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Wer Maske trägt und die App nutzt, sollte Lockerungen der Beschränkungen erhalten.

© imago images/Bernd Friedel

Menschen mit Maske und App sollten raus dürfen: Lockdown ja - aber nur für Gefährder!

Das Prinzip Führerschein: Wer mit Maske und „Corona-App“ sein Gefährdungspotenzial für Andere reduziert, sollte nicht weiter beschränkt werden. Ein Gastbeitrag.

Martin Schallbruch ist stellvertretender Direktor des Digital Society Institute der ESMT Berlin und war langjähriger Abteilungsleiter für Digitalisierung im Bundesministerium des Innern.

Wer offene Lebensmittel herstellt oder verkauft, braucht eine Bescheinigung, das er belehrt wurde. Denn würde ein Bäcker oder Koch ansteckende Krankheiten verbreiten, wären wir alle in Gefahr. Auch wer ein Kraftfahrzeug führt, braucht eine Bescheinigung. Ohne Führerschein – und ohne ein staatlich zugelassenes Auto – darf man nicht auf die Straße. Die Gefahr für andere wäre zu groß. Wo immer Einzelne eine Gefahr für die Gemeinschaft darstellen, greift der Staat ein und erlaubt ihnen das gefährliche Tun nur unter Auflagen.

Wo Gefahr droht, reguliert der Staat

Ob es um das Tragen von Waffen, um medizinische Behandlungen oder um das Hantieren mit elektrischen Anlagen geht – staatliche Erlaubnisse, Bescheinigungen, Auflagen und Prüfungen reglementieren und kennzeichnen all die Tätigkeit, von denen eine Gefahr ausgeht.

[Lockerungen von Coronavirus-Kontaktverbote: So kann Deutschland die Exit-Strategie gelingen. Einen Überblick lesen Sie hier.]

In der gegenwärtigen Covid-19- Pandemie sind wir alle eine Gefahr – für alle anderen. 46 Prozent der Infektionen mit dem Sars-2-Virus erfolgen präsymptomatisch: Bevor der Träger des Virus überhaupt Anzeichen einer Krankheit bemerkt, erfolgt die Ansteckung. In nahezu jedem zweiten Fall ist das also so. Mit dem gegenwärtigen „Lockdown“ versucht der Staat, die Infektionen zu stoppen. Wer niemandem begegnet, gefährdet auch niemanden. Völlige Kontaktsperre ist das härteste aller Mittel, um die Gefahr abzuwenden.

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Es fehlt ein differenzierter Risikobegriff

Die Folgen des Lockdown sind dramatisch und viel beschrieben. 500.000 Betriebe haben innerhalb weniger Tage Kurzarbeit angemeldet, Wirtschaftsminister Peter Altmaier erwartet in diesem Jahr einen schlimmen Einbruch der Wirtschaftsleistung – mit vielen ökonomischen und sozialen Folgen für unsere Gesellschaft, die uns noch lange beschäftigen werden. Die aufkommende Diskussion um die Beendigung des Lockdowns ist nachvollziehbar. Politik und Wissenschaft suchen nach einem Weg, die Vermeidung von Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung und die Vermeidung von Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft im Lot zu halten.

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Die Lösung wird in einem differenzierteren Risikobegriff liegen müssen. Wir brauchen eine feinere Unterscheidung, was eine Gesundheitsgefahr darstellt und was nicht. Wer keine Gefahr für die Gesundheit anderer darstellt, muss in seiner Betätigung als Arbeitnehmer, Selbständiger oder Verbraucher nicht weiter beschränkt werden. 

Oder genauer gesagt: Wer keine Gefahr darstellt, darf nicht weiter beschränkt werden, um die Risiken für die Wirtschaft so klein wie möglich zu halten. Eine solche Differenzierung braucht eine Abkehr von den Kollektivmaßnahmen und ein Hinwenden zu individuellen Maßnahmen.

Maskenträger sind weniger gefährlich für andere

Hierfür gibt es viele Ansatzpunkte. Wir haben in den vergangenen Tagen und Wochen gelernt, dass das Tragen einer Maske nicht den Träger schützt, sondern andere davor schützt, vom Träger der Maske infiziert zu werden. Wer also stets eine Maske trägt, ist eine geringere Gefahr als andere. 

Virologen sind mittlerweile fest überzeugt, dass eine Wiederansteckung nach durchgemachter Covid-19-Erkrankung für bestimmte Zeit sehr unwahrscheinlich ist. Wer also nachweisen kann, dass er die Krankheit hatte, ist eine geringere Gefahr für die Allgemeinheit. Wir wissen, dass eine schnelle Information aller Kontaktpersonen eines Infizierten die weitere Verbreitung der Infektion stoppen kann, indem sich die relevanten Kontaktpersonen sofort in Quarantäne begeben.

