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Amir, Nika, Mohammad: Nicht einmal vor Kindern macht die Grausamkeit des Regimes in Teheran Halt

Hunderte Iraner wurden in den vergangenen Wochen von Einsatzkräften getötet. Unter den Opfern sind auch Kinder und Jugendliche. Wie sind sie ums Leben gekommen und durch wen?

Es sind Worte, die einer Kampfansage gleichen. „Die Demonstranten sollten die Geduld des Systems nicht überstrapazieren“, warnte Hussein Salami, Kommandeur der mächtigen und hochgerüsteten Revolutionsgarden des Iran am vergangenen Wochenende.

Die Straßenproteste müssten sofort enden, niemand werde den Demonstranten erlauben, weiter Unsicherheit zu stiften und die Universitäten des Landes in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Es ist eine unmissverständliche Drohung.

Die Eliteeinheit des Regimes wird alles daransetzen, die Unruhen umgehend zu beenden, die die Islamische Republik seit Wochen erschüttern. Jeder Iranerin und jedem Iraner dürfte klar sein, dass dies Gewalt bedeutet. Gewalt, die noch viel mehr Regierungsgegnern das Leben kosten könnte als bisher.

Doch abhalten kann das die vielen Gegner der Mullah-Herrschaft offenkundig nicht – die Proteste gehen weiter, die durch den Tod der 22 Jahre alten Jina Masha Amini ausgelöst wurden.

Sie war am 16. September nach ihrer Festnahme wegen eines angeblich „unislamisch“ getragenen Kopftuchs in Polizeigewahrsam gestorben.

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Inzwischen geht es aber längst nicht mehr um rigide Kleidungsvorschriften. Vielmehr wird das ganze System der Islamischen Republik massiv infrage gestellt und sogar der Tod von Revolutionsführer Ali Chamenei gefordert.

Nach Schätzungen von Menschenrechtlern sind bereits rund 250 Menschen bei den Unruhen getötet worden – zumeist durch gezielte Schüsse mit scharfer Munition, Metallgeschosse und Schrotkugeln. Manche wurden auch totgeschlagen.

Amnesty International hat auf Grundlage der zugänglichen Informationen – Augenzeugenberichte, Audio- und Videoaufnahmen, Aussagen von Angehörigen – das Schicksal der Opfer recherchiert. Zumindest einigen kann so ein Name und ein Gesicht gegeben werden.

Unter den Toten sind zwei Dutzend Kinder und Jugendliche, vermutlich liegt die Zahl tatsächlich noch viel höher. Wir dokumentieren hier, unter welchen Umständen 19 von ihnen starben und wer mutmaßlich dafür verantwortlich ist.


Zakaria Khial

© Foto: Amnesty/Privat

Einsatzkräfte erschießen den 16-Jährigen bei Protesten in der Gebirgsstadt Piranschahr nahe der Grenze zum Irak aus zwei Metern Entfernung mit scharfer Munition. Als Zakaria am 20. September blutend am Boden liegt, wird zusätzlich mit großer Brutalität auf ihn eingeschlagen.


Amin Marefat

© Foto: Amnesty/Privat

Mitglieder der Revolutionsgarden in der Stadt Oschnaviyeh im Südwesten der Provinz West-Aserbaidschan töten den ebenfalls 16 Jahre alten Jungen am 21. September, als sie wahllos mit scharfer Munition auf Demonstranten schießen. Ein Augenzeuge berichtet, dass die Schüsse Amin ins Herz trafen und die Kugel durch den Rücken wieder austrat.


Abdollah Mohammadpour

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Kräfte des Sicherheitsapparats, darunter paramilitärische Basidsch-Milizen, feuern am 21. September mit scharfer Munition auf Protestierende, die sich in der Nähe des Basidsch-Hauptquartiers im Dorf Balo in der Provinz West-Aserbaidschan versammelt haben. Dabei kommt der 17-jährige Abdollah ums Leben.


