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Alleine im langen Tunnel: Situationen wie diese sind für viele Frauen angstbesetzt.

© Moment/Getty Images

Mangelnder Gewaltschutz für Frauen: Massive Defizite in Deutschland

Der Europarat hat untersucht, wie es in Deutschland um den Gewaltschutz für Frauen steht. Das Ergebnis zeigt großen Handlungsbedarf und dramatische Probleme.

Zu wenige Frauenhäuser, so dass Opfer wählen müssen, entweder Obdachlosigkeit zu riskieren oder zum Täter zurückzukehren. Ein Rechtssystem, das gewalttätigen Ehemännern unbegleiteten Umgang mit ihren Kindern ermöglicht. Mangelnde Sensibilität von Behördenmitarbeiter:innen und schlechte Abstimmung verschiedener Stellen untereinander. Und schließlich das Fehlen einer nationalen Strategie und Koordinierungsstelle: Ein Bericht des Europarats attestiert Deutschland große Defizite beim Gewaltschutz für Frauen.

Vorgelegt hat den Bericht das unabhängige Gremium Grevio (Expert Group on Action against Violence against Women and Domestic Violence). Es soll die Umsetzung der Istanbul-Konvention in allen Vertragsstaaten überwachen. In Deutschland ist dieses Abkommen zum Kampf gegen Gewalt an Frauen und gegen häusliche Gewalt seit 2018 in Kraft. Nun wurde die Umsetzung zum ersten Mal durch Grevio evaluiert.

Mangelnde Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Behörden

In einem zusammenfassenden Bericht des Europarats wird kritisiert, dass es in Deutschland keinen nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen und keine nationale Koordinierungsstelle gibt. Eine solche ist im Koalitionsvertrag der Ampel vereinbart, bisher aber noch nicht eingerichtet. Eine Sprecherin des Familienministeriums sagte dazu am Freitag, die Einrichtung sei für die laufende Legislaturperiode in Arbeit.

Die Hauptverantwortung für den Aufbau, die Weiterentwicklung und die Finanzierung des Hilfs- und Unterstützungssystems liege in Deutschland aber bei den Bundesländern, und die Mehrzahl der Länder habe entsprechende Aktionspläne.

Im Bericht des Expertengremiums heißt es allerdings, trotz der Aktionspläne der Länder sei eine nationale Koordinierung unbedingt erforderlich - gerade mit Blick auf die regional teils sehr unterschiedlichen Schutzstandards.

Berlin: Eine Frau blickt in einem Frauenhaus, wo sie Zuflucht gefunden hat, aus dem Fenster.

© dpa / Sophia Kembowski

Dem Bericht zufolge führt das Fehlen einer solchen übergeordneten Strategie und Koordinierungsstelle zu ganz konkreten Defiziten. Kritisiert wird die „mangelnde Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Behörden“, die zu einer „mangelhaften Risikoabschätzung für gewaltbetroffene Frauen“ führe. Ein systematisches und geschlechtersensibles Sicherheitsmanagement wird als dringend notwendig angemahnt.

Festgehalten wird auch, dass es in vielen Landesteilen an Plätzen in Frauenhäusern mangele und es zum Teil große Hürden für die Aufnahme gebe, zum Beispiel für Frauen mit Behinderungen und Frauen mit unsicherem Aufenthaltsstatus. In der Folge stünden Frauen und ihre Kinder vor der Wahl, zum Täter zurückzukehren oder Obdachlosigkeit zu riskieren.

Im Koalitionsvertrag der Ampel ist ein „bundeseinheitlicher Rechtsrahmen“ samt verlässlicher Finanzierung für Frauenhäuser angekündigt. Die Sprecherin des Familienministeriums sagte dazu, derzeit würden Eckpunkte für eine regierungsinterne Abstimmung über das weitere Vorgehen erarbeitet.

Außerdem würden mit dem Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ Investitionen unter anderem in Frauenhäuser unterstützt. Bis 2024 stünden jährlich 30 Millionen Euro zur Verfügung, bis jetzt seien 63 Millionen Euro für konkrete Projekte beantragt.

Unsichere Waschräume, unverschließbare Zimmer oder Schlafräume, schlechte Beleuchtung, fehlende Rückzugsräume, Missbrauch durch Sicherheitspersonal.

Einige der im Bericht genannten Missstände in Unterkünften für Geflüchtete

Weitere gravierende Probleme sieht die Expertengruppe bei den Sammelunterkünften, in denen geflüchtete Frauen und Kinder unterkommen. Die Liste der Kritikpunkte ist lang: „unsichere Waschräume, unverschließbare Zimmer oder Schlafräume, die nicht nach Geschlechtern getrennt sind, schlechte Beleuchtung, fehlende Rückzugsräume, Missbrauch durch Sicherheitspersonal, mangelhafter Umgang mit Vorfällen von Belästigung und Missbrauch durch männliche Bewohner“ sowie die „Nichtdurchsetzung von Schutzanordnungen gegen misshandelnde (Ehe-)partner“.

Ein schlechtes Zeugnis bekommt Deutschland auch im Bereich des Umgangs- und Sorgerechts nach häuslicher Gewalt. Dabei geht es beispielsweise um Ehemänner, die trotz dokumentierter und zum Beispiel sogar abgeurteilter Gewalttaten das Recht auf Umgang mit ihren Kindern ausüben dürfen.

In der Zusammenfassung des Berichts heißt es, Mitarbeiter:innen der Kinder- und Jugendhilfe und Richter:innen müssten es stärker berücksichtigen, wenn Kinder miterleben mussten, wie beispielsweise der Vater die Mutter misshandelt.

Auch wird gefordert, allen gewaltbetroffenen Frauen die Beantragung eines eigenständigen Aufenthaltstitels zu ermöglichen, unabhängig von der Art des Aufenthaltstitels ihres gewalttätigen Ehepartners.

Außerdem solle Deutschland darauf hinarbeiten, dass Partnerschaftsgewalt häufiger strafrechtlich verfolgt wird und dass die Behörden in diesen Fällen schneller arbeiten. Es mangele zudem an einer systematischen statistischen Auswertung der Taten, um für die Zukunft vorzubeugen und Schwachstellen in der Arbeit der Behörden zu identifizieren.

Dazu sagt die Sprecherin des Familienministeriums, eine unabhängige Berichterstatterstelle werde noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen. Ihre Aufgabe sei es, Daten systematisch zusammenzuführen und auszuwerten.

Zudem habe das Familienministerium zusammen mit dem Innenministerium und dem Bundeskriminalamt die Entwicklung einer repräsentativen Befragung in Auftrag gegeben. Diese solle helfen, Kenntnisse über das Dunkelfeld bei häuslicher Gewalt und sexualisierter Gewalt zu sammeln, um Hilfsangebote zielgenau ausbauen zu können.

Im Bericht des Expertengremiums werden auch Punkte positiv hervorgehoben. Genannt wird etwa die Einrichtung eines nationalen Hilfetelefons und die Reform des Sexualstrafrechts unter dem Schlagwort „Nein heißt nein“ schon vor Inkrafttreten der Istanbul-Konvention.

Gelobt werden auch der in den vergangenen Jahren geschaffene Rechtsrahmen gegen Cyberstalking und digitale Gewalt sowie das „Lagebild Partnerschaftsgewalt“ des Bundeskriminalamts.

Frauen- und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ließ am Freitag mitteilen, sie als Feministin stehe zur vorbehaltlosen Umsetzung der Istanbul-Konvention. Die „gründliche Analyse“ des Europarats zeige, wo Deutschland noch besser werden müsse.

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