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Ein Gottesdienst in der Synagoge in Chemnitz.

© picture alliance / Hendrik Schmidt

Jüdische Zuwanderer: Initiative will Altersarmut bekämpfen

Jüdischen Zuwanderern aus der früheren Sowjetunion droht hierzulande Altersarmut. Ein Initiative drängt, dies zu verhindern - und legt einen Gesetzentwurf vor.

„Zedek“ ist hebräisch und bedeutet Gerechtigkeit. Unter diesem Namen haben vor einiger Zeit mehr als 80 Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft die Bundesregierung und das Parlament aufgefordert, die Altersarmut unter jüdischen Zuwanderern in Deutschland zu bekämpfen. Nun hat die Initiative dazu einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Seit 1990 kamen etwa 200.000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland, sie stellen heute die Mehrheit in den Gemeinden. Während Spätaussiedler ihre in den Staaten der früheren Sowjetunion geleisteten Berufsjahre für die Rente anrechnen lassen können, haben jüdische Zuwanderer aus denselben Ländern diese Möglichkeit nicht. Deswegen sei mehr als ein Drittel von ihnen heute auf Sozialhilfe angewiesen, sagte Sergey Lagodinsky, der dem Parlament (Repräsentantenversammlung) der Jüdischen Gemeinde zu Berlin angehört.

"Holocaust-Überlebende werden in Deutschland vor Gericht gezerrt"

„Es ist unverantwortlich und heuchlerisch, wenn Regierungsvertreter in allen Erinnerungsveranstaltungen hervorheben, dass es wieder ein blühendes jüdisches Leben in Deutschland gibt, und sie gleichzeitig nicht sehen wollen, wie dieses Leben wirklich aussieht“, sagte Lagodinsky dem Tagesspiegel. „Denn das jüdische Leben in Deutschland ist nicht immer blühend.“ Denjenigen alten Menschen, die noch eine kleine Rente aus dem Herkunftsland erhielten, werde die Unterstützung gekürzt, notfalls mit juristischen Mitteln: „Holocaust-Überlebende werden in Deutschland vor ein Strafgericht gezerrt und behandelt, als seien sie Betrüger“, kritisierte Lagodinsky.

Gemeinsam mit dem früheren Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck und dem Wissenschaftler Micha Brumlik hat er im vergangenen Jahr die Initiative „Zedek“ gestartet.

In dem nun von der Initiative vorgelegten Gesetzesvorschlag werden zwei bereits seit Längerem zur Diskussion stehende Konzepte miteinander verknüpft: die Gleichstellung von jüdischen Kontingentflüchtlingen und Spätaussiedlern im Rentenrecht soll zusätzlich durch einen Härtefall-Fonds ergänzt werden. „Jüdische Zuwanderer und Spätaussiedler müssen endlich im Rentenrecht gleichgestellt werden“, sagte Beck. Für diejenigen, bei denen eine Erhöhung der Rente selbst dann noch an rechtlichen Hürden scheitere, könne der Fonds für Härtefälle greifen. „Von diesem Fonds würden auch die Spätaussiedler profitieren, deren Renten zu niedrig sind.“  

"Wir nehmen niemandem etwas weg"

Die Initiative „Zedek“ will zugleich dem Vorwurf entgegentreten, Juden und Russlanddeutsche würden gegeneinander ausgespielt. Es gehe nicht darum, „das Schicksal der Deutschen aus Russland kleinzureden“, betonte Lagodinsky. „Wir nehmen niemandem etwas weg.“

Sein Mitstreiter Volker Beck kritisiert, dass die Bundesregierung bisher eine rechtliche Gleichstellung von jüdischen Zuwanderern und Spätaussiedlern mit dem Argument abgelehnt hatte, die jüdischen Zuwanderer seien nicht deutschstämmig. Es gebe keinen Grund, Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zu machen. „Das aschkenasische Judentum ist das Judentum vom Rhein“, sagte Beck.

Das Problem der Altersarmut bei jüdischen Zuwanderern ist seit vielen Jahren bekannt. Doch erst jetzt gibt es zumindest ein wenig Bewegung bei dem Thema: Der Bundesrat forderte die Regierung im Februar auf, sich dafür einzusetzen, dass jüdische Holocaust-Überlebende aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion einen eigenständigen Rentenanspruch erhalten, damit sie im Alter nicht länger auf Grundsicherung angewiesen sind. Im Bundestag brachten derweil FDP, Grüne und Linke einen gemeinsamen Antrag ein, in dem sie eine verbesserte Alterssicherung für jüdische Zuwanderer fordern.

Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag lediglich auf einen Fonds für Härtefälle verständigt. Eine Anpassung im Rentenrecht lehnt die Bundesregierung aber weiter ab.

Zu den Erstunterzeichnern von „Zedek“ gehören die ehemaligen Bundesminister Rita Süssmuth (CDU), Herta Däubler-Gmelin (SPD) und Gerhart Baum (FDP), der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), die Schriftsteller Wladimir Kaminer und Navid Kermani, der Liedermacher Wolf Biermann, zahlreiche Wissenschaftler sowie Vertreter jüdischer Gemeinden.

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