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Anhänger des Kurdenführers Selahattin Demirtas demonstrieren für seine Freilassung (Archivbild).

© AFP

Kommunalwahlen in der Türkei: Die kurdischen Königsmacher erwarten eine Gegenleistung

Die türkische Kurdenpartei HDP verhalf Erdogan-Gegnern zum Wahlerfolg - obwohl die den HDP-Chef ins Gefängnis brachten. Nun achten sie mehr auf ihre Interessen.

Kurz vor der türkischen Kommunalwahl vom vergangenen Sonntag meldete sich Selahattin Demirtas aus der Gefängniszelle zu Wort. Der frühere Vorsitzende der legalen türkischen Kurdenpartei HDP sitzt seit fast zweieinhalb Jahren in Haft – die türkische Regierung sieht ihn als gefährlichen politischen Gegner und will ihn auch nach einer Aufforderung durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg nicht freilassen. Doch Demirtas nutzt Twitter und andere Wege, um aus der Haft heraus mit seinen Anhängern in Kontakt zu bleiben. Am vergangenen Freitag wandte er sich mit einem ungewöhnlichen Appell an die HDP-Wähler: Sie sollten bei der Kommunalwahl für langjährige Gegner ihrer Partei stimmen.

Demirtas‘ Botschaft entsprach der Doppelstrategie der HDP-Führung für die Wahl. Die Partei stellte nur im ostanatolischen Kurdengebiet eigene Kandidaten für Lokalparlamente und Bürgermeisterämter auf. In westtürkischen Metropolen wie Istanbul und Ankara verzichtete die HDP dagegen auf eigene Bewerber und rief ihre Wähler zur Unterstützung bürgerlicher Parteien wie der säkularistischen CHP oder der nationalkonservativen IYI Parti auf. Ziel war es, der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan möglichst schwere Verluste beizubringen. 

Die Rechnung ging auf. Die AKP verlor Istanbul, Ankara und andere Großstädte an die Opposition. Insbesondere die CHP profitierte von den kurdischen Leihstimmen und steigerte ihren landesweiten Stimmenanteil auf 30 Prozent. Diese Erfolge wären ohne die HDP-Hilfe nicht möglich gewesen. In Istanbul beispielsweise lag der CHP-Kandidat Ekrem Imamoglu lediglich etwa 25.000 Stimmen vor dem AKP-Bewerber Binali Yildirim. Die Zahl der kurdischen Wähler in Istanbul wird auf rund drei Millionen geschätzt, in der ganzen Türkei sind es bis zu zehn Millionen.

Vielen HDP-Wähler fiel es schwer, der Aufforderung ihrer Partei zu folgen. Vor drei Jahren war es die CHP, die im Parlament von Ankara zusammen mit der AKP für die Aufhebung der Immunität der kurdischen Abgeordneten stimmte und damit die Inhaftierung von Demirtas und anderen HDP-Politikern ermöglichte. Im Grunde rief Demirtas aus der Zelle also dazu auf, für jene Partei zu stimmen, die ihn ins Gefängnis gebracht hat.

Noch eine Rechnung offen

Der Ex-Parteichef kannte die Bedenken der Wähler. Auf keinen Fall werde er die Vergangenheit vergessen, schrieb Demirtas deshalb auf Twitter. „Doch die Zukunft ist wichtiger“, fügte er hinzu. Ohne politischen Wandel in der Türkei werde es keine Verbesserungen geben, lautet das Argument dahinter. Auch Demirtas selbst kann nur bei veränderten politischen Verhältnissen auf eine baldige Freilassung hoffen.

Nach der Hilfe für die CHP bei der Wahl dürfte die Kurdenpartei deshalb nun darauf achten, dass ihre Interessen stärker berücksichtigt werden. Imamoglu, der CHP-Wahlsieger von Istanbul, weiß das. Er werde mit den Kurden und anderen ethnischen und religiösen Minderheiten sprechen, kündigte er an. In Istanbul werde es mit ihm als Bürgermeister „einen ganz anderen, einen viel demokratischeren“ Ansatz geben.

Manche in der CHP hoffen, dass Imamoglu die ganze Partei auf einen liberaleren Kurs führt. Erdogans Regierung geht seit Jahren mit unversöhnlicher Härte gegen die HDP vor, die sie als verlängerten Arm der kurdischen Terrororganisation PKK bezeichnet. Nach HDP-Angaben waren im Laufe des Kommunalwahlkampfes rund 700 ihrer Mitglieder festgenommen worden, einige vor ihnen am Tag vor der Wahl. Am Wahltag selbst konnte die AKP im Kurdengebiet einige Siege erzielten – laut der HDP lediglich als Folge des Drucks der Regierung.

Bis zum Jahr 2015 hatten Erdogans Emissäre mit führenden HDP-Politikern über eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts verhandelt. Ankara gab den Friedensprozess damals auf, weil die AKP nationalistische Wähler an die Rechtspartei MHP verlor. Inzwischen ist Erdogan eng mit der MHP verbündet – doch bei der Wahl am Sonntag hat sich gezeigt, dass diese Allianz eher der MHP nutzt als der AKP: Die Erdogan-Partei musste die Macht in mehreren Regionen an die MHP abgeben. Einige Beobachter schließen es deshalb nicht aus, dass sich Erdogan nun wieder mehr in Richtung der politischen Mitte bewegt.

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