zum Hauptinhalt

Kernkraftsicherheit: Gabriels Beamte kritisieren Atomaufsicht

Umweltministerium Sigmar Gabriel bemängelte die Arbeitsweise der Landesbehörden bei der Aufsicht über Atomkraftwerke. Die mit der Atomaufsicht beauftragten Beamten verließen sich zu stark auf externe Gutachter des Tüvs. Für den ist die Überprüfung der Kernkraftanlagen ein Millionengeschäft.

Bei der Aufsicht über Deutschlands Atomkraftwerke geben die zuständigen Landesbehörden nach Meinung der Fachbeamten des Bundesumweltministeriums zu viel Verantwortung an die Gutachter des Tüv-Konzerns ab. Weil diese zugleich von den Betreibern finanziell abhängig seien, stelle diese Praxis „die Qualität und Unabhängigkeit“ der Prüfung infrage, heißt es in einem Vermerk aus der Abteilung Reaktorsicherheit des Berliner Ministeriums, der dem Tagesspiegel vorliegt. Gegen diese Kritik erhob der Vorsitzende des Tüv-Verbandes, Guido Rettig, scharfen Protest. In Briefen an das Kanzleramt und an Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) bat er jetzt um Beistand gegen Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Dessen Beamten würden das „bewährte System der Atomaufsicht und die Arbeit des Tüv diskreditieren“ und so dessen „Geschäftstätigkeiten“ gefährden, schrieb Rettig.

Hintergrund der Auseinandersetzung ist die Abhängigkeit der knapp 100 mit der Atomaufsicht befassten Beamten in den Bundesländern von externen Gutachtern. Diese prüfen im Auftrag der jeweiligen Länderministerien die Einhaltung der technischen Vorschriften in den Atomkraftwerken oder begutachten aufgetretene Schäden und Störfälle. Weit über 90 Prozent der Aufträge gehen an den Tüv-Konzern, der dafür rund 1000 Kerntechnikexperten beschäftigt und damit dreistellige Millionenumsätze im Jahr erwirtschaftet. Pro Reaktorblock kalkulieren Branchenkenner Gutachterkosten von fünf bis zehn Millionen Euro jährlich.

Manchen mangele es Tüv-Experten an Unabhängigkeit

In der Praxis, so kritisieren Gabriels Atomexperten, würden die zuständigen Beamten häufig nicht nur einen Sachverhalt begutachten lassen, sondern auch dessen Bewertung ihren Gutachtern überlassen. De facto käme es so zur „Delegation der staatlichen Verantwortung“, die im Konfliktfall aber wenig wert sei. Der Gutachter könne stets sagen, er habe nur eine „unverbindliche Empfehlung“ abgegeben. So führe das System dazu, „dass niemand die Verantwortung trägt“, kritisieren die Bundesbeamten. Das Verfahren sei auch deshalb problematisch, weil die „Sachverständigenorganisation“ von den Betreibern „finanziell abhängig“ sei. Formal rechnen die Gutachter zwar gegenüber den Behörden ab, die das Geld dann wiederum bei den Stromkonzernen eintreiben. Tatsächlich aber hätten „die Behörden dem Tüv die Direktabrechnung gegenüber den Betreibern ermöglicht.“ So finde die „Kostenkontrolle nur durch den Betreiber statt, so dass dieser Einflussmöglichkeiten hat“, heißt es in dem sechsseitigen Bericht. Im Ergebnis mangele es manchen Tüv-Experten an Unabhängigkeit. So sei es vorgekommen, dass Gutachter Protokolle von Prüfungen unterzeichneten, bei denen sie selbst gar nicht dabei waren. In einem anderen Fall habe ein Werksvertreter einem Gutachter eingeredet, dass ein gefundener Fehler „kein Befund“ sei, um die Millionenverluste durch verlorene Betriebstage in Folge weiterer Untersuchungen zu vermeiden.

Gegen diese Missstände fordern Gabriels Beamte mehr Personal für die Länderbehörden, eine Minderung des Gutachtereinsatzes und den Erlass einer „Sachverständigen-Verordnung“, wie sie im Atomgesetz seit Jahrzehnten vorgesehen ist, aber nie erlassen wurde. Die beamteten Atomaufseher in den Ländern halten die Warnungen aus Berlin jedoch für überzogen. Man müsse die Gutachter nur richtig führen und diesen „keine wichtigen Entscheidungen“ überlassen, kommentierte Wolfgang Cloosters, Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Kieler Sozialministerium, den Vorstoß seiner Berliner Kollegen. In Schleswig-Holstein liege die Verantwortung klar bei seiner Behörde, einschließlich der Abrechnung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false