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Vergnügt: Olaf Scholz am Montag vor dem Finanzausschuss des Bundestags.

© Michele Tantussi/Reuters

Der Kandidat, der Finanzausschuss und die letzte Wahlkampfwoche: Kann Olaf Scholz noch stolpern?

Bei der Geldwäschekontrolle geschlampt - und nicht nur das? Die Gegner der SPD hoffen darauf, dass die Bilanz des Finanzministers noch eine Rolle spielt.

Auch für Politiker gilt die Erfahrung, dass man eher über die kleinen als die großen Wurzeln stolpert. Dass Olaf Scholz am Montag vor den Finanzausschuss des Bundestags bestellt worden ist, hat ihm und seinem Umfeld daher gar nicht gefallen. Die Nervosität ist groß im Wahlkampfendspurt. In diesem Jahr ist sie bei der SPD sogar noch etwas größer, weil das Ergebnis zu unwägbar ist – angesichts einer großen Unentschlossenheit der Wähler und Wählerinnen und eines eigenen Vorsprungs in den Umfragen, der zwar stabil, aber auch nicht üppig ist.

Der Anlass für die Befragung ist kein wirklich großer Skandal. Eine kleine Wurzel also. Es gibt staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen die Zollbehörde, die mit dem Sammeln und Weitergeben von Geldwäsche-Verdachtsfällen beschäftigt ist. Diese „Financial Intelligence Unit“ (FIU, der Name klingt toller als es der Sache angemessen ist) hat es in der Frühzeit des Finanzministers Scholz versäumt oder unterlassen, einen mutmaßlich gravierenden Verdachtsfall weiterzuleiten. Ermittelt wird seit längerem, vor einer Woche gab es eine „Razzia“ im Finanzministerium.

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Die Oppositionsparteien und auch die Noch-Koalitionspartnerin haben die Gelegenheit für eine Inszenierung genutzt, in der letzten Woche des Wahlkampfes, die gern als die entscheidende gilt. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass Wolfgang Schmidt, Finanz-Staatssekretär und einer der engsten Vertrauten des früheren Hamburger Bürgermeisters, mit einer unglücklichen Twitter-Aktion sozusagen einen Köder legte. Schmidt veröffentlichte einen Teil des Durchsuchungsbeschlusses, um zu zeigen, dass es sich um eine Wahlkampfaktion politischer Gegner handeln könnte.

Eine solche Veröffentlichung aber ist strafbar, Durchsuchungsbeschlüsse dürfen nicht auf Twitter herumgereicht werden und auch anderswo nicht. Kleine Justizbeamte haben da schon mal große berufliche Probleme bekommen. Schmidts Nervosität muss größer gewesen sein als die gebotene Vorsicht und Zurückhaltung. Gegen ihn wird nun ermittelt.

"Chaos, Sumpf, Behörden nicht im Griff"

So musste der Kanzlerkandidat der SPD am Montag in den Finanzausschuss, um sich – in nicht-öffentlicher Sitzung – die Fragen der versammelten Wahlkampfgegner anzuhören. Und deren erwartbar formulierten Mitteilungen zur Kenntnis zu nehmen. Etwa die von Lisa Paus, der Grünen-Finanzpolitikerin, die ihm Selbstdarstellung statt Aufklärung vorwarf. „Olaf Scholz hat nicht genug getan zur Bekämpfung von Geldwäsche: Das Chaos bei der FIU wurde nicht abgestellt und Deutschland ist weiterhin Geldwäsche-Sumpf. Die politische Verantwortung dafür trägt Olaf Scholz.“ Wie schon im Wirecard-Skandal, so nun auch hier: „Olaf Scholz hat seine Behörden nicht im Griff.“

Ähnlich der Tenor anderer Finanzpolitiker, die meist auch im Wirecard-Untersuchungsausschuss saßen, in dem Scholz vor einigen Monaten einen Auftritt hatte, um seine Rolle und die seiner Führungscrew in der Betrugs- und Pleiteaffäre um den Zahlungsdienstleister zu erklären. In der Posse also um das Unternehmen, das in der ganzen Regierung als globaler Champion galt – während außerhalb der Koalition längst Zweifel aufgekommen waren an Substanz und Seriosität der dubiosen Firma.

Gemeinsam unterwegs: Olaf Scholz und sein Vertrauter Wolfgang Schmidt bei einer Konferenz in Riad im Februar 2020.

