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Der Schleusenraum am Eingang des ABC-Bunkers unter dem Hauptbahnhof.

© Foto: dpa/Daniel Karmann

Katastrophenschutz-Chef Tiesler: „Neue Bunkeranlagen zu bauen, kostet sehr viel Zeit“

Wie gut ist Deutschland im Katastrophenfall gewappnet? Katastrophenschutz-Chef Ralph Tiesler über Stromausfälle, den Nutzen von Sirenen und den Bau von Bunkern.

Herr Tiesler, Sie haben vor einiger Zeit erklärt, wir in Deutschland müssten lernen, dass die Krise zum Alltag gehört. Was konkret heißt das?
Wir haben in den vergangenen Jahren alle gemeinsam die Erfahrung gemacht, dass sich Krisen häufen: Corona-Pandemie, Flutkatastrophe, Dürre und nun Krieg in der Ukraine. Diese krisenhaften Situationen sind in schneller Folge gekommen und zum Teil gleichzeitig. Das bedeutet für uns alle eine neue Belastung. Die Herausforderung ist, dass wir als Menschen lernen müssen, uns darauf einzustellen, dass der Krisenmodus zum Alltag gehört.

Ist denn dieser Krisenmodus bereits genug im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen?
In der Tat sind das Themen, mit denen man sich im Alltag ungern auseinandersetzt. Aber das Bewusstsein wächst. Zu Beginn des Krieges in der Ukraine haben uns viele Menschen angerufen und gefragt, was sie tun können.

Mein Ansatz ist, den Menschen zu vermitteln, dass sie nicht ausgeliefert sind, sondern auch selbst einen Beitrag zu ihrem eigenen Schutz und ihrer eigenen Sicherheit leisten können, bis andere Hilfe zur Stelle ist. Deshalb machen wir vermehrt auf unseren Ratgeber für Notfallvorsorge aufmerksam, denn diese Handlungsempfehlungen stärken die Resilienz der Bevölkerung.

Eine Bedrohung in der Energiekrise sind Stromausfälle. Einen flächendeckenden Blackout in Deutschland halten Experten für unwahrscheinlich. Sorgen vor regionalen Stromausfällen im Winter gelten als eher berechtigt. Wie kann sich denn jeder auf ein solches Szenario vorbereiten?
Momentan werden viele düstere Szenarien gezeichnet. Mir geht es darum zu zeigen, dass man dem nicht ohnmächtig gegenübersteht. Dazu muss man nicht eins zu eins die Checklisten abarbeiten, die wir auf unserer Website haben. Es geht darum, überhaupt etwas zu tun.

Man sollte zum Beispiel ausreichend Wasser zu Hause haben, ein paar Kerzen und ein batteriebetriebenes Radio, damit man im Ernstfall nicht von der Außenwelt abgeschnitten ist. Wer Powerbanks hat, sollte auch die aufladen, um das Handy betriebsbereit zu halten, wenn es Mobilfunknetz gibt. So kann man für ein paar Tage ohne fremde Hilfe auskommen.

Ralph Tiesler (62) ist seit den 90er Jahren als Krisenmanager tätig. Seit Juni ist er Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).
Ralph Tiesler (62) ist seit den 90er Jahren als Krisenmanager tätig. Seit Juni ist er Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).

© Foto: BBK/bundesfoto/Bernd Lammel

Wie rüstet sich Ihre Behörde für so einen größeren Stromausfall?
Für uns als Katastrophenschutz ist das kein neues Thema. Unter dem Namen LÜKEX führen Bund und Länder regelmäßig gemeinsam Krisenmanagement-Übungen durch. Bei der ersten LÜKEX 2004 hatten wir das Thema Stromausfall in Folge eines Extremwetterereignisses. Damals haben wir im Anschluss Empfehlungen entwickelt, wie man sich auf so ein Szenario vorbereiten kann.

Danach ist aber lange nicht viel passiert. Wir erleben zwar immer wieder kleinere Stromausfälle. Die dauern aber oft nur 15, 30 Minuten – die meisten merken das überhaupt nicht. Bei vielen Akteuren ist das Thema Stromausfall nach 2004 aus dem Bewusstsein verschwunden. Jetzt werden alle wieder daran erinnert. Viele Kommunen beispielsweise arbeiten von sich aus an dem Thema, da bieten wir Unterstützung.

Wir sind als Industrieland zwar sehr abhängig von der Stromversorgung kritischer Infrastrukturen, aber wir sind nicht schlecht vorbereitet.

