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Schwierigkeiten bei der Mobilisierung: Katastrophenschutzübung abgebrochen.

© Kay Nietfeld/dpa

Update

Nach mehrstündigen Verspätungen abgebrochen: Hilfskräfte verwehren Einsatz bei Katastrophenschutzübung in Berlin

Am Sonnabend soll in einem Berliner Bezirk der Katastrophenfall geprobt werden – doch die Übung wird abgebrochen. Hilfskräfte sollen darauf gepocht haben, dass ihnen die Aktion hätte angekündigt werden müssen.

Stand:

Eine für Rettungsorganisationen unangekündigte Katastrophenschutzübung in Berlin ist nach mehrstündigen Verspätungen im Ablauf abgebrochen worden. Es habe Schwierigkeiten gegeben, freiwillig organisierte Dienste ausreichend zu mobilisieren, sagten Behördenvertreter, die den vorher geheim gehaltenen Ablauf beobachteten, der Deutschen Presse-Agentur. Der Übungsleiter Philipp Cachée erklärte, es seien Probleme deutlich geworden, aber auch Erkenntnisse gewonnen worden.

Wie der Tagesspiegel erfuhr, war die Senatsinnenverwaltung über die Übung bereits vor Monaten informiert – obwohl der Bezirk dazu nicht verpflichtet ist. Als Vertreter von Hilfsorganisationen am Samstagvormittag eintrafen und erfuhren, dass es eine Übung ist, verwehrten sie ihren Einsatz. Zur Begründung hieß es, sie hätten keine verfügbaren Kapazitäten und bereiten Fahrzeuge. Sie sollen darauf gepocht haben, dass ihnen die Übung hätte angekündigt werden sollen.

In dem Übungsszenario waren Helfer nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur mit der Herausforderung konfrontiert, dass es bei einem chemischen Unfall knapp 70 Betroffene gibt, von denen am Ende mehr als die Hälfte stirbt. Mit der bislang so nicht geübten Einsatzlage stellen die Behörden auch die Handlungsfähigkeit bei einem Szenario „Massenanfall an Verstorbenen“ auf den Prüfstand. 

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Eine Sprecherin der Innenverwaltung erklärte dem Tagesspiegel am Sonntag, die Verantwortung für die Planung und Durchführung der Übung liege allein beim Bezirk. Die Innenverwaltung halte eine Nachbearbeitung der Geschehnisse vom Samstag für nötig und werde daran mitwirken, sagte sie weiter.

Am Dienstag meldete die Senatsverwaltung für Inneres, dass sie die Übung mit dem Bezirk Lichtenberg nacharbeiten werde. Es werde „um die originäre Übungsverantwortung“ des Bezirks als Katastrophenschutzbehörde und die Koordinierungsfunktion der Senatsverwaltung für Inneres im Katastrophenschutz gehen, teilte die Verwaltung auf Anfrage mit.

Mit einem neuen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz und Krisenmanagement mit 24 Stellen werde es künftig auch möglich, mit den Bezirken viel enger als bisher zusammenzuwirken und die Bezirke darin zu unterstützen, sich noch professioneller auf Krisenfälle vorzubereiten.

Giftiger Stoff löst vermeintlichen Tod Dutzender aus

In der Übung löste in einem Hochschulgebäude in Berlin-Friedrichsfelde ein giftiger Stoff vermeintlich den Tod von Menschen aus. Geplant war, dass in der Folge auch Technik zur Dekontamination sowie die Aufbewahrung von Leichen in großer Zahl getestet wird. Vor und in dem Gebäude lagen bereits Freiwillige, die die Opfer darstellen sollten. 

„So ein Szenario ist in den letzten Jahrzehnten in der ganzen Bundesrepublik noch nirgends beübt worden“, sagte Cachée, der Katastrophen- und Zivilschutzbeauftragte des Bezirksamts Berlin-Lichtenberg, zum Auftakt der Übung am Sonnabend. Beteiligt seien unter anderem die Staatsanwaltschaft, Gerichtsmedizin, Bestattungsunternehmen, die Freiwillige Feuerwehr, das Gesundheitsamt und die Landespolizei.

Es gehe darum, Abläufe, die es bisher nur auf dem Papier gebe, zu überprüfen. Als Beobachter seien auch die Bundespolizei und die Gerichtsmedizin eingebunden, sagte der Übungsleiter.

