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Sigmar Gabriel muss als Parteichef seiner SPD wieder Selbstvertrauen geben. Beim Konvent hat er dazu Gelegenheit.

© imago/Zuma Press

Kleiner Parteitag der SPD: Mit Macht nach links aus der Krise?

Vor dem Parteikonvent am Sonntag wirbt SPD-Chef Sigmar Gabriel für einen neuen Kurs. Wie radikal werden die Sozialdemokraten?

Von Hans Monath

Ein halbes Jahr nach dem SPD-Bundesparteitag, auf dem Sigmar Gabriel bei seiner Wiederwahl als Vorsitzender nur 74 Prozent erhielt, haben bei den Sozialdemokraten wieder die Delegierten das Sagen. Am Sonntag treffen sich rund 200 Genossen mit der SPD-Führung zum Parteikonvent, dem höchsten Beschlussgremium zwischen den Parteitagen. Die Lage der Partei ist weit schlechter als noch während des Parteitags im Dezember. Damals klagten die Sozialdemokraten noch darüber, dass sie nicht aus dem 25-Prozent-Turm herauskämen. Nun geht die Angst um, dass mit Werten um und unter 20 Prozent in Umfragen die Talsohle noch lange nicht erreicht ist. Sigmar Gabriel wird sich also etwas einfallen lassen müssen, wenn er seiner Partei wieder Selbstbewusstsein zurückgeben und das schwindende Vertrauen in seine eigene Führung stärken will. Denn vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr stehen noch fünf Landtagswahlen an – darunter im Herbst die in Berlin und im Frühjahr die in der SPD-Hochburg Nordrhein-Westfalen.

Welche Botschaften verbreitet der Parteichef vor dem Treffen?

Seine Partei brauche zwar keinen Neustart, müsse aber „radikaler werden“, sagte Gabriel wenige Tage vor dem Parteikonvent der „Zeit“. Dabei geht es dem Parteichef nicht nur um Rhetorik, sondern auch um klassisch linke Umverteilungspolitik, wie er deutlich machte. Weil der Wähler die sozialdemokratischen Erfolge in der großen Koalition wie Mindestlohn und Mietpreisbremse nicht honoriere, müsse die SPD Reformen künftig „grundsätzlicher anlegen“. Als Beispiel nannte er die Stabilisierung des Rentenniveaus. Die SPD müsse sich womöglich stärker am Beispiel der Schweiz orientieren, „wo der Millionär gemäß seiner Finanzkraft belastet wird, aber am Ende weniger rausbekommt, als er eingezahlt hat“. Seine definitive Absage an höhere Steuern als Wahlkampfaussage erneuerte Gabriel im Interview nicht. Der linke Flügel der SPD ist der Meinung, ohne Steuererhöhungen und die Einführung einer Vermögensteuer seien die Zukunftsaufgaben nicht zu finanzieren. „Ich ziele nicht auf höhere oder neue nationale Steuern“, sagte der Parteichef nun lediglich.

Was waren Gabriels Ziele für die SPD beim Start der großen Koalition?

Für seine Partei Wirtschaftskompetenz zurückzuerobern und die SPD als Partei der „arbeitenden Mitte“ starkzumachen, daran hatte Gabriel bis zum Parteitag im Dezember geglaubt und gearbeitet. Dazu wollte er unter anderem eine moderne Familienpolitik zu einem der zentralen Angebote der SPD machen, die seine Partei auch für weibliche Wähler attraktiver macht. Nur wegen der Grundsatzentscheidung, auf ökonomische Kompetenz zu setzen, war es auch sinnvoll, dass der Vizekanzler das Wirtschaftsministerium übernahm.

Zudem wollte der SPD-Politiker jene Wähler zurückerobern, die sich enttäuscht von der SPD und auch von anderen etablierten Parteien abgewandt haben. Vor eineinhalb Jahren, vor Ausbruch der Flüchtlingskrise, nahm er an einer Veranstaltung in Dresden teil, auf der auch Pegida-Anhänger debattierten. Viele SPD-Funktionäre zeigten sich entsetzt. Seitdem die Ankunft Hunderttausender von Flüchtlingen die Gesellschaft spaltet, musste Gabriel auf Druck der eigenen Partei nach einigen Windungen die Werbeversuche aufgeben. Stattdessen kündigte er ein „Solidarprojekt“ an, mit dem die SPD gesellschaftlich Benachteiligten beweisen will, dass sie deren Sorgen nicht weniger ernst nimmt als die der Flüchtlinge. Der Konvent will die milliardenschweren Investitionen in Bildung, Wohnungsbau und Arbeit beschließen.

Auf dem Parteitag hatte Gabriel auf sein schlechtes Ergebnis mit einer Kampfansage reagiert und gedroht, seinen Kurs der Mitte gegen Widerstände durchzusetzen. Seitdem er selbst immer stärker in die Kritik gekommen ist und die Umfragewerte fallen, redet er kaum mehr von „arbeitender Mitte“ oder Familienpolitik, dafür umso häufiger von „sozialer Gerechtigkeit“. Den Versuch, die Wählerbasis zu verbreitern, hat er aufgegeben. Nun geht es nur noch darum, die Kernklientel zu halten, um einen weiteren Absturz zu verhindern. Vom Wahlziel 30 Prozent, wie es etwa Fraktionschef Thomas Oppermann propagiert, ist keine Rede mehr. „Wenn schon 20 Prozent, dann stolze 20 Prozent“, sagt Gabriel nun.

Welche Parteiflügel der SPD unterstützen einen Linkskurs?

Offene Kritik versagen sich der konservative „Seeheimer Kreis“ und die pragmatischen „Netzwerker“, doch hinter vorgehaltener Hand klagen manche Spitzengenossen, Gabriel sei auf einem „Retro“- Kurs zur Rückabwicklung von Reformen etwa in der Rentenpolitik. Aus dem linken Parteiflügel sind unterschiedliche Einschätzungen zu hören: Ein Teil meint, Gabriel setze lediglich auf linke Rhetorik, habe sein Versprechen der sozialen Gerechtigkeit nicht unterfüttert, bleibe unberechenbar und könne morgen schon wieder andere Ziele propagieren. Ein anderer Teil wirbt dafür, bei der Vorbereitung des Bundestagswahlprogramms nun das Spielfeld für Beschlüsse etwa zu Steuererhöhungen zu nutzen, das Gabriel aufgemacht hat. Der könne nämlich hinter seine Versprechen nicht mehr zurück.

Kann eine Linkswende die Glaubwürdigkeit der SPD erhöhen?

Befürworter eines SPD-Linkskurses verweisen auf die Teilerfolge von US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders und die Wahl Jeremy Corbyns zum Labour-Parteichef in Großbritannien. Beide aber sind institutionelle Außenseiter und haben ihr Land anders als die SPD in den vergangenen 18 Jahren nicht 14 Jahre lang regiert. Die Gefahr, dass die SPD mit einem Linkskurs mehr verliert, als sie gewinnt, ist deshalb real. Mit dem Amt des Wirtschaftsministers dürfte ein „radikalerer“ Kurs der SPD ebenfalls schwer vereinbar sein. Gabriel aber ließ sich für das Interview in der „Zeit“ mit geballter Faust vor einer stilisierten roten Fahne fotografieren. In den Augen vieler parteiinternen Kritiker hat die Pose seine Glaubwürdigkeit nicht gerade erhöht.

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