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Berlusconi darf bei Neuwahlen nicht mehr kandidieren, seine Abgeordneten versuchen jedoch, die Gesetzeslage zu ändern.

© AFP

Update

Italien: Berlusconi bekennt sich zur Großen Koalition

Bei einer Demonstration seiner Anhänger in Rom verzichtet Berlusconi auf politische Scharfmacherei - vielmehr fordert er von Regierung und Parlament eine Fortsetzung der Arbeit im Kampf gegen die Wirtschaftskrise.

Silvio Berlusconis Gefolgsleute versuchen mit allen Mitteln eine Begnadigung für ihre Leitfigur zu erreichen – und befeuern so in Italien die Ängste vor einer erneuten Regierungskrise. Sandro Bondi, der Koordinator von Berlusconis Partei „Volk der Freiheit“ (PDL), drohte am Wochenende unter anderem mit einem „Bürgerkrieg“, sollte keine politische Lösung gefunden werden, „die dem Anführer von Italiens größter Partei seine Handlungsfähigkeit zurückgibt“. Berlusconi war vom höchsten italienischen Gericht am Donnerstagabend wegen systematischen Steuerbetrugs zu vier Jahren Haft verurteilt worden; er büßt damit auch sein Abgeordnetenmandat im Senat ein und darf bei Neuwahlen nicht kandidieren. Berlusconi selbst vermied am Sonntagabend in auffälliger Weise jede politische Scharfmacherei. Bei einer Kundgebung vor einigen tausend seiner Anhänger kritisierte er zwar die Gerichtsbarkeit in bekannter Weise als "schreckliche, ideologisierte, von Hass und Neid geprägte Macht", beteuerte aber auch, Regierung und Parlament müssten ihre Arbeit fortsetzen, um Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise in Italien zu beschließen. Auch er selbst will offenbar in keiner Weise zurücktreten. "Ich bin unschuldig", rief der von etwa 40 Grad im Schatten sichtlich mitgenommene Berlusconi: "Ich stehe hier. Ich bleibe hier. Ich gebe nicht nach!"

Die Veranstaltung vor dem römischen Wohnsitz Berlusconis war eigentlich als Solidaritätskundgebung seiner Partei für ihren "unumstrittenen Leader" gedacht, zu der Ortsgruppen des "Volks der Freiheit" ein paar tausend Anhänger aus verschiedenen Teilen des Landes zusammengeholt hatten. Angesichts der angekündigten "500 Busse mit Fans" nahm sich die Menge aber eher klein aus. Es gab auch keinerlei Grußadressen oder Reden von Parteigrößen; Regierungsmitglieder, wenn sie denn tatsächlich anwesend waren, zeigten sich nicht öffentlich. Einzig Berlusconi trat auf – und abgesehen von seinem in dieser Deutlichkeit nicht erwarteten Bekenntnis zum Fortbestand der Großen Koalition wiederholte er lediglich, was er in seiner Fernsehansprache an die Nation am vergangenen Donnerstag gesagt hatte, gleich nach der Verurteilung.

In der kommenden Woche wollen die Fraktionsvorsitzenden des PDL in Senat und Abgeordnetenhaus, Renato Schifani und Renato Brunetta, unterdessen Staatspräsident Giorgio Napolitano vor die Alternative stellen: entweder er begnadige Berlusconi oder dessen Abgeordnete würden „in Massen zurücktreten“. Dies hätte ein Ende der Regierung und Neuwahlen zur Folge. Vor dem Quirinalspalast will Berlusconis Partei zusätzlich einen permanenten Protest-Posten einrichten. Genau davor warnt Ministerpräsident Enrico Letta. Der Sozialdemokrat, der an der Spitze der Regierung steht, sprach von einer „ungebührlichen und erpresserischen“ Attacke auf den Staatschef. Er werde sich „mit großer Aufmerksamkeit die Töne und die Reden bei der Demonstration“ anhören, hatte Letta gesagt und ebenfalls mit Rücktritt gedroht.

Das PDL strebt aber noch nach etwas anderem: einer Erbmonarchie. Berlusconis älteste Tochter Marina wird zunehmend als künftige Anführerin der Partei aufgebaut. Versuche dieser Art gibt es schon länger, sie sind im „Volk der Freiheit“ aber bisher auf Widerstand gestoßen. Auch Marina Berlusconi hatte entsprechende Spekulationen als „bar jeden Fundaments“ bezeichnet. Das Verbot für ihren Vater, bei den nächsten Wahlen zu kandidieren, und seine Ankündigung, die Partei als „Forza Italia“ neu aufbauen zu wollen, ändern nach Ansicht vieler aber die Lage. Die 47 Jahre alte Marina Berlusconi leitet derzeit das größte Verlagshaus in Italien und sitzt darüber hinaus in praktisch allen Spitzengremien des familieneigenen Medienkonzerns. Sie ist die einzige Italienerin, die es in der „Forbes“-Rangliste unter die fünfzig wichtigsten Frauen der Welt geschafft hat.

Unterdessen versuchen PDL-Vertreter auch, das von einer Regierung Berlusconi entworfene, aber erst unter der Technokraten-Regierung Monti verabschiedete Gesetz zu demontieren, demzufolge rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Haft Verurteilte nicht Parlamentsmitglieder sein dürfen. Das Gesetz gelte nicht für Taten, die vor Inkrafttreten der Norm im Dezember 2012 begangen worden seien, erklären Senatsabgeordnete der Partei. Am Mittwoch will sich der zuständige Parlamentsausschuss mit dem Ausschluss Berlusconis beschäftigen, die entscheidende Abstimmung wird aber wegen der unvereinbaren Positionen der Parteien erst nach den Sommerferien erwartet.

Große Aufmerksamkeit auf allen Seiten hat am Sonntag ein Vorstoß erregt, mit dem Ferrari-Präsident Luca Cordero di Montezemolo dem verurteilten Ex-Premier offenbar goldene Brücken bauen wollte. Montezemolo schrieb auf der Internetseite seines Think-Tank Italia Futura, Berlusconi könne „aus dieser Affäre gut herauskommen, wenn er die Nerven behält, die sehr gut gestartete Regierung Letta loyal unterstützt und an der Neugründung einer liberalen und modernen Mitte-Rechts-Formation arbeitet“. Bei einem Sturz der Regierung dagegen, so Montezemolo, könnten „selbst die dramatischsten Folgen für die Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt des Landes nicht ausgeschlossen werden“.

Vor der Parlamentswahl im Frühjahr hatte Montezemolo eine Wahlplattform für den technokratischen Regierungschef Mario Monti mit aufgebaut und zahlreiche bisher politikferne Intellektuelle, Wissenschaftler und Manager zu einer Kandidatur gebracht. Allerdings war die Enttäuschung über das schlechte Wahlergebnis (etwa 9 Prozent) groß. Montezemolo sucht nun offenbar nach Alternativen – und findet sie erneut in Berlusconi.

Eine Einladung besonderer Art hat Silvio Berlusconi am Wochenende aus Lampedusa erhalten. Bürger der vor allem als Anlaufstelle für Bootsflüchtlinge aus Nordafrika bekannten Touristeninsel haben ein Komitee gegründet, mit dem sie Berlusconi dazu bewegen wollen, seinen einjährigen Hausarrest bei ihnen zu verbringen. „Das Haus ist bereit, wir warten“, sagt Salvatore Palillo, der Chef des Komitees. Eine Reaktion Berlusconis ist noch nicht bekannt geworden.

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