Als Beobachter beteiligte Sicherheitsbehörden erklärten, wenn Kräfte wie die Berufsfeuerwehr, Polizei oder auch die Bundeswehr in Amtshilfe getestet würden, sei ein ganz anderes Ergebnis und kurzfristige Reaktion auf eine Lage zu erwarten.

„Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“

Nach Angaben mehrerer Bezirksvertreter sind in Berlin zentrale Fragen im Krisenmanagement weiterhin ungeklärt. Wiederholt gab es Gespräche mit der Innenverwaltung, die Bezirksämter drängen auf eine Lösung offener Fragen. Doch Mitte Oktober endete ein erneutes Treffen ergebnislos, wie Teilnehmer übereinstimmend berichten.

„Wir sind in der Abstimmung, wie eine gute Zusammenarbeit aussehen kann“, fasste ein Teilnehmer das karge Ergebnis der Runde zusammen. Statt Innensenatorin Iris Spranger hatte Staatssekretär Christian Hochgrebe (beide SPD) die Bezirksbürgermeister und Stadträte empfangen.

Schon das erste Treffen in dieser Konstellation war im Sommer ergebnislos verlaufen. Dabei gibt es aus Sicht der Bezirke viel zu tun. Bezirksvertreter erinnern etwa an Sprangers Ansage vom Jahresbeginn, dass sich auch Berlin im Rahmen des sogenannten Operationsplans des Bundes auf einen Spannungs- und Verteidigungsfall, etwa durch die Bedrohung durch Russland, vorbereiten müsse. Die Bezirke vermissen hier klare Schritte.

Ungeklärt sind aus Sicht mehrerer Bezirke vor allem praktische Fragen wie die nach dem Treibstoffnachschub für Notstromaggregate. Dauert ein großflächiger Stromausfall länger an und laufen die Aggregate länger als 48 Stunden, müssen diese nachgetankt werden. Woher der Sprit dafür stammen soll, wer diesen transportiert und wer diesen bezahlt, ist laut übereinstimmender Darstellung derzeit ungeklärt. Aus Treptow-Köpenick wiederum hieß es, dort sei eine auch bei Stromausfall nutzbare Tankanlage installiert worden.

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte zu Jahresbeginn erklärt, Berlin müsse sich auf einen Verteidigungsfall – etwa durch die Bedrohung durch Russland – vorbereiten. Doch die Bezirke vermissen klare Schritte.

© dpa/Paul Zinken

Auf eine Anfrage von Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, zur Lage des Katastrophenschutzes in Berlin, antwortete die Senatsinnenverwaltung im Juni. Das Ergebnis: Berlin ist nicht vorbereitet – und vieles dauert sehr lange.

„Es wird Zeit, endlich in die Umsetzung zu kommen“, sagte Franco daraufhin dem Tagesspiegel. Während auf der Innenministerkonferenz Mitte Juni betont werde, wie wichtig der Zivil- und Katastrophenschutz sei, habe es in der praktischen Umsetzung keine Priorität. „Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, sagte Franco. „Wir brauchen nicht noch mehr Ankündigungen, sondern ein funktionierendes Krisenmanagement in Senat und Bezirken. Davon sind wir noch meilenweit entfernt.“

Ein Problem: Es gibt unzählige Katastrophenschutzbehörden, alle machen alles, aber viele sind nicht vorbereitet. Solche Behörden sind die Senatskanzlei, alle Senatsverwaltungen, einige Behörden wie die Polizei und Bezirksämter. Risikoanalysen zu verschiedenen Krisenszenarien liegen in den meisten Behörden nicht vor. Lücken gibt es auch bei den Katastrophenschutz-Plänen. Auf Landesebene haben nur die Senatsverwaltung für Inneres, Wirtschaft, Kultur und Stadtentwicklung vollständige Pläne, bei den anderen sind sie „noch in Arbeit“.

Veränderte Sicherheitslage nach russischem Angriff auf Ukraine 

Wegen der veränderten Sicherheitslage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, aber auch nach Unwetterkatastrophen wie dem Hochwasser der Ahr haben Polizei, Rettungsdienste und die Bundeswehr Konzepte für eine engere, abgestimmte Zusammenarbeit erarbeitet. Beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wurde ein Gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz von Bund und Ländern eingerichtet. 

Um den Katastrophenschutz müssen sich in Deutschland die Länder kümmern. Für den Schutz der Bevölkerung im Kriegs- oder Spannungsfall ist der Bund zuständig. Allerdings können die Länder bei schweren Unwettern oder anderen Katastrophen Unterstützung vom Bund anfordern, etwa durch die Bundeswehr oder die Bundespolizei. (mit dpa)

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