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Die Zahl der betroffenen Kinder steigt seit Jahren an.

© Jens Wolf/dpa/picture alliance / dpa

Update

FDP fordert mehr Förderung: Jedes dritte Berliner Kita-Kind spricht zu Hause kaum Deutsch

Rund 675.000 Kita-Kinder leben in Familien, in denen vorrangig nicht Deutsch gesprochen wird. Deutschlandweit ist das jedes fünfte.

Jedes dritte Kita-Kind in der Hauptstadt wächst in einem Haushalt auf, in dem nicht vorrangig Deutsch gesprochen wird. Mit einem Anteil von 31 Prozent liegt Berlin bundesweit auf dem zweiten Rang. Höher ist der Wert lediglich in Bremen – dort sind es 37 Prozent. Deutschlandweit wächst jedes fünfte Kita-Kind bei Eltern auf, die nicht oder nur selten Deutsch sprechen. Die Werte der neuen Bundesländer unterscheiden sich dabei deutlich von denen der alten Bundesländer. In Brandenburg macht der Anteil zum Beispiel sechs Prozent aus.

Unter den rund 3,2 Millionen Kindern in Kindertagesstätten habe es zuletzt rund 675.000 Kinder gegeben, in deren Familien vorrangig nicht Deutsch gesprochen werde, berichten die Zeitungen der Funke Mediengruppe unter Berufung auf eine Antwort des Bundesfamilienministeriums auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion. Dies entspreche einem Anteil von 21,4 Prozent.

Damit sei der Anteil von Kita-Kindern aus nicht oder kaum Deutsch sprechenden Haushalten weiter gestiegen, heißt es in dem Bericht. 2017 lag ihr Anteil demnach bei 18,7 Prozent, 2018 seien es 19,4 Prozent gewesen.

Die Folge dessen: Probleme in der Schule und schlechte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. „Diese Kinder werden deutlich größere Probleme haben, eine Ausbildung gut abzuschließen“, sagte dazu Martin Hoyer, Ko-Chef der Paritäter Berlin. Vor allem in sogenannten Problemkiezen, in denen die Zahl der förderbedürftigen Kinder deutlich höher ist als anderswo, drohten sich Bildungsarmut und damit Arbeitslosigkeit zu vererben. Das sei ein bildungspolitisches, aber auch ein soziales Problem. Was hilft? Mehr Personal in Kita und Schule, eine individuelle Betreuung und Maßnahmen, die auch das familiäre Umfeld der Kinder erreichten.

Kritik am Ministerium

In Nordrhein-Westfalen lag der Anteil dem Ministerium zufolge mit 27 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt. So sei in den Familien von 167.800 Kindern vorrangig eine andere Sprache gesprochen worden. Im Westen der Bundesrepublik lag der Wert den Angaben zufolge mit 24 Prozent doppelt so hoch wie im Osten (12 Prozent). Mit rund fünf Prozent sei die Zahl in Mecklenburg-Vorpommern besonders niedrig gewesen (3.700 von 68.000 Kinder).

Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding zeigte sich besorgt. „Sprache entscheidet, welche Chancen ein Kind im Leben hat", sagte sie den Funke-Zeitungen. Der gestiegene Anteil von Kindern aus Familien, in denen nicht Deutsch gesprochen wird, verlange eine bessere Sprachförderung.

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Suding kritisierte entsprechende Maßnahmen des Bundesfamilienministeriums als nicht ausreichend. So sei das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ zwar „ein wichtiger Baustein, doch die dafür zur Verfügung gestellten Gelder sind unzureichend". Die Mittel des Bundesprogramms müssten ab dem Jahr 2021 deutlich aufgestockt werden.

Maßnahmen nicht spruchreif

Die am Samstag im Rahmen ihrer Bewerbung für den SPD-Landesvorsitz durch Berlin tourende Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Aus der Spitze des Landesverbandes hieß es, die mit den Werten verbundenen Herausforderungen seien zwar bekannt, echte Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht spruchreif. Zunächst sollten die Ergebnisse laufender Modellprojekte abgewartet und diese ausgeweitet werden. Offiziell äußern wollte sich mit Raed Saleh auch der zweite Teil des designierten Spitzenduos der Berliner SPD zu dieser Frage nicht – die in die Zuständigkeit des von seiner Partei geführten Bildungsressorts fällt.

Aus der Bildungsverwaltung selbst hieß es, die Sachlage sei bekannt, eine wesentliche Verschärfung der dadurch entstehenden Probleme aber nicht erkennbar. Zwar steige der Anteil der sogenannten „Kinder nicht deutscher Herkunft“ im Kita- und Schulbetrieb. Allerdings liege der Anteil von Kindern mit Bedarf an Sprachförderung seit Jahren konstant bei rund 17 Prozent. Eine Sprecherin erklärte, dass unter das Kriterium „nicht deutscher Herkunft“ Kinder aller Eltern fallen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Unter ihnen seien Geflüchtete, aber auch der Arbeit wegen Zugezogene aus dem europäischen Ausland. Es gebe Kinder aus der Gruppe „nicht deutscher Herkunft“, die keine Sprachförderung bräuchten, genau wie jene mit Förderbedarf und ohne Migrationsgeschichte.

Aktuell können Kitas mit besonderem Förderschwerpunkt aus dem Bundesprogramm „Sprach-Kitas" pro Jahr 25.000 Euro bekommen. Wie das Ministerium in der Regierungsantwort erklärt, soll die Förderung auch im Jahr 2021 weiterhin 25.000 Euro betragen. Damit wäre die Förderhöhe seit 2016 unverändert. Bundesweit ist etwa jede zehnte Kita eine sogenannte Sprach-Kita.

Bildung eingeschränkt

Die Coronavirus-Pandemie habe die sprachliche Bildung im frühkindlichen Bereich vor große Herausforderungen gestellt, erklärte das Bundesfamilienministerium in seiner Antwort. Vor allem die weitreichenden Kita-Schließungen hätten viele Bildungsmöglichkeiten eingeschränkt. Das Bundesprogramm habe seine Arbeit an die neuen Bedingungen angepasst und entwickele Bildungskonzepte, die die Gegebenheiten der Corona-Pandemie berücksichtigen. Gute Praxisbeispiele für Bildungs- und Kontaktangebote unter Pandemiebedingungen würden auf der Online-Plattform des Programms bereitgestellt.

Martin Hoyer, stellvertretender Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und 20 Jahre lang Referent für Kinder und Kindertagesstätten, verweist auf die regionale Ungleichverteilung des Problems. „Es gibt Kitas, die betreuen zu 80 bis 95 Prozent Kinder nicht deutscher Herkunft. Diese müssten besonders gut ausgestattet sein, sind es unserer Ansicht nach aber oft nicht“, erklärt Hoyer. Klassische Förderprogramme seien umstritten, die pädagogisch erwünschte Einzelbetreuung förderbedürftiger Kinder mangels Personal oft nicht möglich, sagt Hoyer.

Hinzu kommt: Längst nicht alle Kinder mit geringen Deutschkenntnissen besuchen tatsächlich auch eine Kita. Laut dem „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann-Stiftung wurden 2019 nur 91,1 Prozent aller Kinder zwischen drei und sechs Jahren in Berlin in einer Kita betreut. Der Anteil von Kindern nicht deutscher Herkunft unter den nicht betreuten Kindern dürfte groß sein, sagt Hoyer. (mit AFP, epd)

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