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Politik: Konjunktur für Staatsanwälte

Bulgariens Regierungschef Borissov geht jetzt massiv gegen die Korruption vor

Energiepreise sind in Bulgarien Chefsache. Ministerpräsident Boiko Borissov demonstrierte dies auf einer Pressekonferenz Mitte Juli mit der ihm eigenen Lakonie: „Ist das Gas bei uns teuer oder billig?“, fragte er in der Manier eines Oberlehrers den neben ihm sitzenden Direktor des staatlichen Gasmonopolisten Bulgargas, Dimiter Gogov. „Teuer“, antwortete der demütig und schob die Schuld den am Gasgeschäft beteiligten Zwischenhändlern zu, die Borissov erklärtermaßen ausschalten möchte.

Mit dem ebenfalls anwesenden Chef der Staatlichen Regulierungskommission für Energie und Wasser (DKEWR), Angel Semerdschiev, kommunizierte Borissov ähnlich. Er griff sich kurzerhand dessen Auditbericht über das Geschäftsgebaren der drei Energieversorgungsunternehmen EON, CEZ und EVN und schrieb mit schwungvoller Geste, die eigenen Worte laut vorlesend auf die erste Seite: „Für den Staatsanwalt!“ Borissov wirft den Stromkonzernen überhöhte Preisgestaltung vor und bezweifelt ihre Investitionsprogramme. Im April schickte er gar Beamte der Staatlichen Agentur für Nationale Sicherheit (DANS) zur „Sicherstellung von Beweismaterialien“ in Kundenfilialen der EVN.

Ermittlungsbeamte des Innenministeriums und Staatsanwälte haben sich im Verlaufe des zur Neige gehenden ersten Amtsjahrs des Minderheitskabinetts von Boiko Borissov als dessen bevorzugte Herrschaftsinstrumente erwiesen. Als einer von wenigen bereits während der Vorgängerregierung tätigen Staatsbeamten genießt Generalstaatsanwalt Boris Veltschev das Vertrauen Borissovs. Seine Loyalität erwies Veltschev auch dadurch, dass er Anklage gegen Borissovs Vorgänger Sergej Stanischev erhob, weil mehrere Akten mit Staatsgeheimnissen aus dem Kabinett des Sozialisten verschwunden sein sollen. Eine solche Akte überreichte der einstige Geheimdienstagent Alexei Petrov Ende Oktober dem Regierungschef persönlich. Petrov alias „der Traktor“ war in den 1990er Jahren Karatebruder und Geschäftspartner Borissovs. Allerdings bewahrte ihn dies nicht davor, im Februar im Rahmen der „Operation Oktopus“ als „Kopf einer kriminellen Vereinigung“ verhaftet zu werden.

„Oktopus“, „Naglite“ (die Frechen), „Fakirite“ und „Killer“ – viele der reißerischen Namen der seit Mitte Dezember den Bulgaren fast täglich in die Wohnstuben flimmernden Verhaftungsaktionen soll sich Innenminister Tsvetan Tsvetanov selbst ausgedacht haben. Dem ihm befreundeten Schlagersänger Vesselin Marinov gab er gar eine Hymne auf das Innenministerium in Auftrag. Doch als Marinov, begleitet von Balletttänzern in Uniform, das „Lied für unsere Polizei“ der Öffentlichkeit präsentierte, musste sich nicht nur der Interpret, sondern auch Tsvetanov viel Spott gefallen lassen.

Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der medial inszenierten Polizeiaktionen wurden laut, als Polizeibeamte Stanischevs Verteidigungsminister Nikolai Tsonev im Krankenhaus vor laufender Kamera mit vorgehaltener Waffe auf die Knie zwangen. Das britische Politmagazin Economist sah sich zur Frage veranlasst, ob sich Bulgarien zum Polizeistaat entwickle. Die Europäische Kommission attestierte Bulgarien indes in ihrem vor wenigen Tagen publizierten Evaluationsbericht zum Bereich Inneres „politischen Willen“ zur Bekämpfung von Korruption und Kriminalität. Zwar kritisieren die Brüsseler Kommissare weiterhin fehlende Gerichtsurteile gegen korrupte Staatsbeamte und prominente Schwerverbrecher sowie mangelhafte Professionalität von Ermittlern, Staatsanwälten und Richtern. Kabinettschef Borissov will den EU-Bericht aber als gutes Zeugnis für seine Regierungstätigkeit verstanden wissen.

Als Borissovs Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) Ende Juli 2009 eine Minderheitenregierung bildete, erklärten sich die konservative „Blaue Koalition“, Volen Siderovs nationalistische Partei „Ataka“ und Jane Janevs „Ordnung, Gesetzlichkeit und Gerechtigkeit“ (RSS) zu seiner Unterstützung bereit. Der Populist Janev übt sich seit Anfang des Jahres in erbitterter Opposition zu GERB, und die Konservativen um den früheren Ministerpräsidenten Ivan Kostov gehen aus Unzufriedenheit über die Wirtschaftspolitik zunehmend auf Distanz zur Regierung. Vor der Wahl versprochene Reformen zur Verschlankung der Staatsverwaltung und zur Neuordnung von Gesundheitswesen und Rentensystem seien überfällig, kritisieren sie. Der Kampf gegen Korruption und Verbrechen sei halt seine wichtigste „Anti-Krisenmaßnahme“, pariert Borissov solche Vorhaltungen; das Ausrauben des Staates müsse zunächst gestoppt werden, bevor mit seiner planmäßigen Entwicklung begonnen werden könne.

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