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Abgemagert bis auf die Knochen. Fatima ist zwölf Jahre alt – und wiegt gerade einmal zehn Kilogramm. Millionen Kinder im Jemen hungern.

© Khaled Abdullah/Reuters

Jemens Katastrophe: 24 Millionen Jemeniten brauchen Hilfe

Vor einem Jahr schien es, als könnte das Land Armut, Hunger und Krieg hinter sich lassen. Doch die Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Der Jemen steht am Abgrund.

Hoffnung ist im leidgeplagten Jemen ein sehr rares Gut. Aber vor einem Jahr gab es zumindest einen Schimmer. Am 13. Dezember 2018 einigten sich die Hauptkriegsparteien – die von Saudi-Arabien geführte Militärallianz und die aufständischen Huthis – nach mühsamen Verhandlungen in Stockholm auf ein Deeskalations-Abkommen.

Das erklärte Ziel: eine Waffenruhe in strategisch wichtigen Regionen wie der Hafenstadt Hodeidah am Roten Meer, um damit eine bessere Versorgung der Millionen Bedürftigen zu ermöglichen. Doch auch wenn die Intensität der Kämpfe etwas abgenommen hat, kann von Entspannung oder gar Frieden keine Rede sein. Im Jemen wird nach wie vor gelitten, gehungert und getötet. Und das tagtäglich tausendfach.

Der Krieg

Der Krieg in Jemen speist sich nicht nur aus inneren Konflikten im ärmsten Land der arabischen Welt, sondern auch aus dem regionalen Streit zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Vor mehr als vier Jahren griff die saudische Koalition arabischer Staaten mit westlicher Unterstützung in den Kampf zwischen der jemenitischen Regierung und der vom Iran unterstützten Huthi-Miliz ein.

Trotz ihrer militärischen Überlegenheit hat die Allianz die Aufständischen bis heute nicht besiegen können, im Gegenteil. Die schiitisch geprägten Huthis greifen vielmehr ihrerseits sogar Ziele in Saudi-Arabien mit Raketen und Drohnen an.

Im Jemen selbst nehmen beide Seiten so gut wie keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. So bombardiert das Militärbündnis völkerrechtswidrig Schulen, Kliniken und Märkte. Die Einheiten der Huthis – auf ihrer Fahne ist zu lesen: „Gott ist groß, Tod Amerika, Tod Israel, Fluch auf die Juden, Sieg dem Islam“ – feuern etwa mit Artillerie auf Wohnhäuser. Zehntausende Menschen sind bisher umgekommen.

Der Westen

Militärische Unterstützung des Westens für die saudische Allianz sind ein wichtiger Faktor im Jemen-Krieg. Bis zum vergangenen Jahr wurden Kampfjets des Königreichs von US-Flugzeugen in der Luft betankt. Die USA liefern auch Waffen und Munition.

So stammte eine Bombe, die bei einem Luftangriff im August 2018 mindestens 50 Schulkinder im Norden Jemens tötete, aus amerikanischer Herstellung. Auch deutsche Unternehmen sollen verwickelt sein. Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben deshalb beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Strafanzeige gestellt, wie „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR berichten.

Verheerende Folgen. Immer wieder werden auch zivile Ziele von der Militärkoalition bombardiert. 2016 gab es beispielsweise eine Attacke auf eine Trauerfeier.
Verheerende Folgen. Immer wieder werden auch zivile Ziele von der Militärkoalition bombardiert. 2016 gab es beispielsweise eine Attacke auf eine Trauerfeier.

© Khaled Abdullah/Reuters

Die Anzeige richtet sich demnach unter anderem gegen Rheinmetall. Die Bomben des Düsseldorfer Konzerns würden mutmaßlich im Jemen eingesetzt. Der europäische Flugzeugbauer Airbus wurde ebenfalls angezeigt, weil die saudische Luftwaffe Airbus-Maschinen in dem Konflikt einsetze.