Mohammad Reza Sarvari

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Der 14-Jährige mit afghanischer Staatsangehörigkeit stirbt ebenfalls am 21. September. Sicherheitskräfte erschießen ihn während der Proteste in der Stadt Schahr-e Rey, etwa 15 Kilometer südlich von Teheran gelegen.

Am 7. Oktober veröffentlicht der Anwalt der Familie auf Twitter eine Kopie des Totenscheins, ausgestellt von einem staatlichen gerichtsmedizinischen Institut. Darin heißt es, Mohammad sei an Blutungen und zertrümmertem Hirngewebe gestorben, verursacht durch „einen Treffer mit einem sich schnell bewegenden Projektil“.


Amir Hossein Basati

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Auch der 15-Jährige Amir wird am 21. September getötet. Todesursache sind vermutlich Metallkugeln, die Polizisten während Protesten in der Stadt Kermanschah an der Grenze zum Irak auf ihn abfeuern. Das geht aus dem schriftlichen Bericht eines Augenzeugen hervor, den ein außerhalb des Irans lebender Menschenrechtsanwalt Amnesty übermittelt.


Nika Shakarami

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Sie verschwindet am 20.September, nachdem sie an Protesten in Teheran teilgenommen hatte. Neun Tage später stellt sich heraus, dass die 16-Jährige tot ist. Im Totenschein, den Amnesty einsehen kann, ist der 21. September als Sterbedatum genannt. Darin werden „multiple Verletzungen durch den Zusammenstoß mit einem harten Gegenstand“ als Todesursache genannt.

Nika soll am 20. September gegen 23.30 Uhr ein letztes Mal mit ihrer Mutter und einer Freundin telefoniert und gesagt haben, sie werde von Sicherheitsbeamten gejagt. In den Tagen danach versucht die Familie, Informationen über ihren Verbleib zu erhalten. Die Behörden behaupten, nichts über ihren Aufenthaltsort zu wissen.

Am 29. September werden die Angehörigen aufgefordert, Nikas Leiche zu identifizieren. Die Familie berichtet, ihre Wangenknochen, Nase und Zähne, der gesamte Schädel sei durch Schläge zertrümmert gewesen. Kurz vor der geplanten Beerdigung schaffen Mitarbeiter des Geheimdienstes die sterblichen Überreste aus dem Leichenschauhaus und bestatten sie in einem abgelegenen Dorf, ohne Zustimmung der Familie.

Später veröffentlichen staatliche Medien ein Video, das zeigen soll, wie ein Mädchen in Suidzidabsicht – angeblich Nika – auf das Dach eines Gebäudes läuft und an den Folgen eines „Sturzes aus großer Höhe“ stirbt.


Mehdi Mousavi Nikou

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Nach Informationen der unabhängigen Medien Iran Wire und Iran International schießen staatliche Einsatzkräfte bei Demonstrationen von hinten mit Metallkugeln auf den 16-Jährigen, wodurch er zu Boden stürzt. Anschließend wird er an Kopf und Körper mit Schlagstöcken traktiert. Das überlebt er nicht. Er stirbt am 21. September.


Pedram Azarnoush

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Das Leben des 16-Jährigen endet am 22. September. Revolutionsgardisten töten ihn bei Protesten in der Stadt Dehdascht, gut 100 Kilometer vom Persischen Golf entfernt, als sie wahllos mit scharfer Munition auf Demonstranten schießen.

Ein Augenzeuge berichtet später: „Der Junge lehnte an einer Mauer und schaute nur zu den Menschen. Die Demonstranten waren auf der Flucht. Er wusste nicht, dass die Kugeln auch in seine Richtung fliegen.“


Setareh Tajik

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Die 17-Jährige afghanischer Herkunft wird bei Protesten in Teheran totgeschlagen, ihr Gesicht und ihr Körper schwer entstellt. In Setarehs Totenschein heißt es, ihr Tod am 22. September sei auf „multiple Verletzungen durch den Zusammenstoß mit einem harten Gegenstand“ zurückzuführen.


Sarina Esmailzadeh

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Die 16-Jährige stirbt wahrscheinlich durch massive Schläge auf den Kopf. Nach ihrem Tod am 23. September in der Millionenstadt Karadsch, rund 40 Kilometer westlich von Teheran gelegen, wird der Familie verwehrt, die Leiche zu sehen.

