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Die Situation in Afghanistan bleibt weiter kritisch.

© dpa

Nato-Strategie: Afghanistan: Vertrauen ist besser

Die Nato kämpft um Rückhalt bei den Afghanen – und will ihre Präsenz in Kandahar verstärken. Einen raschen Abzug der Truppen wird es dem US-Sonderbeauftragten, Richard Holbrooke zufolge, wohl kaum geben.

Berlin - Die Nato hält an ihrem Abzugsplan für Afghanistan fest. Der Sprecher der Isaf-Schutztruppe in Kabul, der deutsche Brigadegeneral Josef Blotz, sagte dem Tagesspiegel, es sei weiter „realistisch“, dass Mitte 2011 erste Truppenteile das Land verlassen könnten. Jüngste Berichte über reiche Rohstoffvorkommen in Afghanistan haben aus seiner Sicht „keine unmittelbaren“ Auswirkungen auf den gesteckten Zeitrahmen. Ernste Zweifel an den Abzugsplänen waren aufgekommen, nachdem Isaf-Kommandeur General Stanley McChrystal kürzlich angekündigt hatte, die Nato werde ihre lange vorbereitete Operation in der Taliban-Hochburg Kandahar langsamer angehen als zunächst geplant. Der Rückzug der Nato hängt laut Blotz in erster Linie vom zügigen Aufbau der afghanischen Armee und der Polizei ab. „Mit insgesamt 230 000 Sicherheitskräften liegen wir hier derzeit sogar oberhalb der Planungskurve.“ Innerhalb eines Jahres seien 80 000 neue Kräfte ausgebildet worden. Dies werde sich bereits in Kandahar bemerkbar machen.

Ein bisschen anders scheint allerdings die Lesart des US-Sonderbeauftragten für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, zu sein. Über die „politische Frage“ des Zeitrahmens für den Erfolg wollte er sich bei einem Besuch in Berlin am Freitag zwar nicht äußern, gleichzeitig bemühte er sich, die Erwartungen an den Umfang eines Truppenabzugs möglichst niedrig zu hängen. Es habe viele „Missverständnisse“ über die Ankündigung von Präsident Barack Obama gegeben. Im Juli 2011 werde es „einen gewissen Rückzug“ von Kampftruppen geben, der an Bedingungen geknüpft sei; es sei aber nie gesagt worden, wie schnell das sein werde oder wie viele Soldaten es betreffe. „Wir verlassen das Land nicht“, unterstrich Holbrooke. Im Übrigen gingen die Ausbildung der Polizei, die noch immer nicht angemessen sei, und der zivile Wiederaufbau weiter. Das sei auch enorm wichtig. „Wenn der Westen sich abermals von Afghanistan abwenden sollte, wäre das ein rücksichtsloses Desaster.“

Der Einsatz in der Unruheprovinz Kandahar gilt als entscheidend im Kampf gegen die Aufständischen. Isaf-Sprecher Blotz widersprach Medienberichten, wonach die Nato ihre Offensive dort verschieben will. „McChrystal hat nicht von einer Verschiebung gesprochen, sondern von einem langsameren Vorgehen.“ Auch der Begriff „Offensive“ sei von der Nato nie gebraucht worden. „Es geht hier nicht um eine klassische Angriffsoperation mit einem festen Startdatum. Ziel ist, die Sicherheitspräsenz bis zum Spätsommer zu verdoppeln“, erläuterte Blotz, der 2007 als Regionalkommandeur Nord in Masar-i-Scharif tätig war. Die Nato habe längst mit der Truppenverstärkung begonnen. Blotz bestreitet, dass Afghanistans Präsident Hamid Karsai die Nato-Pläne durch kritische Äußerungen durchkreuzt habe. Karsai hatte Anfang April vor mehr als 1000 Stammesältesten in Kandahar gesagt, dass es „ohne eure Einwilligung“ in der Umgebung keine Militäroperation geben werde. Seither nimmt sich die Nato deutlich zurück, spricht von einem Prozess statt einer Militäraktion, und McChrystal wirbt bei Stammesversammlungen um das Vertrauen der Bevölkerung. „Es ist völlig normal, dass Karsai sichtbar macht, dass er der politische Führer des Prozesses ist“, sagt Blotz. Holbrooke will sich dort demnächst selbst ein Bild der Lage machen.

Gemeinsam mit der afghanischen Regierung soll nach den Worten von Blotz in Kandahar parallel zur Truppenverstärkung der Aufbau von Regierungs-, Wirtschafts- und Sozialstrukturen vorantrieben werden. „Wir verfolgen eine komplexe Strategie, militärisch allein ist Kandahar nicht zu gewinnen.“ Von einem Umdenken will der deutsche Brigadegeneral nicht sprechen. „Doch die Nato lernt auch dazu“, gesteht er ein. Schon die Operation „Moshtarak“ („gemeinsam“) im Zentrum der Provinz Helmand, die nach wie vor laufe, sei ein Test für den neuen Ansatz der Nato, wonach eroberte Gebiete gehalten und zügig aufgebaut werden sollen. Erste Erfolge seien sichtbar, Schulen und Märkte wieder geöffnet, der regionale Verkehr habe deutlich zugenommen. Dass in dem recht überschaubaren Gebiet auch drei Monate nach Beginn des Einsatzes noch immer gekämpft wird, war indes nicht vorgesehen. Nun heißt es: „Es wäre eine Illusion zu glauben, man könnte hundertprozentige Sicherheit schaffen.“ Dies wird dann wohl auch für die Taliban-Hochburg Kandahar gelten. Eines jedoch hat sich nicht geändert. Blotz: „Kandahar bleibt der Lackmustest für den gesamten Afghanistaneinsatz.“

Derweil versuchte der US-Sonderbeauftragte Holbrooke, die Bedeutung der internationalen zivilen Bemühungen hervorzuheben – fast, als sei er der Pressesprecher des deutschen Engagements, von dem Berlin selbst ihm wohl zu wenig spricht. Die Deutschen seien dabei der engste Partner. Sie hätten mit ihrem Sonderbeauftragten Michael Steiner als Koordinator der inzwischen 35 Sonderbeauftragten die Führung übernommen. Holbrooke kennt Steiner, der gerade in Rom seine Sachen packe, bereits aus Zeiten des Dayton-Abkommens, er nennt ihn einen Freund. Von den bisherigen Bemühungen der UN hält Holbrooke erkennbar wenig. Sie hätten nicht koordiniert und „weder die Ressourcen noch die Autorität“. Sie veranstalteten Diplomatendinner in Kabul, dort aber werde nicht die Politik der Länder koordiniert, zu denen auch sieben muslimische Staaten gehörten.

Doch ganz ohne Mahnung verabschiedete sich Holbrooke nicht. Mit Blick auf die Spardebatte bemerkte er, er hoffe, dass sich Deutschland nicht von seiner klugen Unterstützung für Wirtschaft und Entwicklung in Afghanistan und Pakistan abwende. „Das wäre eine Tragödie.“

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