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Wer darf? Privatärzte sind beim Verabreichen von Corona-Impfungen bisher außen vor.

© Tobias Schwarz/AFP-POOL/dpa

Keine Corona-Impfungen in Privatpraxen: Manche Ärzte impfen „illegal“ – und haben trotzdem ein gutes Gewissen

Privatärzte ohne Kassensitz dürfen bisher nicht gegen Covid-19 impfen. Bei Betroffenen und ihren Patienten stößt das auf Ärger und Unverständnis. 

Reza S. hat kein schlechtes Gewissen. Im Gegenteil. „Wir Kinderärzte“, so sagt er, „haben große Erfahrung mit dem Impfen.“ Und der 68-Jährige verfügt auch über jede Menge Berufspraxis. Seit 1989 behandelt er nicht nur junge Patienten, versteht sich vielmehr als „Familienarzt“. Dennoch möchte der iranisch-stämmige Mediziner aus dem Hessischen seinen echten Namen hier lieber nicht genannt haben.

Denn Reza S. hat – mit Hilfe eines befreundeten Apothekers – gegen Vorschriften verstoßen. Er hat in den vergangenen zwei Wochen mehr als 100 seiner teilweise schwer vorerkrankten Patienten gegen Corona geimpft. Und das, obwohl er vor sechs Jahren seinen Kassensitz abgegeben hat und nur noch als Privatarzt praktiziert.

Tatsächlich hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in einer Allgemeinverfügung vom 31. März die Apotheken angewiesen, „Impfstoffe gegen COVID-19 ausschließlich an die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztpraxen abzugeben“.

[Sie haben Fragen rund ums Impfen gegen das Coronavirus? Wir beantworten sie: Tagesspiegel Live am 22. April]

Die Begründung für den Ausschluss der Privatmediziner waren begrenzte Liefermengen, wie auch ein BMG-Sprecher auf Anfrage bestätigte. „Apotheken sollen nur Bestellungen von den Vertragsarztpraxen entgegennehmen, die sie mit Praxisbedarf versorgen.“ Erst in einem nächsten Schritt sollten dann „alle Ärztinnen und Ärzte, insbesondere auch die ambulant privatärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzte, die Impfstoffe über Apotheken beziehen können“. Zeitpunkt ungewiss.

Anwalt sieht Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz

Der Bundesverband der Privatärzte (PBV) sieht durch diese übrigens bußgeldbewehrte Regelung nicht nur seine Mitglieder, sondern auch deren Patienten „massiv benachteiligt“. Und ein Berliner Privatarzt wehrt sich bereits juristisch. Michael Oppel – seiner Webseite zufolge konzentriert auf „Gesundheits-Checks, ganzheitliche Orthopädie und integrative Medizin sowie Sportmedizin und hausärztliche Medizin bei akuten und chronischen Erkrankungen und Verletzungen“ – fordert per Eilantrag beim Berliner Verwaltungsgericht, in der Impfkampagne mit Vertragsärzten gleichgestellt zu werden und seine Patienten ebenfalls impfen zu dürfen.

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Nach eigenen Angaben hatte er bereits Impfstoffe geordert und Patienten zur Impfung einbestellt, als ihm seine Apotheke mitteilte, dass das so nicht funktioniere. Seinem Anwalt Frank Lansnicker zufolge kam die Verordnung überraschend. Vorher sei seitens der Bundesregierung von einer Ausgrenzung privater Hausärzte beim Impfen niemals die Rede gewesen.

Es stelle „einen eklatanten Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar, wenn private Hausärzte aus dem Recht der Leistungserbringung herausgenommen werden sollen“, heißt es im Eilantrag von Lansnicker an das Verwaltungsgericht Berlin, der dem Tagesspiegel Background vorliegt (Az: VG 14 L 161/21). „Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung liegt nicht vor. Zudem ist die Begrenzung auf die Kassenärzte nicht nachvollziehbar, wenn es darum geht, dass möglichst viele Patientinnen und Patienten so schnell wie möglich geimpft werden sollen, was offensichtlich in den Impfzentren bislang nicht gelungen ist.“

Gefährliche Verzögerung für Schwersterkrankte?