Quellen zufolge wird sie von den Behörden in ein weißes Tuch gewickelt, zum Bestattungsort gebracht. Die Familie soll Sarina sofort begraben.

Nachdem ihr Tod am 7. Oktober bekannt wird und einen öffentlichen Aufschrei auslöst, behauptet der Leiter des Justizministeriums der Provinz, sie habe sich durch einen Sprung von einem Dach das Leben genommen.

Einen Tag später bestätigt Sarinas Mutter diese Darstellung. Unabhängigen Medien außerhalb Irans zufolge ist es eine erzwungene Aussage.


Siavash Mahmoudi

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Den 25. September überlebt der 16-Jährige nicht. Die genauen Umstände seines Todes sind nicht bekannt. Als sicher gilt, dass er bei Protesten in Teheran von Mitgliedern des Sicherheitsapparats getötet wird.

Ein Video seiner trauernden Mutter, das am 30. September im Internet kursiert, zeigt, wie sie ein Bild ihres Sohnes auf der Straße hochhält und zu dessen Beerdigung einlädt: „Lasst es alle wissen. Dies ist (das Bild von) meinem Siavash. Sie (die Sicherheitskräfte) haben mein Kind getötet. Sie haben ihm in den Kopf geschossen.“


Amir Mehdi Farrokhipour

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Der 17-Jährige stirbt am 28. September bei Demonstrationen in der Nähe des Teheraner Keschavarz-Boulevards. Nach Angaben eines außerhalb des Iran lebenden Verwandten des Opfers hatten staatliche Einsatzkräfte Metallkugeln und scharfe Munition auf die Protestierenden abgefeuert. Amir sei durch Schüsse in die Brust getötet worden.


Omid Safarzehi

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Am 30. September wird ein weiterer Jugendlicher getötet, der 17-jährige Omid. Zwei Kugeln treffen ihn im Nacken. Mitglieder des Sicherheitsapparats sollen die Schüsse in der Region Schirabad auf ihn abgegeben haben.


Samer Hashemzehi

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Das Leben des 16-Jährigen endet ebenfalls am 30. September. Vermutlich wird Samer beim brutalen Vorgehen gegen eine Protestveranstaltung getötet, die nach dem Freitagsgebet vor einer Polizeistation gegenüber der Großen Moschee in der Stadt Zahedan nahe der pakistanischen Grenze stattfand.

Dort kommen an diesem Tag Dutzende Menschen ums Leben, darunter auch Minderjährige. Hunderte werden verletzt. Viele Opfer gehören der unterdrückten ethnischen Minderheit der Belutschen an.


Sodeys Keshani

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Auch der 14-Jährige wird am 30. September in Zahedan ermordet. Sodeys stirbt durch Schüsse in den Kopf und ins Herz.


Mohammad Rakshani

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Der 30. September ist ebenfalls der Todestag des zwölfjährigen Mohammad. Schergen der Staatsmacht schießen ihm in den Kopf. Tatort ist Zahedan.


Omid Sarani

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Auch der 13-Jährige Omid überlebt den Tag dort nicht. Sicherheitskräfte nehmen ihm durch Schüsse in die Brust das Leben.


Ali Barahouie

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Der 14-jährige Ali befindet sich in einer Gebetsstätte nahe der Großen Moschee in Zahedan, als Einsatzkräfte die Unruhen niederschlagen. Tödliche Schüsse treffen ihn in Hals und Brust. Es ist der 30. September.


Nima Shafaghdoost

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Die genauen Todesumstände des 16-Jährigen sind nicht bekannt. Er stirbt offenbar am 5. Oktober bei Unruhen in der Stadt Urumieh im Nordwesten des Iran, nahe der Grenze zur Türkei. Metallkugeln der staatlichen Einsatzkräfte töteten den Jugendlichen. Nima lässt sich nicht medizinisch behandeln, nachdem er getroffen worden war – aus Angst vor einer Festnahme.

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