sprecher Urs-Peter Naef dem Tagesspiegel. „Wir wollen unser Ziel bis 2013 erreichen.“ Dabei handele es sich nicht um einen Boykott gegen israelische Waren. „Nein, ein Boykott ist für uns keine Option.“ Naef betonte, die Migros wolle mit den Etiketten „mehr Transparenz“ bieten.

Die Situation in Deutschland

In deutschen Geschäften ist bisher nicht ersichtlich, ob Waren aus Israel oder aus israelischen Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten stammen, die von der Bundesregierung als völkerrechtswidrig eingestuft werden. Aber die Bundesregierung hat auf eine kleine Anfrage der Links-Fraktion am 19. Juli geantwortet, dass es rechtlich keine Einwände gegen eine solche Kennzeichnung gibt. In Deutschland fordert die katholische Friedensbewegung Pax Christi eine eindeutige Kennzeichnung der Siedlungsprodukte; ihren Anhängern rät sie, solche Waren nicht zu kaufen, wenn ihnen die Achtung von Menschen- und Völkerrechtstandards wichtig ist. Mit ihrer neuen Kampagne „Besatzung schmeckt bitter“ klärt sie über die israelische Siedlungspolitik und die Folgen für die palästinensische Bevölkerung auf: Durch Abriegelungen, Zäune, Landbeschlagnahme und Ausbeutung der Naturressourcen würde die Zukunft der Palästinenser in ihrem eigenen Land systematisch verbaut. Die Bewegung ruft ihre Mitglieder dazu auf, in Supermärkten beim Filialleiter nachzufragen, woher Produkte wirklich stammen, die als „Made in Israel“ ausgezeichnet sind. Außerdem sollen Verbraucher Lebensmittel, deren Herkunft unklar ist, dem bundesweiten Webportal www.lebensmittelklarheit.de melden. Die Aktion richte sich nicht gegen Israel „und schon gar nicht gegen Israelis – unsere israelischen Partner teilen unser Anliegen –, sondern gegen die Siedlungspolitik, die ein gravierender Völkerrechtsverstoß ist, dem nicht Einhalt geboten wird“, sagt der Sprecher der Nahostkommission der Organisation Manfred Budzinski.

Argumente der Kritiker

Das American Jewish Committee (AJC) in Berlin hat als eine der ersten Organisationen in Deutschland seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht. AJC-Leiterin Deidre Berger kritisiert die „Einseitigkeit“ der Kampagne zur Kennzeichnung von Waren aus den Siedlungen. Weltweit seien Dutzende von Territorien politisch umstritten – sie nennt Korsika und das Baskenland –, aber die politischen Aktivisten sonderten nur ein Land auf der Welt aus. Berger vermutet, dass dies mit „Hass auf Israel“ zu tun hat, weil diese Einseitigkeit ansonsten schwer zu verstehen sei. Es sei „klar, dass damit israelische Produkte in Misskredit gebracht werden“. Die gesonderte Kennzeichnung von Produkten aus den israelischen Siedlungen, die Berger als „wirtschaftliche Selektion“ bezeichnet, könne sehr gefährliche Konsequenzen haben, warnt sie. Denn sie untermauere Stereotypen und könne leicht abgleiten in anti-semitische Vorurteile, fürchtet Berger. Das müssten die Initiatoren solcher Kampagnen bedenken, fordert Berger, auch wenn sie nicht für alle Folgen verantwortlich seien.

Die Diskussion in Israel selbst

Friedensaktivisten und Intellektuelle in Israel unterstützen die Kennzeichnung. Die israelische Organisation „Frauen für Frieden“ betreibt die Website „Who Profits“, auf der nachzulesen ist, welche israelischen und internationalen Firmen von der Besatzung wirtschaftlich profitieren. Der Ex-Präsident der Knesset und Vorsitzende der World Zionist Organisation, Avraham Burg, kauft keine Produkte aus den Siedlungen und sieht eine Kennzeichnung dieser Produkte in Europa weder als anti-israelisch noch anti-semitisch an. Die Grüne Linie, die vor dem Krieg von 1967 die Grenze zwischen Israel und den Palästinensergebieten markierte, sei von „entscheidender Bedeutung für den Friedensprozess“, lautet Burgs Argument. Sie sei die Basis für jede Friedensregelung, doch die israelische Siedlungspolitik verwische die Grenzen immer weiter und mache damit einen Frieden unmöglich. „Jeder, der die Grüne Linie verteidigt, ist ein Freund Israels“, meint Burg, dessen Vater schon Minister unter Staatsgründer Ben Gurion war. Andrea Nüsse (mit jdh)

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