Offenbar sehen die Richter das ähnlich – zumindest beim Verwaltungsgericht Köln, das für ein weiteres, gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtetes Verfahren in gleicher Sache zuständig ist. In einem, dem Background ebenfalls vorliegenden, Schreiben vom 15. April heißt es, die Kammer könne für die abweichende Behandlung von Privatärzten „derzeit keine durchgreifenden Gründe“ erkennen. Der Bund werde nun gebeten, sich dazu zu äußern.

Oppel selber erklärt in seinem Eilantrag, er empfinde es „als unethisch und gegen die Berufsordnung verstoßend, Anweisungen beachten zu müssen, die mit meinen Aufgaben, meinen mir anvertrauten Patienten zu helfen, nicht übereinstimmen“. Auch er behandle in seiner Praxis viele Ältere und Schwersterkrankte mit hohem Infektionsrisiko.

Wenn letztere unter 60 seien, müssten sie „nun aufgrund des Verbots, AstraZeneca-Impfungen zu erhalten, bis Anfang Juni auf eine Impfung im Impfzentrum mit Biontech oder Moderna warten mit höchster Gefahr für Leib und Leben“. Schließlich seien Impfungen in anderen Hausarztpraxen aufgrund fehlender Patienteninformationen und der Vorgabe, keine praxisfremden Patienten zu impfen, momentan „mehr als unwahrscheinlich“.

Der Kinderarzt Reza S. fühlt sich ebenfalls diskriminiert und in der Erfüllung seiner ärztlichen Aufgaben behindert. „Man tut so, als wären wir Privatärzte nur eine Art Wellness-Mediziner“ schimpft er. Dabei habe auch er in seiner westdeutschen Kleinstadt Patienten, die man – weil bettlägerig oder wegen vorausgegangener Transplantation beziehungsweise Chemotherapie besonders gefährdet – nicht einfach in ein Impfzentrum schicken könne.

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Auch deshalb hat er sich über die Vorgaben hinweggesetzt und eigenmächtig mit dem Impfen begonnen. Mitten in seinem Osterurlaub war das. Am ersten Tag stand er nach eigenen Angaben bis abends halb zehn in der Praxis, schaffte mehr als 50 Patient:innen. Und will, solange ihn sein Apotheker entgegen der Verordnung mit Vakzinen beliefert, damit auch weitermachen. Einfach aus Pflichtgefühl und „ohne einen Cent Honorar“, wie er betont.

Tatsächlich ist die Menge der durch die Regelung ausgegrenzten Privatärzte und Patienten überschaubar. Nur etwa 15.000 rein privat praktizierende Mediziner gibt es nach Angaben des PBV in Deutschland, etwa die Hälfte wolle sich an den Corona-Impfungen beteiligen. Wie viele davon hausärztlich tätig sind, ist nicht bekannt. Und auch bei der Zahl der Patient:innen, die allein durch Privatmediziner versorgt werden, muss der Verband passen.

Probleme mit Authentifizierung und Datenübertragung 

Der PBV habe bereits eine Klageschrift vorbereitet, teilte eine Sprecherin mit. Man warte damit aber noch, weil sich das Ministerium mittlerweile kooperativ zeige. „Herr Spahn hat uns dabei mitgeteilt, dass er die Durchführung von Impfungen gegen COVID-19 in Privatpraxen begrüßt und unterstützt.“ Dem Vernehmen nach gibt es vor allem Probleme mit einer sicheren Authentifizierung von beteiligten Arztpraxen und deren Datenübertragung. Hier müssten noch Lösungen gefunden werden.

