zum Hauptinhalt
Wer zieht hier ein? Der Quirinalspalast in Rom, Sitz des italienischen Präsidenten

© Reuters/Yara Nardi

Wahl des neuen Staatspräsidenten: Italien sucht einen Kandidaten für alle Fälle – oder eine Kandidatin

In Italien beginnt der Marathon der Präsidentenwahl. Sicher ist nur: Berlusconi tritt nicht an. Und kein Lager kann das wichtige Amt ohne das andere besetzen.

Noch die Worte des Rückzugs waren pathetisch: „Ich habe mich entschieden, einen weiteren Schritt der Verantwortung für dieses Land zu tun“, ließ Silvio Berlusconi am Samstagabend erklären. „Ich werde meinem Land in anderer Weise dienen.“

Italiens skandalträchtigem dreimaligen Premier, inzwischen 85 Jahre alt, war nach langem Zögern offenbar klar geworden, dass er die Mehrheit nicht erhalten würde für seinen Kindheitstraum: Staatspräsident Italiens zu werden.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Sein Mitte-Rechts- und Rechtsaußen-Lager, neben seiner Forza Italia die Lega des früheren Innenministers Matteo Salvini und Giorgia Melonis „Fratelli d'Italia“, hatte ihm zwar Gefolgschaft für die Operation Quirinalspalast geschworen, trotz des hellen Entsetzens auf der andern Seite des politischen Spektrums – aber eben für den Fall, dass die Zahlen es hergäben.

Nicht nur die habe er nicht, donnerte kürzlich Pierluigi Bersani, der frühere Chef des sozialdemokratischen Partito democratico. Berlusconi sei mit seiner persönlichen Geschichte nicht nur spaltend, sondern schlicht inakzeptabel; der im Präsidentenpalast, das wäre nun wirklich Wahnsinn

Berlusconi ist wegen Steuerhinterziehung vorbestraft, Urteile wegen Missbrauchs Minderjähriger, der Korrumpierung von Amtsträgern und weiterer Verbrechen konnte er nur mit Hilfe eines Heeres von Anwält:innen abwenden. „Das Land braucht einen Präsidenten“, so Bersani, „der ein Minimum an moralischer Autorität mitbringt."

Viele Wahlgänge sind üblich – 1971 waren es 23

Das Ausscheiden des Ex-Cavaliere – den Ehrentitel verlor er nach dem Steuerurteil – ist tatsächlich das einzig Sichere der bevorstehenden Wahl. Der italienische Staatspräsident – eine Präsidentin gab es wie in Deutschland noch nie – hat sich in 75 Jahren Republik stets in einem langen Prozess herausgemendelt. Den Rekord hält Giovanni Leone. Bis zur Wahl des Christdemokraten brauchte es 1971 ganze 23 Wahlgänge.

Selbst der legendäre Sandro Pertini, Ex-Partisan, Sozialist und der bis heute beliebteste Bewohner des Präsidentenpalastes, brauchte 1978 noch 16 Wahlgänge, bis die Entscheidung für ihn fiel.

In diesem manchmal quälenden Prozess, der sich über Tage hinzieht mit immer neuen Absprachen, Verhandlungen, und Heckenschütz:innen, die gegen eben jene Absprachen schießen, werden routinemäßig etliche Namen verbrannt.

Gefahr abgewendet: Protest gegen Berlusconi in Rom

© Imago/Matteo Nardone

Das widerfuhr 2013 sogar einem Kandidaten mit ganz anderer Vita als Berlusconi. Romano Prodi, liberaler Christdemokrat, früherer Ministerpräsident und Ex-EU-Kommissionspräsident, galt als sicherer Retter, nachdem der ursprünglich geplante Mitte-Links-Mann keine Mehrheit hinter sich gebracht hatte. Auch Prodi scheiterte; nach vier verlorenen Wahlgängen gab er auf.

Die Namen, die jetzt gehandelt werden, dürften keine Ausnahmen von der alten Regel sein. Da ist zum Beispiel Pierferdinando Casini, groß geworden in der alten Democrazia cristiana und der womöglich glühendste, wenn auch erfolglose Befürworter einer Wiederbelebung der Christdemokratie. Er spielt schon länger nicht mehr in der vordersten Reihe der Politik mit, was ihm fürs Quirinal nützen könnte.

Lega-Chef Salvini präsentierte unter anderem die Präsidentin der zweiten Parlamentskammer Maria Elisabetta Alberti Casellati, eine Parteifreundin Berlusconis, die allerdings abwinkte. Giuseppe Conte, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung und Vorgänger des aktuellen Premiers Mario Draghi, nannte zwei Parteilose, die frühere Justizministerin Paola Severino und den Gründer der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio, Andrea Riccardi.

Mario der Unersetzliche - als Premier oder Präsident?

Sein Parteifreund Luigi Di Maio freilich trommelt für Premier Draghi. Sicher ist nur, dass Lagerkandidat:innen ausgeschlossen sind, weil die Zahlen dafür weder rechts noch links reichen. Es braucht eine Kompromissfigur.

Dieses Profil erfüllt noch eine Frau im Spiel – freilich weiter nur in der ersten Sondierung. Die Diplomatin Elisabetta Belloni, aktuell Aufseherin der Geheimdienste für Premier Draghi, hat unter Ministern aller politischen Farben im Außenministerium Karriere gemacht und könnte daher die Hauptanforderung erfüllen, „nicht spaltend“ zu wirken.

Bliebe freilich das Problem eines Zuviels sogenannter „Techniker:innen“. So heißen in Italien Fachleute, die berufen werden, wenn die Parteien sich auf keine der Ihren als Regierungschef einigen können. Genau so eine Technikerregierung ist gerade im Amt, unter dem Ex-Banker und Ex-Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi. Zwei wichtige politische Positionen wären dann in den Händen von Techniker:innen, was einem Abdanken der Politik gleichkäme.

Dies umso mehr, als der Staatspräsident oder die Staatspräsidentin großes politisches Geschick braucht. Italiens Verfassung beschränkt das Amt zwar wie in Deutschland auf vor allem repräsentative Aufgaben. Doch die vielen Regierungsumbildungen - die im Ausland gern fälschlich alle als Regierungswechsel gesehen werden - machen den Amtsinhaber zeitweise zur entscheidenden politischen Figur. Giorgio Napolitano, Spottname "King George" und 2005 bis 2016 Staatspräsident, regierte mehr als jeder seiner Vorgänger selbst und setzte drei Regierungen ein.

Mario Draghi nun hat vor dem Jahreswechsel mehr als nur durchblicken lassen, dass ihn der Job im Palazzo del Quirinale reizen würde. Doch obwohl Draghi der meist genannte Name zu Beginn dieser aufregenden Woche ist, könnte ausgerechnet „Supermario“ beim Aufstieg auf den Hügel zurückbleiben.

Im Amt des Premiers wird er nämlich noch dringend gebraucht. Wieder eine neue Regierung, womöglich die vorzeitige Auflösung des Parlaments ein Jahr vor der Wahl im nächsten Jahr: Daran hat links wie rechts niemand Interesse. Und das Problem mit dem Vielgelobten sei, spottete jetzt die Tageszeitung „Il Fatto Quotidiano“: Er könne eben nicht überall sein. „Es gibt nur einen Supermario.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false