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Die Minister Marco Buschmann (Justiz) und Lisa Paus (Familie) bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers zum Selbstbestimmungsgesetz.

© IMAGO/Future Image

Kulturkämpfe um Transsexualität, Gender & Co: Selbstbestimmung ist manchmal auch nur eine Phrase

Das umstrittene Gesetz zum freien Geschlechtereintrag beim Standesamt ist mehr Bürokratie als Revolution. Deshalb ist Gelassenheit ratsam. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Natürlich kann man mit rechtspolitischen Vorhaben Schindluder treiben, schon lange bevor sie als Gesetz in Kraft getreten sind. Ein Beispiel dafür ist das angekündigte „Selbstbestimmungsgesetz“. Die „Bild“-Zeitung schlagzeilte, nun dürfe einmal jährlich das Geschlecht gewechselt werden. In traditionell-feministischen Kreisen wird gemutmaßt, toxische Männer könnten sich so in Frauenhäuser schleichen. Und klar, um mit der Quote Karriere zu machen, würden die Kerle auch nicht davor zurückschrecken, sich als Frauen fördern zu lassen.

Gemach. Das Gesetz mit dem vielversprechenden Namen soll das alte Transsexuellengesetz ablösen und trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen das Leben erleichtern. Ausschließlich sie sind es, an die sich die neuen Vorschriften richten. Für sie soll es ein vereinfachtes Verfahren geben, den Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern zu lassen und einen neuen Vornamen zu führen. Für die allermeisten Männer und Frauen weit jenseits der Pubertät ein schwer vorstellbares Bedürfnis, weshalb der Bundesjustizminister recht haben wird, wenn er meint, dass nur wenige die Option in Anspruch nehmen werden. Als das Bundesverfassungsgericht 2017 urteilte, es müsse neben „männlich“ und „weiblich“ eine dritte Eintragungsmöglichkeit im Personenstandsgesetz vorgesehen werden, sahen ebenfalls viele die Geschlechterwelt aus den Angeln gehoben. Tatsächlich blieben Männer Männer und Frauen Frauen. Die Einführung des „dritten Geschlechts“ war keine sexuelle Revolution, sondern eher ein Akt egalitärer Bürokratie.

Wer sich im Männerkörper als Frau fühlt, wählt nicht

So könnte es auch diesmal sein. Bleibt die Namensfrage. „Selbstbestimmungsgesetz“ klingt in diesem Zusammenhang so, als solle man das Geschlecht frei wählen können. Tatsächlich dürfte diese Freiheit oft so groß nicht sein. Denn wer sich im Männerkörper als Frau fühlt, wählt nicht, und auch nicht, wer zwischen zwei Geschlechtern steht. In vielen Fällen dürfte die Situation mit unterschiedlichen Ausprägungen von seelischem Leid einhergehen, das nicht nur durch die – leider auch weiterhin mögliche – Diskriminierung durch andere hervorgerufen wird. Inkongruenzen von Genital und Identität sind wesentlich auch ein Problem mit sich selbst, nicht nur mit der Umwelt. Das „Selbstbestimmungsgesetz“ hat dafür keine Lösung und kann naturgemäß keine bieten.

Vielleicht wäre es ratsam, sparsam mit dem Etikett zu sein. Sonst kommt es zur Inflation. Wäre demnach vielleicht nicht auch das Gesetz, das der Bundestag zur Erleichterung der Sterbehilfe plant, ein „Selbstbestimmungsgesetz“? Sich selbst zu töten, ist selbstbestimmter als alles andere. Und könnte der Begriff, zumindest nach Ansicht nicht weniger, womöglich zu künftigen Regeln des Schwangerschaftsabbruchs passen? Schließlich scheint es hier zentral um die Selbstbestimmung bei der eigenen Reproduktion zu gehen.

Es handelt sich um Geschlechtsbestimmung, weniger um Selbstbestimmung

Aber auch in solchen Fällen ist Selbstbestimmung nur ein Aspekt von mehreren, wenngleich der im Konflikt Ausschlag gebende. Jeder, der sterben will, hat Menschen, die ihn geboren haben, und nicht selten Nachkommen, für die er etwas bedeutet. Das begrenzt die Selbstbestimmung. Selbstbestimmt ist es auch eher selten, wenn Frauen sich gegen ihr Embryo entscheiden müssen. Denn es handelt sich regelmäßig um Schwangerschaften, die ungewollt sind. In einer Notlage bestimmt man selten frei über sich, vielmehr reagiert man darauf. Der nach Entfaltung klingende Name bemäntelt, dass es auch bei Transpersonen und Nichtbinären weniger um Selbstbestimmung als vielmehr um eine im Sinne der Rechtsordnung zu vollziehende notwendige Geschlechtsbestimmung geht. Nur eben etwas selbstbestimmter als vorher, als man sich noch unangenehmer Fragerei unterziehen musste.

Unabhängig davon muss das Phänomen Sorge bereiten, dass immer mehr Jugendliche mit Transgefühlen die Psychiatriepraxen füllen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass das geplante Gesetz dazu weitere ermuntert. Eher dürfte es so werden, dass es in identitären Krisen Pubertierenden eine Handlungsmöglichkeit anbietet, die rückgängig gemacht werden kann. Papier ist eben geduldig.

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