Die Gefahr einer Infektion ist nicht immer gleich. Manche Menschen sind gefährlicher als andere. Auch wenn wir als Gemeinschaft solidarisch und gemeinsam diese Pandemie durchstehen wollen, so sollten wir die nötige Differenzierung konsequenter vornehmen, im Interesse aller. Wichtige Hilfsmittel hierbei können digitale Lösungen sein.

Der Datenschutz dominiert die App-Frage

Die für Deutschland vorbereitete App für das Smartphone kann ein solches Hilfsmittel sein. Sie soll auf dem Smartphone eines Nutzers registrieren, wann ein längerer Kontakt mit einem anderen Nutzer der App bestand. Wird einer der so registrierten Kontakte als Infizierter erkannt, können alle Kontaktpersonen des relevanten Infektionszeitraums auf Knopfdruck gewarnt werden und sich entsprechend verhalten – etwa in Selbstisolierung gehen, um keine weiteren Menschen anzustecken.

Maske rauf - Beschränkungen runter? Wer sich ungefährlich macht, sollte dafür belohnt werden, findet Martin Schallbruch.
Maske rauf - Beschränkungen runter? Wer sich ungefährlich macht, sollte dafür belohnt werden, findet Martin Schallbruch.

© ZB

Die Diskussion um die Nutzung der App ist in Deutschland vor allem vom Datenschutz geprägt. Aus manchen Stellungnahmen gewinnt man den Eindruck, Datenschutz sei das wichtigste aller Grundrechte in Deutschland. Immerhin gibt es aber jetzt eine deutsche Lösung, bei der eine solche App ohne persönliche Daten auskommt und den Segen der Datenschutzbeauftragten findet. 

Umso besser: Ich wünsche mir auch keine permanente Registrierung meiner Handy-Position durch den Staat, doch ich wünsche mir ebenso sehr, mit meiner Tochter auf den Spielplatz gehen zu können oder meinen Job wieder normal auszuüben.

Freiwillig? Der Tüv ist auch nicht freiwillig

Doch im Gefolge der Datenschutzdiskussion schließt sich eine Diskussion um die Freiwilligkeit der Nutzung an. 60 Prozent aller Menschen müssten eine solche App benutzen, und davon müssten 60 Prozent aller Nutzer sich im Falle einer Warnung in Isolation begeben. Britische Virologen haben ermittelt, dass man so die Infektionstätigkeit stoppen kann.

Ist das mit freiwilliger Nutzung zu erreichen? Aber warum überhaupt Freiwilligkeit, warum nicht Differenzierung von Risiko?

Wer eine Maske trägt und zudem permanent eine App verwendet, die im Infektionsfall alle Kontakte alarmiert, stellt eine weit geringere Gefahr für die Allgemeinheit dar als jeder andere. Warum erlauben wir nicht denjenigen, die solche Schutzmaßnahmen ergreifen, wieder auf den Spielplatz zu gehen, ein Restaurant zu öffnen, ein Restaurant zu besuchen oder im Hotel zu übernachten? 

Warum bringen wir die Wirtschaft nicht dadurch wieder in Schwung, dass wir jedem Menschen unter solchen Auflagen die Rückkehr zum Alltag erlauben. Das wäre keine Pflicht zur Nutzung der App, sondern eine Auflage bei gefährlichem Tun, wie der Führerschein, der TÜV für das Auto oder der Waffenschein.

Wer sich nicht sichern will, muss Einschränken dulden

Natürlich muss man eine solche Auflage auch kontrollieren. Maskenpflicht lässt sich einfach kontrollieren. Aber auch die Nutzung einer App, die den Nutzer via Bluetooth identifiziert, lässt sich kontrollieren. Wie immer wird Einhaltung der Regeln und ihre Kontrolle nicht zu 100 Prozent funktionieren, aber das gilt für den abgelaufenen TÜV oder den fehlenden Führerschein genauso.

Wer sich diesen Auflagen nicht unterwerfen mag, der wäre in Berufsausübung oder Freizeitaktivitäten weiterhin eingeschränkt. Das ist keine Ungleichbehandlung, sondern geboten: Denn wer eine besondere Gefahr darstellt, der muss besondere Einschränkungen dulden. Wer selbst etwas dazu beiträgt, Gefahren für andere aktiv zu reduzieren, für den sollten die Einschränkungen milder ausfallen.

Martin Schallbruch

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