© imago images/photothek

Wirecard und Warburg-Bank

Die Wirecard-Affäre war eine etwas größere Wurzel. Doch Scholz hat den Untersuchungsausschuss überstanden, weil die Abgeordneten in der kurzen, verfügbaren Zeit zu wenig herausfanden, was den Finanzminister und sein Umfeld stärker belastet hätte als andere in der Politik. Es war, wie häufig bei Scholz, von "Teflon" die Rede. Aber Scholz musste reagieren – er trennte sich unter anderem von Chefs nachgeordneter Behörden, die noch mehr gepennt hatten als das Ministerium selbst, und hielt sich dann zugute, er sei ein Antreiber beim Umbau der Bilanzkontrolle.

Eine Stolpergelegenheit war und ist auch die Affäre um den massiven Dividendenbetrug, der mit dem fürs breite Publikum unverständlichen Kürzel „cum ex“ verbunden ist. Darin war die Hamburger Privatbank Warburg verwickelt, die deswegen 2016 – Scholz regierte die Hansestadt – eine Steuernachzahlung von 47 Millionen Euro hätte leisten sollen. Die Hamburger Finanzverwaltung trieb das Geld zunächst nicht ein, das Bundesfinanzministerium musste das veranlassen. In einem Untersuchungsausschuss des Stadtparlaments geht es nun darum, welche Rolle Scholz dabei spielte. Die Veröffentlichung des Protokolls einer Befragung von Scholz im Bundestags-Finanzausschuss vom Juli 2020 wird seit Tagen von seinem Ministerium hinaus gezögert.

Vom Vizekanzler zum Kanzlerkandidaten

Der Kanzlerkandidat der SPD hat 2018 sein Amt als Finanzminister übernommen, um es auch als Vizekanzleramt für seine Partei zu nutzen und, immer damit verbunden, für seine Ambitionen, der nächste Kanzler zu werden. Sein Tun und Lassen als Minister war immer mit diesem Weitblick versehen. Nicht immer ging das gut. Gleich zu Beginn, heute vergessen, wollte Scholz mit einem strammen Alleingang bei der Grundsteuerreform punkten, musste aber zuschauen, wie ihm das Projekt entglitt. Pluspunkte sollte auch sein Einsatz für eine höhere Besteuerung internationaler Konzerne liefern. Das war in der Sache glaubhaft, aber er blieb dabei immer ein wenig blass – die Furcht vor den Wurzeln auf diesem schwierigen Terrain mag da eine Rolle gespielt haben.

„Wumms“ und „Bazooka“ sollten in der Pandemie dann das Bild eines entschlussfreudigen Scholz prägen. Aber die Wochen der Milliarden-Ankündigungen sind lange her, geblieben ist vor allem die Frage, wie der gewaltige Schuldenberg, der da zusammengewummst wurde (auch von der Union, keine Frage) abgetragen werden soll.

Brandt, Schmidt, Schröder - hat er das Niveau?

Im Vergleich mit einem unpopulären CDU-Chef und einer unterprofilierten Grünen-Politikerin steht Scholz gut da. Aber für sich genommen? Genau diese Frage könnten sich unentschlossene Wähler, rechts wie links der Mitte, in der letzten Wahlkampfwoche stellen. In die ist Scholz zwar als Favorit auf das Kanzleramt gegangen. Nun wird er aber nicht nur an Armin Laschet und Annalena Baerbock gemessen, sondern an den Vorgängern im Amt, an Angela Merkel, Gerhard Schröder, Helmut Kohl und – wo die Erinnerung reicht – an den SPD-Größen Helmut Schmidt und Willy Brandt. Hat er das Niveau?

Zweifel zu streuen ist ein legitimes Mittel im Wahlkampf. Mit dem Verlangen, vor dem Finanzausschuss aufzutreten, haben Union, Grüne, FDP, Linke und AfD es genutzt. Wieder fällt danach das Wort vom "Teflon-Politiker". Schon das Eingangsstatement von Scholz, erzählt ein Beteiligter, habe eine halbe Stunde gedauert - zur Arbeit der FIU, aber ohne Nachrichtenwert.

Ob das Herbeizitieren des SPD-Kanzlerkandidaten hilft? Regen sich noch Zweifel an der Kanzlerfähigkeit des SPD-Spitzenkandidaten bei genügend Wählern? Die Gegner hoffen. Scholz hofft auch.

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