Die Hoffnung

Angesichts der verfahrenen Lage wurde das Abkommen von Stockholm weltweit begrüßt. Unter Vermittlung der UN einigten sich die jemenitische Regierung und die Huthis unter anderem auf einen Waffenstillstand und eine Demilitarisierung der Gegend um den Hafen Hodeidah, der für die Versorgung der notleidenden Bevölkerung mit Hilfsgütern wichtig ist.

70 Prozent des Warenverkehrs werden über den Hafen abgewickelt. Auch ein Gefangenenaustausch wurde vereinbart. Die UN hofften, mit diesen Abmachungen den Weg zu Verhandlungen über ein generelles Ende des Krieges ebnen zu können.

Bekenntnis der Huthis. „Gott ist groß, Tod Amerika, Tod Israel, Fluch auf die Juden, Sieg dem Islam“ steht auf der Fahne.
Bekenntnis der Huthis. „Gott ist groß, Tod Amerika, Tod Israel, Fluch auf die Juden, Sieg dem Islam“ steht auf der Fahne.

© Khaled Abdullah/Reuters

Davon ist das Land allerdings heute weit entfernt. Kaum war das Stockholmer Abkommen unter Dach und Fach, stritten sich die Konfliktparteien über die Auslegung der gerade erst ausgehandelten Übereinkunft. Dennoch: Einige Punkte der Vereinbarung von Stockholm sind zumindest teilweise umgesetzt worden.

So schickte Saudi-Arabien vor Kurzem 200 feindliche Kämpfer aus der Gefangenschaft nach Hause und erlaubte medizinische Hilfsflüge aus der von den Huthis besetzten Hauptstadt Sanaa. Ende November meldete sich der UN-Gesandte für Jemen, Martin Griffith, mal mit einer guten Nachricht. Die Zahl der Luftangriffe in dem kriegszerstörten Land sei um 80 Prozent zurückgegangen, erklärte Griffith, der sonst nicht sehr viel Positives zu berichten hat.

Doch nur wenige Tage später zeigte sich, wie trügerisch die Hoffnung auf Frieden im Jemen meistens ist. Bei einem Luftangriff der saudischen Kriegskoalition in der Nähe von Hodeidah wurden acht Kämpfer der Huthi-Rebellen getötet. Auch in anderen Teilen des Landes werde weitergekämpft, heißt es bei der Denkfabrik International Crisis Group.

Das Elend

Schon seit vielen Jahren wird der Jemen von bewaffneten Konflikten heimgesucht. Aber als Saudi-Arabien im März 2015 eingriff – um Ruhe im „Hinterhof“ des Königreichs zu schaffen und den Einfluss Irans einzudämmen –, wirkte sich das verheerend aus.

Der Krieg hat in den vergangen viereinhalb Jahren das Armenhaus der arabischen Welt in seiner ohnehin fast nicht messbaren Entwicklung um 20 Jahre zurückgeworfen. Das Gesundheitssystem existiert nicht mehr, nur ein Teil der Krankenhäuser funktioniert noch.

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Die Wirtschaft hat schweren Schaden genommen. Die Währung verlor erheblich an Wert. Jobs sind Mangelware. Angestellte im öffentlichen Dienst bekommen kein Gehalt mehr. Die Preise für Sprit und Grundnahrungsmittel haben für die meisten Jemeniten schwindelerregende Höhen erreicht.

Die Folgen des Zusammenbruchs sind dramatisch und suchen weltweit ihresgleichen. 24 Millionen Jemeniten – das sind 80 Prozent der Bevölkerung – benötigen jeden Tag humanitäre Hilfe. Ihnen mangelt es an allem.

