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Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Ihm liegt ein Fall aus Belgien vor. Geklagt hatte eine gekündigte Muslima.

© Thomas Frey/dpa

Muslime und Integration: Glaube lässt sich nicht an der Garderobe abgeben

Die EU-Justiz erwägt, in Betrieben pauschale Kopftuchverbote zu ermöglichen. Aber wäre, was rechtlich möglich ist, politisch sinnvoll? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Arbeitgeber, die muslimische Frauen mit Kopftüchern loswerden möchten, dürfen auf Hilfe aus Europa hoffen. Juliane Kokott, die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH), hat gezeigt, wie es geht. In einer Urteilsempfehlung verlangt sie, dass Betriebe eine allgemeine Regelung erlassen, die Angestellten weltanschauliche, politische oder eben religiöse Kundgaben im Job untersagt. Dann sei diskriminierungsfreies Kündigen auch gemäß der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie möglich.

Die Begründung ist bemerkenswert. Alter, Geschlecht oder sexuelle Ausrichtung könnten schließlich nicht an der Garderobe abgegeben werden, heißt es. Ein Kopftuch schon. Ebenso dürfe erwartet werden, dass die Gläubigen sich im Job religiös unauffällig verhalten. Unternehmen hätten damit die Möglichkeit, betriebliche Neutralitätskonzepte durchzusetzen.

Endlich, werden viele denken. Vor allem jene, die die in Frankreich gepriesene Laizität für die Musterlösung aller Integrationsprobleme halten. Doch Menschen können zwar ihr Kopftuch, nicht aber ihre Religion an der Garderobe abgeben. Glaube ist ein Teil der Seele und prägt die Identität. Wäre es anders, könnte sich jeder jederzeit beliebig von ihm ablösen, müsste man keine Gleichbehandlungsrichtlinien erfinden, die vermeiden sollen, dass Menschen wegen ihres Menschseins benachteiligt werden. In der Logik der EuGH-Generalanwältin könnte auch von Homosexuellen per Betriebsregelung verlangt werden, am Arbeitsplatz künftig etwas weniger homosexuell zu sein, damit Firmen geschlechtspolitische Neutralitätskonzepte durchsetzen können. Wie würden wir das finden?

Das deutsche Grundgesetz verzichtet darauf, irgendwelche Konzepte durchzusetzen. Es hält die individuelle Freiheit hoch, auch die Glaubensfreiheit. Verbote sind nur dann gerechtfertigt, wenn die Probleme so groß werden, dass es keinen anderen Ausweg gibt. So halten es die höchsten Gerichte hierzulande auch mit dem Kopftuch. Das ist nicht die einzige und womöglich auch nicht die beste Art und Weise, um mit den Konflikten umzugehen. Aber wohl auch nicht die schlechteste. Dass mit der Laizität überragende Integrationserfolge gelingen, kann jedenfalls am Beispiel Frankreichs nur schwierig belegt werden.

Die Generalanwältin weiß darum und betont deshalb, es solle der Justiz in den EU-Mitgliedstaaten überlassen bleiben, die Frage der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall zu prüfen. Damit könnte alles beim Alten bleiben. Wird ihr Vorschlag im späteren Urteil bestätigt, wie es am EuGH meist geschieht, dürfte gleichwohl auch in Deutschland eine Diskussion um Firmen-Neutralitätskonzepte beginnen. Schaden kann das nie. Auch die Vorstellungen des Grundgesetzes sind nur so lange gut, wie sie sich bewähren.

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