zum Hauptinhalt
Neue Patrioten. Eine Deutschlandfahne schwenken Flüchtlinge im Lager in Idomeni an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien und rufen "Mama Merkel".

© dpa

Wahl-Sonntag: Landtagswahlen: Keine Abstimmung über Flüchtlingspolitik

Es hieß, die Landtagswahlen würden zu einem Plebiszit über Angela Merkels Politik. Das ist offensichtlich eine Fehleinschätzung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Bei so einem Ergebnis müssten Angela Merkel eigentlich Freudentränen in den Augen stehen. Ungefähr drei Viertel der Wähler in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben für Parteien votiert – CDU, SPD, Grüne, Linke –, die ihre Flüchtlingspolitik unterstützen. Jedenfalls im Prinzip. Die einzige Partei, die diese Politik strikt ablehnt – die AfD – hat zwar erwartbar gepunktet, in Sachsen-Anhalt sogar deutlich, vertritt aber offenbar nur eine Minderheit der Deutschen. Bedeutet das Ergebnis also eine klare demokratische Legitimation von Merkels Flüchtlingspolitik?

Was so klar scheint, ist aus vier Gründen eine zumindest gewagte These. Erstens kollidiert sie mit fast allen harten Umfragedaten. Laut Infratest dimap, die unter anderem den ARD Deutschlandtrend ermittelt, sind die Werte seit dem Herbst vergangenen Jahres relativ stabil: Rund 40 Prozent der Deutschen sind zufrieden mit Merkels Flüchtlingspolitik, 60 Prozent unzufrieden. Gespalten ist das Land bei der Frage „Schaffen wir das?“. Die eine Hälfte sagt Ja, die andere Nein. Warum aber schlagen sich solche Umfragen nicht deutlicher in den Parteipräferenzen nieder?

Dazu zweitens: Wenige Wähler haben bei ihrer Stimmabgabe nur ein einziges Thema im Kopf. Die meisten treffen ihre Entscheidung aufgrund einer Mischkalkulation. Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan etwa, der von Union, SPD, Grünen und FDP unterstützt wird, wurde jahrelang von einer Mehrheit der Deutschen abgelehnt. Davon aber konnte die Linke, die gegen den Bundeswehreinsatz ist, kaum profitieren.

Wer für die CDU gestimmt hat, kann auch die gewendete Flüchtlings-Merkel unterstützt haben wollen

Drittens empfinden viele Wähler eine gewisse Scheu gegenüber neuen oder als extrem empfundenen Parteien, selbst wenn sie deren Standpunkte in einer zentralen Frage teilen. Als die Grünen im März 1983 mit 5,6 Prozent der Stimmen in den Bundestag einzogen, war der Anteil der vehementen Kernkraftwerksgegner weitaus höher. Analog dazu wird es heute viele „besorgte Bürger“ geben, die der Willkommenskultur kritisch gegenüberstehen, denen aber die AfD zu rechts, zu national, zu chaotisch, zu fremdenfeindlich ist – und die sie daher nicht wählen.

Viertens schließlich können auch Gegner der Merkel’schen Flüchtlingspolitik vom September 2015 – der Zeit des „freundlichen Gesichts“, des „Wir schaffen das“ und den Selfies – den Wandel der Bundeskanzlerin hin zu einer drastischen Verschärfung des Asylrechts bei deutlicher Reduzierung der Flüchtlingszahlen und einer Weigerung, akut leidende Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen, richtig finden. Wer für die CDU gestimmt hat, kann damit die gewendete Flüchtlings-Merkel unterstützt haben wollen.

Die Annahme, aus den drei Landtagswahlergebnissen ließe sich eine demokratische Legitimation von Merkels Flüchtlingspolitik ableiten, ist vor diesem Hintergrund kühn, ja verwegen. Ohnehin sollten Landtagswahlen mit ihrer oft eigenen landesspezifischen Dynamik nicht als Plebiszite über ein bundespolitisches Thema missverstanden werden. Merkel muss sich weiter um Verständnis für ihre Flüchtlingspolitik bemühen. Die Gesellschaft bleibt gespalten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false