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Nicht nur die SPD macht sich ihre Gedanken über das weitere Vorgehen nach Wowereits Rücktritt.

© dpa

Nach Rücktritt von Klaus Wowereit: Die Parteien spekulieren

Die Opposition könnte jetzt mitregieren, die Grünen fordern Neuwahlen. Neue Koalitionen wären möglich, aber auch fragil. Ein Überblick.

Man muss auch gönnen können. Das lässt sich Gregor Gysi nicht nehmen, der in der ersten Berliner rot-roten Koalition 2002 unter Wowereit ein halbes Jahr lang Wirtschaftssenator war. „Er hat einen großen Anteil daran, dass aus der deutschen Hauptstadt eine Metropole wurde, insbesondere kulturell hat er Berlin deutlich vorangebracht“, erklärte der Fraktionschef der Linken im Bundestag.

Doch Gysi nutzte auch die Gelegenheit für einen Fingerzeig an die Berliner Genossen: Wowereit habe den Mut besessen, eine Koalition mit der Linken in der Hauptstadt einzugehen zu einem Zeitpunkt, als die politische Bundesebene dies überhaupt noch nicht akzeptiert habe, merkte er an. Was mal war, kann ja noch mal was werden, so kann Gysis Äußerung und der Hinweis auf den damaligen Tabubruch wohl auch verstanden werden. Immerhin hat Rot-Rot zehn Jahre lang relativ geräuschlos in Berlin regiert.

Die Berliner Genossen hingegen taten sich erheblich schwerer, auf die Rücktrittsankündigung zu reagieren. Der Linke-Landesvorsitzende Klaus Lederer betonte lediglich den Zustand von Rot-Schwarz: „Es ist ja bekannt, dass diese Stadt seit geraumer Zeit grottenschlecht regiert wird und der Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen SPD und CDU aufgebraucht ist.“ Fraktionschef Udo Wolf erklärte dagegen am Nachmittag nach einer Telefonkonferenz von Partei- und Fraktionsspitze, dass der „neue Regierende Bürgermeister durch ein Wählervotum legitimiert werden muss“.

Rot-Grün hätte nur hauchdünne Mehrheit

Da sind die Piraten schon weiter. Fraktionschef Martin Delius erklärte, seine Partei sei zu Koalitionsgesprächen mit den Linken und der SPD bereit. „Die große Koalition ist auch ohne Wowereit ein Schreckgespenst für Berlin“, sagte Delius. Im Berliner Parlament mit 149 Sitzen würden SPD (47), Linke (19) und die 15 Abgeordneten der Piraten auf zusammen 81 Sitze kommen – sechs mehr als notwendig (siehe Grafik). Wobei es einiges über das Verhältnis der Piraten zu den Grünen aussagt, dass Delius diese als mögliche Koalitionspartner nicht einmal erwähnt. Linke-Fraktionschef Udo Wolf lehnte die Piraten-Offerte freilich rundweg ab. Auch wenn dies der Linken in eine Regierung verhelfen könnte, sei dies „kein anständiger Weg“.

Die Grünen tun sich schwerer, sich für eine Zukunftsoption zu entscheiden. Durchaus traumatisch wirkt für die Parteispitze immer noch nach, wie Klaus Wowereit die sich bereits als Koalitionspartner fühlenden Grünen 2011 in den Verhandlungen beim Streit um die Stadtautobahn-Verlängerung kühl auflaufen lief und überraschend ein Bündnis mit der CDU schmiedete. Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen hätten im Abgeordnetenhaus derzeit auch nur eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme.

Die FDP wittert Morgenluft

Deswegen verwundert nicht, dass neben knapp geäußertem Respekt für die Entscheidung Wowereits schon die Forderung nach Neuwahlen folgt. „SPD und CDU dürfen nicht so tun, als könnten sie einfach weitermachen wie bisher“, erklärten die grünen Fraktions-Chefinnen Ramona Pop und Antje Kapek gemeinsam mit den Landesvorsitzenden Bettina Jarasch und Daniel Wesener: Die Berliner „haben ein Recht mitzuentscheiden, von wem die Stadt regiert wird. “ Die Berliner Grünen besprachen die Situation am späten Nachmittag auf einer Telefonkonferenz mit dem Parteirat, dem unter anderem die Berliner Bundestagsabgeordnete und Stadträte angehören. Die ungeordnete Nachfolgesuche in der SPD unterstreiche die Notwendigkeit von Neuwahlen noch, betonte Fraktionschefin Ramona Pop: „Alles sieht derzeit nach Chaos und Hängepartie in der SPD aus.“ Der Europa-Abgeordnete Michael Cramer ist überzeugt, dass es ohne Neuwahlen nicht geht, glaubt aber nicht daran. Und auch einen fliegenden Wechsel hält er für unrealistisch. „Ich glaube nicht, dass ein Wowereit-Nachfolger so stark ist, um sich von der CDU zu trennen und einen Neuanlauf mit den Grünen zu wagen“, sagte Cramer.

Renate Künast, bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im September 2011 die Spitzenkandidaten der Grünen, schloss auch eine Koalition mit der CDU nicht aus: „Es wird mit uns keinen rot-grünen Automatismus geben“, sagte die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag. Auch dies setzt Neuwahlen zwingend voraus: Derzeit nämlich kommen die Christdemokraten mit 38 Abgeordneten und die 29 Fraktionsmitglieder der Grünen nur auf 67 Sitze – und verfehlen damit deutlich die Mehrheit. Zerbricht die SPD-CDU-Koalition über Wowereits Rücktritt, muss auch der CDU-Landesvorsitzende Frank Henkel auf Neuwahlen setzen. Nur dann kann er hoffen, dass die Berliner die CDU so stärken, dass es gemeinsam mit den Grünen für eine Mehrheit reicht – wenn die CDU das will.

Morgenluft wittert derweil eine außerparlamentarische Kraft: Berlin braucht einen politischen Neuanfang, fordert die Berliner FDP.

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