Ralph Tiesler

Wie sieht die aus?
Wir bieten beispielsweise Leitfäden an, an was man alles denken muss. Welche Infrastrukturen sind abhängig von einer konstanten Stromversorgung? Was passiert, wenn der Strom ausfällt? Sind unsere Krankenhäuser vorbereitet? Sind die Notstromaggregate einsatzbereit? Steht genug Treibstoff bereit um sie für 24, vielleicht 48 Stunden betreiben zu können? All das wird überprüft.

Wir geben auch organisatorische Hilfe: Welche Menschen müssen sich im Ernstfall zusammensetzen, um schnell Entscheidungen treffen zu können? Ich denke wir sind in Deutschland insgesamt auf einem guten Weg. Wir sind als Industrieland zwar sehr abhängig von der Stromversorgung kritischer Infrastrukturen, aber wir sind nicht schlecht vorbereitet.

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat dieses Jahr einen „Neustart“ beim Bevölkerungsschutz angekündigt. Gerade laufen die Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2023. Spiegeln die geplanten Finanzmittel diesen „Neustart“ wider?
Das, was wir im ersten Regierungsentwurf stehen haben, reicht nicht. Ich bin derzeit sehr intensiv im Gespräch mit Abgeordneten des Bundestages. Wenn die Politik das Versprechen einlösen will, dass der Bevölkerungsschutz Verstärkung braucht, ist viel mehr Geld nötig. Da bräuchte es allein für meine Behörde mindestens das doppelte des angedachten Betrages.

In Deutschland wurde nach dem missglückten Warntag 2020 ein Sirenenförderprogramm aufgelegt im Umfang für 90 Millionen Euro. Das reichte für 5000 Sirenen – lange nicht genug, sagen Experten. Müsste auch hier mehr getan werden?
Das bundesweite Sirenennetz, das es früher gab, wurde nach dem Ende des Kalten Krieges an die Länder übergeben, die es entweder weiterbetreiben oder abbauen konnten. Die Erkenntnis 2020 war, dass wir unabhängig von den modernen Warnsystemen wieder ein komplettes Sirenennetz brauchen. Der Bund ist in Vorleistung gegangen mit dem Sirenenförderprogramm, um den Ländern für den Ausbau einen Anreiz zu bieten. Aber das reicht natürlich nicht aus. Jetzt müssen die Länder deutlich machen, wie viel auch sie bereit sind zu investieren.

Mit den Mitteln aus dem Sirenenprogramm kann zum Beispiel Berlin 400 Sirenen bauen. Viele Bürger wissen aber gar nicht, wie sie auf den Klang einer Sirene reagieren sollen...
Leider sind die meisten Sirenen noch nicht so modern, dass sie auch Sprache aussenden können. Die wesentliche Funktion der Sirene ist, Aufmerksamkeit zu erzielen. Wir sprechen von einem Weckeffekt: wach werden und sofort nachschauen, wo man Informationen bekommen kann. Früher kamen dafür natürlich vor allem Radio und Fernsehen in Frage. Heute haben wir einen größeren Warnmittel-Mix, wie wir das nennen: Internet, unsere Warn-App Nina oder Werbetafeln gehören jetzt auch dazu.

Viele Bürger wissen nicht, wie sie auf einen Sirenenalarm reagieren müssten, sagt Ralph Tiesler.
Viele Bürger wissen nicht, wie sie auf einen Sirenenalarm reagieren müssten, sagt Ralph Tiesler.

© Foto: dpa/Jens Büttner

Als Lehre aus der Flutkatastrophe im Ahrtal soll zusätzlich sogenanntes Cell Broadcasting eingeführt werden. Eine SMS-ähnliche Nachricht, die auf dem Handy mit Ton aufploppt, um die Bevölkerung vor einer Gefahr zu warnen. Wann wird das einsatzfähig sein?
Richtig in Betrieb gehen soll das im Februar nächsten Jahres. Am 8. Dezember gibt es einen ersten Stresstest. Wir wollen Erkenntnisse sammeln, wo wir nachbessern müssen. Da kann allerdings nicht jeder erwarten, dass er eine Mitteilung auf sein Smartphone bekommt – eine der Voraussetzung ist zum Beispiel, dass regelmäßige Updates auf den Smartphones durchgeführt werden.

