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Menschen in Sachsen demonstrieren gegen einen Wahlkampfauftritt der Kanzlerin im August 2017.

© Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild

Kanzlerin bei der Sachsen-CDU: Merkel besucht die Merkel-Kritiker

Kanzlerin Angela Merkel ist zu Gast bei der CDU in Sachsen. Die sieht Merkels Flüchtlingspolitik alles andere als wohlwollend.

Von Matthias Meisner

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verortet die Feinde seiner Partei sowohl links als auch rechts - und bewahrt damit die langjährige Tradition der Freistaat-Union. Er schließe eine Kooperation mit den Linken "genauso rigoros" aus wie eine Zusammenarbeit mit der AfD, sagt der Regierungschef am Donnerstag früh im ZDF-"Morgenmagazin". Just am Tag also, an dem Merkel bei der CDU Sachsen zu Gast sein will. Nach einem Firmenbesuch in Neukirch in der Lausitz trifft sie sich am Nachmittag in Dresden mit der 59-köpfigen CDU-Landtagsfraktion.

Viele der CDU-Funktionäre in Sachsen sehen die Politik der Kanzlerin kritisch - besonders ihren Kurs in der Asylpolitik. Geht es um die Abwehr von Migranten, fühlt sich die Landespartei oftmals der CSU näher als der Bundes-CDU. Abschiebehindernisse müssten beseitigt werden, verlangt etwa der sächsische CDU-Fraktionschef Frank Kupfer. Und schon vor dem Treffen mit der Kanzlerin verbirgt er nicht, dass sein Verhältnis zu Merkel angespannt ist: "Wir waren dort schon immer mit einer eigenen Meinung im Bund aktiv."

Der Oppositionsführer im Dresdner Landtag, Linksfraktionschef Rico Gebhardt, sieht sogar "beachtliche Schnittmengen" zwischen der Sachsen-CDU und der AfD. Davon ist der Linke überzeugt, obwohl die AfD in Sachsen besonders rechts aufgestellt ist. "Es ist allgemein bekannt, dass die sächsische Union eine absolute Rechtsaußen-Position unter allen CDU-Landesverbänden einnimmt", betont Gebhardt. Anders als seine Parteifreunde in anderen Bundesländern mag sich der Linksfraktionschef deshalb nicht einmal vorstellen, dass es zu einer Tolerierung einer CDU-geführten Landesregierung kommen könnte, sollte nur so eine AfD-Regierungsbeteiligung verhindert werden können.

Kretschmer: Welten zwischen Linkspartei und CDU

Wenigstens in der gegenseitigen Ablehnung gibt es Übereinstimmung. Auch Kretschmer meint: "Zwischen der Linkspartei und der CDU sind Welten." Wahrheitswidrig wirft er der Linkspartei vor, dass sie sich niemals für die Toten an der Mauer entschuldigt habe. Beobachter der politischen Szene in Sachsen hatten der Freistaat-CDU immer wieder eine einseitige Abgrenzung nach links vorgeworfen und an ihrer klaren Absage an ein Bündnis mit der AfD gezweifelt. Der frühere sächsische Grünen-Politiker Hubertus Grass schrieb vor drei Jahren: "Links - da steht der Feind. Rechts - da geht es aus Sicht der CDU in Sachsen um Wählerstimmen." Immer wieder hat es in der Vergangenheit an der Abgrenzung der CDU nach rechts außen gemangelt. Erst im März verteidigte Kretschmer, dass zu einem "Bürgerdialog" auch ein bekannter Neonazi aus Bautzen eingeladen worden ist.

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Die Frage neuer Bündnisse und Kooperationen könnte sich im Spätsommer kommenden Jahres neu stellen, wenn in Sachsen die nächste Landtagswahl stattfindet. Die derzeitige CDU-SPD-Regierung muss den Verlust ihrer Mehrheit fürchten. Jüngste Prognosen zeigen, dass die AfD nach der Bundestagswahl im vergangenen Herbst, auf der sie die CDU in Sachsen knapp auf Platz zwei verwies, bei der Landtagswahl 2019 einen weiteren Erfolg einfahren dürfte. Der AfD wird vorausgesagt, dass sie der CDU einen großen Teil der bisher regelmäßig gewonnenen Direktmandate abspenstig machen könnte. Bei der Wahl 2014 noch waren alle Direktmandate bis auf eines an die CDU gegangen - lediglich ein Leipziger Wahlkreis wurde von einer Linken-Politikerin gewonnen, Juliane Nagel.

Bürger von Überfremdungsängsten geplagt

Schon bald nach der Wahlniederlage hatten führende CDU-Politiker aus Sachsen Merkel mitverantwortlich gemacht für das Wahldesaster. Bei einer Funktionärskonferenz der sächsischen CDU im Oktober 2017 in Dresden entlud sich der Frust über die Kanzlerin. Kretschmer, damals noch designierter Ministerpräsident, sagte, die Bundestagswahl sei eine "Abstimmung über die Flüchtlingspolitik" seit 2015 gewesen: "Viele haben uns gesagt, wir sind damit nicht einverstanden." Jetzt, zum Merkel-Besuch in Sachsen, analysiert der Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt: "Das Ganze ist zwar auch durch die Bräsigkeit der sächsischen CDU vergeigt worden, aber vor allem durch die Migrationspolitik der Kanzlerin". Deshalb sehe die sächsische CDU ihre "Beschädigung durch die Bundes-CDU" besonders kritisch, wird Patzelt von der Nachrichtenagentur dpa zitiert.

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Tatsächlich hat die Sachsen-CDU in ihrer Flüchtlingspolitik den Ängsten "besorgter Bürger" immer wieder nachgegeben. Dass Rechtsextremismus in Sachsen, Kernland von Pegida, ein großes Problem ist und die Bürger im Freistaat von Überfremdungsängsten geplagt werden, hatten Demoskopen im "Sachsen-Monitor" ermittelt, der im Auftrag der Landesregierung erstellt wurde. Erst diese Woche war bekannt geworden, dass Sachsen bei Angriffen gegen Flüchtlinge klarer Vorreiter ist: Im Freistaat gab es seit Jahresbeginn 106 Straftaten, unter anderem Körperverletzungen, Bedrohungen, Beleidigungen und Nötigungen. Bundesweit waren es im gleichen Zeitraum 627 Angriffe. Damit gab es in Sachsen 17 Prozent der Angriffe bundesweit, obwohl hier nur höchstens fünf Prozent der Bevölkerung leben.

Vor dem Gespräch von Merkel mit der Landtagsfraktion hieß es, die Flüchtlingspolitik werde nicht das zentrale Thema sein. Im ZDF sagt Kretschmer: die CDU müsse die Probleme ansprechen, die es tatsächlich gebe. "Es ist ganz klar, es ist nicht mehr das dominierende Thema Asyl und die Flüchtlingsfrage." Es gehe vielmehr um Themen wie Digitalisierung, Strukturentwicklung, Pflege oder den öffentlichen Personennahverkehr. "Das sind doch die Fragen, die uns wirklich umtreiben. Und wo wir jetzt auch zeigen können, dass wir verstanden haben und dass wir auch schon Lösungen anbieten können."

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