Frank Mc Manus, bei der Hilfsorganisation International Rescue Committee zuständig für den Jemen, fasst die Lage so zusammen: „Obwohl das Stockholmer Abkommen fast ein Jahr alt ist, verwüstet der Konflikt das Land weiterhin, verdrängt mehr Familien, führt zum Versagen lebensrettender öffentlicher Dienstleistungen, zerstört, was von der Wirtschaft übriggeblieben ist und schädigt lebenswichtige Infrastruktur.“

Vor allem leidet der Jemen Hunger. Dem Welternährungsprogramm (WFP) zufolge gehen fast 16 Millionen Kinder, Frauen und Männer Tag für Tag hungrig zu Bett, zwölf Millionen Bedürftige werden von WFP mit Lebensmittelhilfen unterstützt.

Für die UN-Organisation ist Jemen der größte Einsatz weltweit. „Es ist wirklich tragisch, dass der Jemen immer noch die größte Hungerkrise der Welt ist. Sie ist von Menschen verursacht und hat Millionen fast in eine Hungersnot gestürzt“, sagt WFP-Direktor David Beasley auf Anfrage des Tagesspiegels. Die Situationen habe sich in den schwierigsten Gebieten zwar etwas verbessert. „Aber immer noch droht eine Hungersnot. Diese Krise wird so weitergehen, bis es einen andauernden, richtigen Frieden gibt.“

Hinzu kommt: Wer nicht ausreichend zu essen hat und kein sauberes Trinkwasser nutzen kann, der wird schneller krank. Kein Wunder, dass der Jemen von Seuchen geplagt wird. Cholera wütet bereits im Land. Kürzlich schlug das Rote Kreuz Alarm, weil auch noch eine Dengue-Fieber-Epidemie ausgebrochen ist.

Die Kinder

Armut, Krankheit, Hunger und Krieg setzen vor allem den Kleinsten und Schutzlosesten zu. Für Millionen Mädchen und Jungen ist Kindheit ebenso ein Fremdwort wie Normalität. Der Schulweg und Schulbesuch? Lebensgefährlich. Spielen vor dem Haus? Kann tödlich enden. Schätzungsweise mehr als eine Million Kinder wohnen in unmittelbarer Nähe von Kampfzonen, oft sogar entlang der sich immer wieder verändernden Frontlinien.

In einem neuen Bericht der Hilfsorganisation Save the Children heißt es: „Zwischen Januar und Oktober 2019 wurden jeden Monat durchschnittlich 33 Kinder durch Kämpfe getötet oder verletzt.“ Einige der sogenannten kinderfreundlichen Räume habe man aus Sicherheitsgründen für drei Monate schließen müssen. Dadurch verloren 700 Kinder einen geschützten Ort zum Spielen, Lernen und Ausruhen.

Ohne Abwehrkraft. Hunderttausende Jemeniten sind an Cholera erkrankt.
Ohne Abwehrkraft. Hunderttausende Jemeniten sind an Cholera erkrankt.

© Mohammed Mohammed/imago/Xinhua

Neben den Bombardements ist der Hunger die größte Bedrohung für jemenitische Kinder. Landesweit leiden zwei Millionen Kinder an akuter Mangelernährung; 360.000 von ihnen sind so schwer unterernährt, dass sie jederzeit sterben können. Nach Informationen von Save the Children sind allein zwischen April 2015 und Oktober 2018 fast 85.000 Mädchen und Jungen unter fünf Jahren verhungert.

Adeeyah, eine jemenitische Mutter, die vom International Rescue Committee versorgt wird, beschreibt Jemens Horror so: „Wir sahen den Tod. Wir entkamen den Granaten, indem wir uns in den Wurzeln der Bäume versteckten. Luftangriffe über uns und Raketen der Huthis vor uns. Meine Kinder standen nachts auf und schrien vor Angst. Früher träumte ich davon, ein eigenes Haus zu haben. Der Krieg zerstörte unsere Träume und unsere Zukunft. Nun träume ich nur noch von Frieden und Sicherheit.“

Wie Millionen andere Jemeniten.

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