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Bundeskanzlerin Angela Merkel (l, CDU) und ZDF-Moderatorin Bettina Schausten beim ZDF-Sommerinterview

© dpa

Matthies meint: Einer dulde des anderen Schwein

Angela Merkel sagte im Sommerinterview: „Die Toleranz gehört schon dazu, dass wir uns in unseren Essgewohnheiten jetzt nicht verändern müssen.“ Was sagt uns das? Eine Glosse.

Eine Glosse von Lars von Törne

Wenn ich mal an das Gedächtnis meiner Generation appellieren darf: Haben wir nicht als Schulkinder immer beim Anblick des Kindergartens so etwas gerufen wie „Kindergarten, Schweinebraten, hat die ganze Welt verraten“? Und sind dann heiter weitergezogen?

Ich nehme an, dieser windschiefe Reim existiert in der Schulpraxis nicht mehr. Denn er enthält, wie nicht weiter erklärt werden muss, im Kern eine massive Beleidigung. Schweinefleisch ist etwas so Gefährliches geworden, dass sich jetzt sogar die Kanzlerin veranlasst sah, in ihrem Sommerinterview dazu Stellung zu nehmen. Und der Kindergarten ist mir eingefallen, weil der Tonfall in diese Richtung wies: Kinder, jetzt benehmt euch doch mal.

Was hat sie gesagt? Die Vielfalt, die wir haben, soll erhalten bleiben. Kotelett, Hinterschinken, Brühwurst, ja sogar Parmaschinken und gemischtes Hack – alles gut, kulinarische Leitkultur. Und dann verwahrt sie sich gegen alle Ansinnen, dies zu ändern. Eine echte Merkel-Girlande: „Die Toleranz gehört schon dazu, dass wir uns in unseren Essgewohnheiten jetzt nicht verändern müssen.“

Auf Ferkel komm raus

Hier sehen wir die Vermittlungskunst der Kanzlerin wieder einmal in Vollendung: Der Satz glitscht und rutscht weiter weg mit jedem Versuch, ihn zu entschlüsseln. Wer sind „Wir“? Wessen Toleranz ist eingefordert? Einigermaßen konkret könnte man eventuell sagen, dass radikale Imame, die die Anwesenheit von Schweinefleisch in ihrem gesamten Wohnbezirk verbieten wollen, dies nicht mit Zustimmung der Kanzlerin tun. Auch Kantinenwirte, die in vorauseilendem Gehorsam jegliche Schweinegerichte von der Karte streichen, geraten in den Streubereich ihrer Kritik, wenngleich natürlich für solche Entscheidungen auch andere Gründe denkbar sind.

Ach, die Gesetze des Sommerinterviews sind streng, da muss geredet werden auf Ferkel komm raus. Was hat sie jetzt genau gesagt? In der Sprache der evangelischen Kirchentage vermutlich so etwas wie: „Einer dulde des anderen Schwein.“ Kindergartenkram für jemanden, der doch Tag für Tag die Welt retten muss. Denn in der wird, wie wir wissen, morgen schon wieder eine ganz andere Sau durchs Dorf getrieben.

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