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Krise in Mali: Die Stunde der Rebellen

Die Krise in Mali ist eine erste direkte Folge des Libyen-Konflikts. Und sie ist Beleg dafür, dass die gesamte Region instabil ist. Versinkt der Nordwesten Afrikas im Chaos?

Die jüngste Rebellion der Tuareg im Norden Malis ist vor allem von Kämpfern getragen, die der gestürzte libysche Staatschef Muammar al Gaddafi in seine Armee integriert hatte. Sie kehrten nach Gaddafis Niederlage gut ausgebildet und schwer bewaffnet nach Mali zurück. Die Krise in Mali ist somit eine unmittelbare Folge des Libyen-Konflikts. Ähnliche Entwicklungen spielen sich in den Nachbarländern ab. Die malische Krise führt zu einer weiteren Destabilisierung der gesamten nordwestafrikanischen Region – zum Nutzen kriminell-terroristischer Netzwerke, die mit dem Schmuggel von Drogen, Waffen, Menschen sowie illegal gehandeltem Öl und Entführungen westlicher Staatsangehöriger gute Geschäfte machen.

Wie geht es in Mali weiter?
Am Montag ist der gestürzte malische Präsident Amadou Toumani Touré formal zurückgetreten. Damit machte er den Weg frei für einen von der westafrikanischen Regionalorganisation Ecowas ausgehandelten Plan zur Rückkehr des Landes zur Demokratie. Der Vorsitzende des Parlaments, Dioncounda Traoré, übernimmt die Regierung und hat dann 40 Tage Zeit, eine Wahl zu organisieren.

Dafür gibt der Anführer des Putsches, Amadou Sanogo, die Macht ab. Für sich selbst und seine Unterstützer hat er eine Amnestie ausgehandelt. Problematisch an dieser Konstruktion ist vor allem, dass Parlamentspräsident Traoré der Präsidentschaftskandidat der größten Regierungsfraktion Adema für die vor dem Putsch eigentlich geplante Wahl am 29. April gewesen ist. Er hat sich bisher nicht darüber geäußert, ob er nun seine eigene Wahl vorbereitet, oder ob er angesichts der Lage nun auf eine Kandidatur verzichten wird.

Das zweite Problem ist, dass die Tuareg von der Rebellenbewegung MNLA in der vergangenen Woche im gesamten Norden Malis einen neuen Staat – Azawad – ausgerufen haben. Den Putsch hatte Sanogo damit begründet, dass Präsident Touré der malischen Armee nicht genügend Material, Waffen und Verpflegung zur Verfügung gestellt habe, um im Kampf gegen die Tuareg-Rebellion bestehen zu können. Der Aufstand hatte Ende 2011 begonnen.

Die Tuareg nutzten den Putsch, um den gesamten Norden zu erobern. Dabei wurde die MNLA von einer anderen Tuareg-Gruppierung, Ansar Dine, unterstützt. Ansar Dine ist eine islamistische Gruppe, die enge Verbindungen zu Al Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) pflegt. Ansar Dine hat offenbar die Macht in den drei wichtigsten Städten Gao, Kidal und Timbuktu übernommen und versucht dort eine strenge Auslegung islamischen Rechts, der Scharia, durchzusetzen. Restaurants, in denen Alkohol verkauft wurde, wurden geplündert, Frauen zur Verschleierung gezwungen, Radiostationen, die Musik spielten, geschlossen.

Welche wirtschaftliche Basis hat Mali?
Mali ist der drittgrößte Goldproduzent in Afrika. Und in der Sahara, also dem Gebiet, das die Tuareg nun als unabhängigen Staat etablieren wollen, ist Öl gefunden worden. Die Förderung hat jedoch noch nicht begonnen. Zudem ist Mali ein bedeutender Exporteur von Baumwolle. Zumindest da könnte der Westen Mali entgegenkommen. Hohe Subventionen in den USA und Europa aber auch in China haben die Baumwollfarmer des Landes ins Hintertreffen gebracht.

Die Marktverzerrung ist hier besonders markant: So verliert Mali durch die hohen Subventionen des Westens angeblich bis zu einem Prozent seines Sozialprodukts und fast zehn Prozent seiner Exporteinnahmen. Größter Investor in die Goldförderung ist der britische Randgold-Konzern. Als Reaktion auf den unerwarteten Putsch sind die Aktien des Unternehmens um mehr als 20 Prozent gefallen. Die Besorgnis der Anleger ist verständlich: Randgold hat mehr als eine Milliarde Dollar in Mali investiert und nach eigenen Angaben einen ebenso hohen Betrag in Form von Steuern, Tantiemen und Dividenden an die Regierung in Bamako abgeführt.

