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Wladimir Selenski ist ein in der Ukraine beliebter Komiker. Jetzt will er Präsident werden.

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Wahl in der Ukraine: Komiker Selenski will Präsident werden

Wladimir Selenski spielte den Präsidenten in einer Serie. Jetzt will er die Grenze zwischen Fiktion und Realität überschreiten - und liegt in Umfragen vorn.

Er ist ein unauffälliger Bürger, dieser Wassili Golowoborodko. Ukrainer, Mitte 30, Geschichtslehrer. Eines Tages bricht der Zorn aus ihm heraus. Er erregt sich öffentlich über die korrupte Elite seines Landes. Seine Brandrede geht in den sozialen Netzwerken viral, Millionen sehen sie und sind begeistert. Der Lehrer wird Politiker, die Bürger wählen ihn zum Präsidenten der Ukraine. An der Staatsspitze beginnt er einen ebenso unbeirrten wie witzigen Kampf gegen die allgegenwärtigen Plagen: Bürokratie und Korruption.

Das ist die Handlung einer ukrainischen TV-Serie mit dem Namen „Diener des Volkes“, die 2015 startete und mit phantastischem Erfolg bisher in drei Staffeln lief. Der Hauptdarsteller Wladimir Selenski wurde durch die Serie bekannt und beliebt.

Jetzt versucht er, die Grenze zwischen Fiktion und Realität zu überschreiten. Selenski tritt an, um bei den Wahlen am 31. März Präsident der Ukraine zu werden. Die Chancen stehen gut, er führt in den Umfragen. Die lange als Favoritin gehandelte Gasprinzessin Julia Timoschenko liegt nur noch auf Platz zwei. Selenskis Botschaft: Die reale Ukraine braucht einen Aufstand gegen das Establishment, es braucht einen wie den Lehrer Wassili.

Testfall für die Europäische Union

Nicht nur für die Ukraine ist die Präsidentenwahl ein Testfall, sondern auch für die Europäische Union.  Es muss sich erweisen, ob all die Bemühungen der EU um die Ukraine in den vergangenen fünf Jahren Wirkung zeigen. Brüssel hat noch nie einem Nicht-Mitglied Finanzhilfen in einem derart großen Umfang gewährt. Kredite von mehr als drei Milliarden Euro wurden allein für die Stabilisierung der Volkswirtschaft gewährt, die unter dem russischen Krieg gegen die Ukraine leidet.

Mit europäischer Hilfe sind Reformen im Rechtssystem, der öffentlichen Verwaltung, im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich gestartet worden. Doch dieser Prozess steckt immer noch in den Anfängen, über den weiteren Weg entscheidet maßgeblich der nächste Präsident.

„Menschlich“ seien ihm die Anhänger Selenskis sehr sympathisch, schreibt Mustafa Najem auf Twitter. Er war einer der Initiatoren der Maidan-Proteste vor gut fünf Jahren. Der Journalist mit afghanischen Wurzeln hatte am 21. November 2013 die jungen Leute in Kiew mit einem Facebook-Eintrag aufgefordert, sich auf dem Unabhängigkeitsplatz im Zentrum zu versammeln und für Demokratie und eine europäische Zukunft zu demonstrieren.

Zehntausende kamen und blieben wochenlang, bis der Präsident Viktor Janukowitsch nach Russland floh. Der heute 37-jährige Najem sitzt seit fünf Jahren im Parlament. Über diejenigen, die Selenski ihre Stimme geben wollen, sagt er: „Sie wünschen Veränderungen, ihnen hängt vieles zum Halse heraus und sie möchten auch neue Gesichter sehen.“

Den Aufstieg Selenskis sieht Najem dennoch skeptisch. Viele junge Leute in der Ukraine hat die Entwicklung der vergangenen Jahre desillusioniert. Für Najem ist Selenski aber kein Hoffnungszeichen, sondern eine Fehlermeldung des Systems. „Seine Ratings in den Umfragen bedeuten tatsächlich nicht, dass er ein guter Politiker ist oder ein Mensch, der das Land führen kann.“ Selenskis Popularität sei kein Erfolg der Politik, sondern ein Indikator für die Enttäuschung derjenigen, die unter den vielen Kandidaten niemanden finden, der ihren Vorstellungen entspricht.

44 Bewerber um das Amt

Mit 44 Bewerbern ist die Liste so lang wie nie zuvor. Es ist offen, ob Selenski tatsächlich reale Chancen auf den Posten hat. Seine Anhänger würden zwar grummeln, aber wohl nicht zur Abstimmung gehen, vermuten viele. Doch das hat man über die Fünf-Sterne-Bewegung des italienischen Komikers Beppe Grillo auch gesagt.

Aussichten auf das Spitzenamt der Ukraine haben neben Selenski nur noch zwei andere Kandidaten: Timoschenko, die vor 22 Jahren auf der politischen Bühne des Landes erschien, und der derzeitige Präsident Petro Poroschenko, der ihr nur wenig später folgte. Alte Gesichter also.

Auch Timoschenko versucht, sich in diesem Wahlkampf als Korruptionsjägerin herauszustellen. Das ist einigermaßen skurril, denn es gibt in den vergangenen 20 Jahren einige große Fälle von Geldwäsche, Korruption und undurchsichtigen Geschäften, in denen auch der Name Timoschenko auftaucht. In diesem Wahlkampf beutet sie noch einmal Image als Verfolgte des Janukowitsch-Regimes und als Protagonistin der orange Revolution von 2004 aus.

Eine Revolutionärin ist Timoschenko schon lange nicht mehr, wenn sie es je war. Timoschenko verspricht den Bürgern eine Halbierung der Gaspreise und „Wohlstand ohne schmerzhafte Reformen“. Das ist ein deutlicher Seitenhieb Richtung EU, die auf einen tiefgreifenden Wandel dringt, den es wohl ohne Schmerzen nicht gibt. Aufhorchen müsste man in Brüssel auch angesichts des konzilianten Tons, den Timoschenko inzwischen Richtung Putin anschlägt.

Den Superpatrioten gibt diesmal Präsident Poroschenko. Seine Mannschaft stilisiert ihn zum „einzigen Kandidaten, den Moskau wirklich fürchtet“. Aber dafür müsste der Amtsinhaber erst einmal in den zweiten Wahlgang kommen, was derzeit angesichts des Aufstiegs von Selenski fraglich scheint.

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