Das heißt, wer kein Smartphone hat, bekommt diese Warnungen nicht? Ärmere Leute sind dann ja raus...
Nein, es ist nicht unbedingt nötig ein Smartphone als Endgerät zu haben. Einige ältere Handys können CB-Nachrichten ebenso empfangen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Telefon eingeschaltet ist, sich auf dem aktuellen Software-Update befindet und bei einigen Modellen die Empfangsbereitschaft dieser Melde-Art via Textmitteilung manuell aktiviert worden ist. Cell Broadcast wird künftig Teil des Warnmittel-Mix in Deutschland sein.

Es bedeutet also nicht, dass Menschen nicht gewarnt werden, wenn sie kein Smartphone besitzen. Zudem stehen den Bürgerinnen und Bürgern verschiedene Warnmittel wie die Warn-App NINA, Fernsehen, Radio, Sirenen, Lautsprecherwagen, Werbetafeln oder Fahrgastinformationssysteme zur Verfügung.

Natürlich können wir uns nicht vor der Frage drücken, was es bedeuten würde, wenn eines Tages auf deutschem Boden wieder Krieg wäre.

Ralph Tiesler

Jahrelang war der Fokus auch ihrer Behörde der Katastrophenschutz, also der Schutz vor Hochwassern oder Stürmen. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein Thema wieder in den Fokus gerückt, das in Deutschland lange vernachlässigt wurde: der Zivilschutz. Was hat sich im vergangenen halben Jahr getan?
Anfang der 90er Jahre hatte sich der Glaube durchgesetzt, dass Krieg kein Szenario ist, auf das wir uns in Deutschland vorbereiten müssen. Das war auch lange so, ist aber mittlerweile nicht mehr zeitgemäß. Auch wir als Behörde haben lange vor allem auf den Katastrophenschutz geschaut und auf das Zusammenwirken von Bund und Ländern.

Seit einem Jahr reden wir stärker über zivile Verteidigung. Wir denken über Themen nach, die etwas mit dem Spannungs- und Verteidigungsfall zu tun haben. Das ist nichts völlig anderes: Auch hier geht es um Alarmierung etwa über Sirenen. Aber es ist natürlich eine besondere Herausforderung.

Auf welche Szenarien bereiten Sie sich vor?
Wir sind in Deutschland ja mittelbar schon betroffen. Wir unterhalten uns über Fälle eines Stromausfalls, über eine Gasmangellage. Aber natürlich können wir uns auch nicht vor der Frage drücken, was es bedeuten würde, wenn eines Tages auf deutschem Boden wieder Krieg wäre.

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden viele Bunker verkauft oder zurückgebaut. Mit Kriegsbeginn in der Ukraine fiel auf, dass kaum noch Schutzräume nutzbar sind. Ändert sich daran nun etwas?
Es gab auch früher nie mehr Schutzräume als für drei Prozent der Bevölkerung. Wir sind im Februar sofort der Frage nachgegangen: Wie viele Schutzräume haben wir noch? Viele dieser Anlagen existieren ja bis heute. Sie sind nur aus der Zivilschutzbindung entlassen worden und an die Bundesimmobilienagentur übergeben worden, um sie irgendwann einer anderen Nutzung zuzuführen oder abreißen zu lassen. Das haben wir erstmal gestoppt. Und nehmen jetzt erstmal auf: Welche sind noch da und mit welchem Aufwand könnte man die reaktivieren? Was kostet das?

Wie lange dauert diese Bestandsaufnahme?
Bis Ende des Jahres wollen wir einen Überblick haben, welche Schutzräume noch da sind. Im Laufe des nächsten Jahres wollen wir wissen, welche davon sich theoretisch wieder reaktivieren lassen. Dazu wäre es sicherlich sinnvoll, die noch vorhandenen Schutzräume wieder in die Zivilschutzbindung zu nehmen, so dass der Bund die Räume im Krisenfall auch nutzen kann. Aber das ist eine politische Entscheidung.

Kommt aus Ihrer Sicht auch ein Neubau von Bunkern in Frage?
Neue Bunkeranlagen mit einem sehr hohen Schutzanspruch zu bauen, kostet sehr viel Geld und vor allem auch sehr viel Zeit. Das dauert Jahre. Ich hielte es für sinnvoller, wenn wir über andere Konzepte nachdenken. Welche U-Bahnhöfe oder Tiefgaragen sind beispielsweise geeignet, um Schutz zu suchen? Auch darüber wollen wir uns einen Überblick verschaffen.



 

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