Vom Hartmannbund kam ebenfalls Protest. Für den Ausschluss privatärztlicher Kolleginnen und Kollegen bei der Ausweitung der Impfmöglichkeiten gebe es „keinerlei rechtfertigenden Sachgrund“, sagte der Chef des Landesverbands Nordrhein, Stefan Schröter. Um eine möglichst rasche Durchimpfung der Bevölkerung erreichen zu können, müsse die Impfkampagne auf möglichst breite Schultern gestützt werden. Es liege „im Interesse aller, möglichst viele niedrigschwellige Möglichkeiten, die Impfung zu erhalten, zu schaffen“.

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Auch der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) ist nicht glücklich über den Ausschluss der Privatärzte. „Wir unterstützen das Anliegen, dass die Privatärzte gleichberechtigt in die Impfkampagne der niedergelassenen Ärzte eingebunden werden, zumal wenn sie als Hausärzte von Privatversicherten fungieren“, sagte Verbandssprecher Stefan Reker dem Tagesspiegel Background. Gemeinsames Ziel sollte es sein, „dass mit der wachsenden Verfügbarkeit von Impfstoff möglichst viele Ärzte Patienten impfen können“. Zwar könnten sich chronisch kranke Privatversicherte „ohne weiteres auch an jede Vertragsarzt-Praxis wenden“. Nach Möglichkeit sollten Patienten bei der Corona-Impfung aber „von ihren vertrauten Haus- und Fachärzten betreut werden können“.

Mit zu wenig Impfstoff hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits argumentiert, als der PKV-Verband auch die Betriebsärzte in die Impfkampagne einbezogen haben wollte. Die Infrastruktur der Betriebsärzte sei „besonders gut dafür geeignet, in kurzer Zeit viele Menschen zu erreichen“, betonte PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther. Dem Verband lägen „schon jetzt zahlreiche Anfragen aus Krankenversicherungsunternehmen vor, deren Betriebsärzte sofort zur Impfung der Belegschaften bereit stehen – aber derzeit leider noch keinen Impfstoff bestellen dürfen“. Nun sollen Betriebsärzt:innen ab Juni impfen dürfen, wie Gesundheitsminister Jens Spahn am Montag ankündigte. 

Gesundheitsministeriums verweist auf Modellprojekte 

Insgesamt sei „von einer zügigen Weiterentwicklung der Impfkampagne und damit auch eines künftig stärkeren Einbezugs von privatärztlichen Praxen auszugehen“, versicherte der BMG-Sprecher dem Tagesspiegel Background. Bis dahin könnten diese wie auch Betriebsärzt:innen „bereits Schutzimpfungen gegen das Coronavirus-SARS-CoV-2 im Rahmen von Modellprojekten durchführen“. Voraussetzung hierfür sei jedoch, „dass ihnen vom Bund oder einem Land Impfstoff zur Verfügung gestellt wird“.

Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) nimmt die Impfkampagne jedenfalls auch ohne Privat- und Betriebsärzte mächtig an Tempo auf. Am vergangenen Donnerstag habe man mit rund 739.000 Impfungen einen neuen Tagesrekord erreicht. Und in dieser Woche beteiligen sich laut KBV 55.000 niedergelassene Ärzt:innen an der Impfkampagne. Das seien 10.000 mehr als in der Vorwoche „und sogar 20.000 mehr als beim Start“.

Außerdem gebe es vom BMG die Zusage, dass die Mengen aller für die Praxen geeigneten Impfstoffe ab Ende April deutlich ausgeweitet würden. Dadurch könnten sich „gemeinsam mit den Hausärzten auch noch die Fachärzte verstärkt am Impfgeschehen beteiligen“, freut sich KBV-Chef Andreas Gassen. „Aus dem Impfspurt“, prophezeite er, werde „dann ein Impfturbo“. Insgesamt sind laut Robert Koch-Institut  bisher in Deutschland knapp 22,4 Millionen Menschen gegen Covid-19 geimpft, davon mehr als 5,5 Millionen bereits zweimal (Stand 19. April).

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