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Russland fliegt heftige Angriffe in der Ostukraine.

© Aris Messinis/AFP

„Jetzt kämpfen sie, wie wir es erwartet haben“: Militärexperten sehen deutliche Veränderung der russischen Taktik

Russland habe aus den verlustreichen ersten Wochen gelernt, sagt Experte Kofman. Der ehemalige US-General Ryan sieht den Ukraine-Krieg „am Ende des Anfangs“.

Militärexperten zufolge befindet sich die Ukraine inmitten einer der gefährlichsten Kriegsperioden des russischen Angriffskriegs. Das machen sie daran fest, dass Russland durch eine veränderte Vorgehensweise deutliche Fortschritte macht.

Militärexperte Michael Kofman sagt, dass Russland offensichtlich aus den ersten Wochen des Kriegs gelernt hat. Rund um die ukrainische Hauptstadt Kiew hatten die russischen Truppen einen Großteil ihrer Verluste im bisherigen Verlauf des Kriegs hinnehmen müssen.

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„Jetzt kämpfen die Russen, wie wir es erwartet haben“, sagt Kofman im Podcast „War on the rocks“. Kofman hat in den vergangenen Jahren mehrere Bücher und Artikel zu den russischen Streitkräften publiziert, in letzter Zeit vor allem zum Krieg in der Ukraine. „Russland macht keine dummen Fehler mehr und schafft es, sich dem Vorgehen der Ukraine anzupassen.“

In den ersten Wochen des Kriegs waren die russischen Truppen von Angriffen auf den Konvoi, der den Nachschub in die Gegenden rund um Kiew bringen sollte, überrascht worden. „Sie kämpfen nun besser und schaffen es, in den umkämpften Gebieten nachzulegen. Die Logistik funktioniert deutlich besser“, sagt Kofman.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten auch im Donbass hat es Russland mittlerweile geschafft, eine Nachschubroute instand zusetzen. Über weite Teile des Weges vom Militärstützpunkt im russischen Belgorod bis nach Isjum, dem Einfallstor in den Donbass, verläuft nun sogar eine Bahnstrecke.

Kofman stellt fest, dass Russland aufgrund des Nachschubs nun in Sjewjerodonezk beispielsweise nahezu pausenlos angreifen kann und den Ukrainern dadurch keine Pausen gibt, die sie bräuchten, um sich zu sammeln und Gegenoffensiven zu starten. So wie in Kiew geschehen.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der Ukraine derzeit die notwendigen Waffen ausgehen. Vor allem Artilleriegeschütz und Luftabwehrraketen fehlen, berichtet das ukrainische Militär. Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte zuletzt, dass sein Land ohne die Lieferung weiterer schwerer Waffen nicht in der Lage sei, sich zu verteidigen.

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„Sich die ersten Wochen eines Krieges anzuschauen, vermittelt selten ein geeignetes Bild davon, was eine Partei zu leisten im Stande ist“, sagt Kofmann. Allerdings ist die Herausforderung für Russland im Donbass derzeit groß. Denn: So wie es aussieht, wollen die russischen Truppen die Ukrainer einkesseln. Dafür müssen sie einerseits die ukrainischen Streitkräfte durch Dauerangriff im Kessel zu halten und andererseits die vier Seiten schließen.

Der ehemalige US-General Mick Ryan vermutet, dass das russische Hauptaugenmerk auf dem Landgewinn liegt – und nicht auf der Vernichtung der ukrainischen Streitkräfte um jeden Preis. Das Ziel ist offensichtlich, die gesamte Region Luhansk einzunehmen. Russland hatte den Militäreinsatz in der Ukraine damit gerechtfertigt, für Sicherheit im Donbass zu sorgen. Die Vernichtung der Ukrainer vor Ort würde laut Ryan nicht zu diesem Narrativ passen.

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„Auch wenn Russland aus den ersten Wochen des Krieges gelernt hat und es nun schafft, Truppen an einem Ort zu konzentrieren, nimmt das russische Militär mit der Aufgabe im Donbass hohe Verluste in Kauf“, schreibt Ryan auf Twitter. Ryan glaubt, dass sich der Krieg „am Ende des Anfangs“ befindet.

Kofman berichtet im Podcast „War on the rocks“ außerdem, dass Russland alles daransetzt, keine Wehrpflichtigen einsetzen zu müssen. Stattdessen würde das Militär versuchen, freiwillige Soldaten zu finden oder Reservisten kampffähig zu machen. Das Geld, das sie ihnen dafür zahlen, sei in den vergangenen zwei Monaten stetig angestiegen.

Russland setzt auf Kriegsmüdigkeit des Westens

Allerdings sind die sogenannten „dritten Bataillone“, die die neu eingesetzten Soldaten kampffähig machen sollen, in dieser Zeit wiederum nicht kampffähig – ebenso das Equipment. Über diese Schwierigkeit, dass neue Soldaten nicht sofort eingesetzt werden können und zudem Ressourcen binden, berichtet auch das US-Thinktank „Institute fort he Study of War“.

Kofman geht davon aus, dass die Partei den Krieg für sich entscheiden wird, die ökonomisch, logistisch, materiell und politisch am längsten durchhält. Die Ukraine ist dabei abhängig vom Westen, speziell Waffenlieferungen. Sollte der Westen die Ukraine weiter unterstützen, könne der Krieg noch Monate, wenn nicht Jahre dauern.

Russland glaubt ihm zufolge nicht, dass es verlieren könnte. Die russische Führung setze darauf, dass der Westen kriegsmüde werden könnte und die gelieferten Waffen keinen großen Unterschied machen. Die Zeit ist auf unserer Seite, so laute das Credo.

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