Kurioserweise befand sich Randgold-Chef Mark Bristow während des Staatsstreichs gerade in Mali, weil er dort am Tag vor dem Putsch eine Übereinkunft wegen der von seinem Unternehmen betriebenen Gounkoto-Mine unterzeichnet hatte. Insgesamt förderte Randgold vergangenes Jahr in Mali fast 450 000 Unzen des Metalls – 64 Prozent seiner Gesamtproduktion. Für den Randgold-Chef ist der Putsch schon deshalb ein bitterer Rückschlag, weil wenige andere Länder in Afrika zuvor als so stabil wie Mali galten. Bristow selbst bleibt dennoch optimistisch: Zum einen seien die im Westen des Landes gelegenen Minen nicht am Konflikt beteiligt, zum anderen erwartet er, dass sich auch künftige Regierungen in Mali an die zuvor vereinbarten Regeln halten.

Wie sicher ist Nordwestafrika?
Der Tourismus war für Mali bis vor etwa drei Jahren eine wichtige Einnahmequelle. Und gerade die Städte des Nordens, vor allem Timbuktu, waren für Touristen interessant. Doch seit die Region für Touristen immer gefährlicher geworden ist, sanken die Besucherzahlen. Inzwischen haben sämtliche westliche Regierungen Reisewarnungen ausgesprochen. Denn seit längerem ist der Norden Malis zum Rückzugs- und Operationsgebiet der kriminellen Islamistengruppe AQIM geworden. AQIM terrorisiert seit fast einem Jahrzehnt die gesamte Sahelregion von Mauretanien im Westen bis zum Tschad im Osten. Die Stützpunkte der Terrorgruppe scheinen jedoch vor allem im unwegsamen Norden von Mali zu liegen. Beobachter schätzen, dass zwischen 300 und 1000 Kämpfer in den Reihen von AQIM stehen.

Die Gruppe hat in den vergangenen Jahren durch die Entführung von Europäern mehr als 100 Millionen Euro an Lösegeld erbeutet. In den vergangenen zehn Jahren sollen die Islamisten dabei mehr als 50 Personen aus westlichen Ländern in Mali und den angrenzenden Ländern Niger und Mauretanien entweder selbst entführt oder von anderen kriminellen Gruppen verkauft bekommen haben. Zuletzt ist das offenbar mit einem deutschen Ingenieur passiert, der nach Angaben der nigerianischen Regierung von der Terrorgruppe Boko Haram von einer Baustelle im Norden Nigerias verschleppt wurde.

Darauf deutet zumindest ein Video hin, das bei einem mauretanischen Onlinedienst einging. Neben Lösegeld fordern die Entführer die Freilassung der Ehefrau des Chefs der islamistischen „Sauerland-Gruppe“, die in Deutschland Anschläge plante, aber zuvor ausgehoben wurde. Erst im November vergangenen Jahres war ein deutscher Tourist von AQIM-Terroristen in der historischen Stadt Timbuktu bei einem Entführungsversuch erschossen worden. Wegen der potenziellen Gefährdung waren danach alle Touristen aus Timbuktu evakuiert worden.

Die Einnahme von Timbuktu hat zudem Sorgen über die Sicherheit eines Kulturprojekts geweckt, in dessen Rahmen mehr als 700.000 mittelalterliche Dokumente aus Afrika ausgestellt worden waren, darunter wissenschaftliche Arbeiten, die Privatpersonen in Timbuktu gehören.

Welche Folgen hat die Krise für die Region?
Über westafrikanische Schmuggelrouten durch die Sahara wurden nach einer Schätzung der UN-Drogenorganisation UNODC im Jahr 2010 zwischen 21 und 35 Tonnen Kokain aus Südamerika transportiert, das waren etwa 13 Prozent des jährlich nach Europa geschmuggelten Kokains. Die fehlende oder fragile Staatlichkeit in Guinea-Bissau, Mauretanien, Mali, Niger, dem Tschad und neuerdings Libyen macht die Region zum idealen Operationsfeld für jede Art illegaler lukrativer Geschäfte.

Die Tuareg-Aufstände früherer Jahre, zuletzt zwischen 2002 und 2006, betrafen meist auch Niger. Im Gegensatz zu Mali hatte Niger, das nach einem Militärputsch 2010 wieder demokratisch regiert wird, die aus Libyen zurückkehrenden Tuareg-Kämpfer an der Grenze entwaffnet. Zudem sind die Tuareg im Niger besser ins politische System integriert, so ist beispielsweise der Premierminister ein Tuareg.

Allerdings könnte die Ausrufung eines Tuareg-Staates im Norden Malis neue Dynamik bei den angrenzenden Tuareg-Stämmen auslösen, zumal nicht auszuschließen ist, dass die bisherigen Waffenbrüder der MNLA und Ansar Dine schon bald ihre unterschiedlichen Interessen wiederum bewaffnet austragen. Dazu kommt im gesamten Sahel eine angespannte Ernährungssituation, die schon ohne die Flüchtlingskrise aus Nordmali als äußerst kritisch galt. Die Flüchtlingsströme aus Mali machen die Lage noch schwieriger.

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