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Politik: Mehr Thatcher denn je

Untersuchungen zeigen, dass die Briten unter Labour viel marktliberaler denken als in der Zeit der konservativen Regierung

Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen will sich Gordon Brown aus der Krise manövrieren. Schließlich steht Labour in Umfragen so schlecht da wie zuletzt 1935 und von der Kredit- und Immobilienkrise ist England schwer getroffen. Doch der geplante Befreiungsschlag könnte schwierig werden, schon deshalb, weil Brown vor widersprüchlichen Erwartungen steht: Einerseits will er den linken Parteiflügel und die Gewerkschaften besänftigen, die ein stärkeres Eingreifen des Staates fordern und mit einer Reichensteuer liebäugeln. Andererseits sind da die Bürger: Eine Studie des Sozialwissenschaftlers Peter Taylor-Gooby von der Universität Kent in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Britischen Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass die Briten nicht mehr viel von staatlichen Sozialleistungen halten. Soziale Gerechtigkeit wird ganz stark als Chancengerechtigkeit betrachtet.

Seit rund zehn Jahren hat sich die Einstellung gegenüber ärmeren Menschen im Land beinahe grundsätzlich gewandelt. „Armut wird heutzutage viel mehr auf eigenes Verschulden und zu wenig persönliche Anstrengung zurückgeführt“, sagt Taylor-Gooby. Auch Einkommensunterschiede werden stärker akzeptiert als noch vor dem Amtsantritt von Tony Blair 1997. „In gewisser Weise ist England unter New Labour viel mehr Richtung Thatcher gegangen als je unter den Konservativen“, sagt der Wissenschaftler, der auch federführend an der größten jährlichen Umfrage zur Einstellung der Briten zum Sozialstaat mitwirkt.

Erkenntnisse daraus hat er nun mit zahlreichen Interviews und Gruppengesprächen vertieft. „Und die Ergebnisse sind sehr überraschend“, sagt Taylor-Gooby. „Es gibt einen substanziellen Wandel hin zu einer stärker marktliberalen Einstellung und weg von einer sozialstaatlichen Einstellung, wie sie Labour vor Blair vertreten hat.“

Die Unterschiede zwischen links und rechts seien kleiner geworden, weil die Mehrheit eine klare Vorstellung habe. „Vom Staat werden keine direkten finanziellen Zuwendungen verlangt, sondern dass er den Menschen Möglichkeiten und Chancen einräumt, selbst für einen wirtschaftlichen Aufstieg zu sorgen“, sagt Taylor-Gooby. Und New Labour habe genau diese Sozialpolitik betrieben, indem die Regierung beispielsweise Zuschüsse zu Niedriglohnjobs gewährte und einen Mindestlohn einführte.

Es sei erstaunlich, wie sich diese Einstellung verfestigt habe, sagt Taylor-Gooby. Während noch 1995 fast die Hälfte der Briten meinte, dass die direkten Zuschüsse für Arme steigen müssten und beinahe keiner der Ansicht war, dass diese Zuschüsse zu hoch seien, hat sich das Bild nun ins Gegenteil verkehrt. 2006 waren fast 40 Prozent der Meinung, dass die Zuschüsse zu hoch sind. Außerdem glauben heute doppelt so viele Briten, dass es in Ordnung ist, wenn sich Reichere eine bessere Gesundheitsversorgung leisten können. Vom Staat werde zwar eine Grundversorgung in Sachen Gesundheit und Bildung erwartet, aber wer sich mehr leisten kann, soll dafür auch sein „hart verdientes Geld“ ausgeben können. Der Umkehrschluss, dass sich der Staat ganz zurückziehen solle, sei aber auch falsch. „Vielmehr soll er dafür sorgen, dass jeder die Chance bekommt sich zu beteiligen“, sagt Taylor-Gooby. Ganz prinzipiell sei festzustellen, dass das Vertrauen in die Fähigkeit des Staates, mit Geld umzugehen, weiter zurückgegangen sei.

Er selbst habe dem New-Labour-Weg zwar skeptisch gegenübergestanden, doch er müsse nach seinen Studien zu der Erkenntnis kommen, dass ein Weg zurück zu Old Labour für die Partei „verheerend“ wäre. Gründe für diese Einstellungsänderung sei natürlich die Politik New Labours, aber auch die Erkenntnis, dass „im Zeitalter der Globalisierung eine Regierung vieles nicht mehr kontrollieren kann“. Im Zuge dessen sei Ungleichheit in einer Gesellschaft die logische Folge. „Da sind Engländer immer pragmatischer geworden und fragen nur, wie der Staat Chancen schaffen kann, dass sich mehr am Markt beteiligen.“

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