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Schnell ist Lothar Späth, im Volksmund respektvoll „Cleverle“ genannt, aufgestiegen, geschwind hat der Hochvernetzte kommuniziert.

© imago stock&people

Nachruf auf Lothar Späth: Der fröhliche Unruhestifter

Baden-Württemberg trauert um Lothar Späth. Der ehemalige Ministerpräsident ist mit 78 gestorben.

Er wird es, wie so vieles zuletzt, nicht mitbekommen haben, aber gefreut hätte ihn die späte versöhnliche, parteiübergreifende Wertschätzung: Am 15. Oktober 2014 war Lothar Späth plötzlich noch einmal präsent im Landtag, als Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seiner Rede über die Chancen der Digitalisierung an den nach zwölfeinhalb Jahren 1991 wenig rühmlich aus dem Amt geschiedenen Ex- Regierungschef erinnerte. Dem Christdemokraten Späth gebühre „großer Respekt und Dank“ für seine Verdienste, sagte der Grüne.

Die Erkenntnis, dass Stillstand Rückschritt bedeutet, war für den fortschrittsgläubigen, rastlosen Lothar Späth die wichtigste Triebfeder. Als andere bei Chips noch an Knabberzeug dachten, kaufte der Hightech-besessene Landespolitiker bei einem Besuch in den USA 1985 kurz entschlossen den schnellsten Rechner der Welt. Das Gebrumme im düpierten Landtag war erst groß. Doch seit der 48 Millionen Mark teuren Investition zählt die Ingenieurstadt Stuttgart zu Europas gesuchten Standorten mit einem stets modernisierten Höchstleistungsrechner.

Modern, unideologisch, quirlig

Schnell ist Lothar Späth, im Volksmund respektvoll „Cleverle“ genannt, aufgestiegen, geschwind hat der Hochvernetzte kommuniziert. „Dass er schneller reden kann als andere denken können, und zwar so, dass das, was er sagt, irgendwie Hand und Fuß hat“, war auch seinem Parteifreund Manfred Rommel aufgegangen. Ihn hatte der machtbewusste, noch nicht einmal 40-jährige Späth 1978 beim Kampf um die Nachfolge des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Hans Karl Filbinger überraschend ausgestochen. Auf den gravitätisch katholisch regierenden Ex-Marinerichter folgte ein fröhlicher Protestant: modern, unideologisch, quirlig, sprunghaft und allem Neuen aufgeschlossen.

Schnell konnte sich Späth begeistern – am liebsten für eigene Ideen, die durch enge Verquickung von Wissenschaft und Wirtschaft das Land an die Spitze bringen und dort halten sollten: Technologietransfer, Wissenschaftsstadt Ulm, Berufsakademien, Fachhochschul- und Institutsgründungen. In manchem war Späth seiner Zeit voraus: Er hat Demografieproblematik früh begriffen und Seniorengenossenschaften in einer Bürgergesellschaft angeregt: rüstige Ruheständler helfen Älteren und erhalten dafür im Alter wieder Hilfe.

Technik-Fan und Freund der Künste

„Hinter Hightech müssen wir Kultur schalten“, erkannte Späth früh. Er holte Künstler in die Politik, das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM und die Akademie Schloss Solitude wurden gegründet – beide sind bis heute wegweisend. Der Technik-Fan Späth fand selbst Freude und Freunde in der Kultur.

Wenn Späth nicht nach der Methode „Verwaltungsnapoleon, der Zettel aus der Kutsche wirft“ (so Rommel) durchkam, sondern dickere Bretter bohren musste, klappte manches nicht: Die Fusionen von Banken, Rundfunk und Energiekonzernen bekam erst Nachfolger Erwin Teufel hin. An der groß angekündigten Nullverschuldung verlor Späth so schnell die Lust wie am gutachterlich abgesicherten Plan, tausende Krankenhausbetten abzubauen: „Ich zünde doch nicht überall Feuer an!“

Auch sein Versuch, die Staatsverwaltung besser ihren Aufgaben anzupassen, scheiterte. Je länger er regierte, immer mit absoluter Mehrheit, desto mehr stieß sich Späth an bürokratischen Bedenkenträgern. Prinz Eugens Wahlspruch „Man kann, wenn man will“ gefiel ihm schon auf dem Gymnasium. Das hatte der Sohn eines Lagerverwalters mit der mittleren Reife verlassen, um später die kommunale Bodenhaftung vermittelnde württembergische Inspektorenlaufbahn zu absolvieren und im Rathaus von Bietigheim bis zum Finanzbürgermeister aufzusteigen. Da war er erst 29 und hatte sich längst über die Stadt hinaus einen Ruf als dynamischer Manager der städtischen Wohnungsbaugesellschaft erworben. 1970 machte die Neue Heimat den inzwischen zum Bietigheimer Landtagsabgeordneten gewählten Späth zum Geschäftsführer in Stuttgart und Vorstandsmitglied in Hamburg.

Später sprach er in der Großen Halle des Volkes in Peking vor 500 Spitzenbeamten über Technologietransfer, parlierte mit Frankreichs Präsident über die Nachrüstung und unterstützte US-Präsident Ronald Reagan in seinen Plänen für den Raketenabwehrschirm SDI. Ende der 80er Jahre schrieben die Medien Späth zum Reservekanzler hoch, weil ihnen der als bräsig empfundene Kanzler Kohl zu provinziell erschien. Als es zum Schwur kam und er – mit Heiner Geißler, Norbert Blüm und Rita Süssmuth – den CDU-Parteivorsitzenden in Bremen 1989 kippen sollte, zuckte er im letzten Moment zurück.

Dass der unkonventionelle Schnellmerker mit der feinen Witterung für Themen und Probleme kein Gespür für den schmalen Grat hatte, der Politik und Geschäft, Öffentliches und Privates trennt, wurde erst Ende 1990 mit der Traumschiff-Affäre publik, die zu seinem Rücktritt führte: Hunderte privat und dienstlich unternommene Flüge und diverse Ferienreisen hatte sich Späth von Firmen sponsern lassen. „Ich habe Politik immer unternehmerisch zum Wohl des Landes verstanden“, verteidigte sich der „Chef der Baden-Württemberg AG“.

Comeback als Spitzenmanager

Beherzt griff er zu, als sich schon im Juni 1991 ein Comeback auftat: Späth wurde Spitzenmanager in Jena, wo er das ehemalige DDR-Kombinat Zeiss Jena mit vielen Steuermilliarden zum Optoelektronikkonzern Jenoptik umzubauen half – und wieder eine ungeheure Aufbruchstimmung verbreitete. Nebenbei moderierte er eine Talkshow, dozierte als Honorarprofessor an der Uni Jena über „Medien und Zeitdiagnostik“.

Für den glücklose CSU-Kanzlerkandidaten Stoiber war er 2002 Superminister in spe, 2005 machte ihn die Investmentbank Merill Lynch zum Chef für Deutschland und Österreich. „Ich hab’ in meinem Berufsleben mehr Zeit in der Wirtschaft als in der Politik zugebracht“, resümierte er 2011 zufrieden. Viel Zeit, um sich intensiv mit seinen acht Enkeln zu befassen, hatte er im spät gewählten Ruhestand nicht mehr. 2014 trennten sich die Eheleute, Späth blieb umsorgt von Pflegekräften in seinem Haus in Gerlingen zurück. Im 2015 zog er in ein Pflegeheim.

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