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Brexit, No-Brexit – möglich ist alles.

© Stefan Rousseau/dpa

"No-Deal"-Szenario: Die Zockerei um den EU-Austritt beginnt

Die Präsentationen der Übergangslösungen für den Brexit machen deutlich, wie kindisch und gefährlich eine "Britannia-First"-Politik ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Das Problem beim Zocken ist das Zucken. Wer beim Glücksspiel darauf setzt, die besseren Nerven zu haben und den wacheren Instinkt, kann alles gewinnen – oder alles verlieren. Genau das ist die Situation zwischen dem Europa der 27 und dem Noch-Mitglied Nummer 28, Großbritannien, das in exakt 100 Tagen aus dem Spiel aussteigen und dennoch der Gewinner sein möchte. Und das wollen die 27 verhindern. Deshalb die Szenarien auf beiden Seiten für den Tag X, für den Tag nach dem 29. März, für den Fall, dass das britische Unterhaus bis dahin dem 585 Seiten langen Austrittsvertrag nicht zugestimmt hat.

Es soll den stolzen Briten ohne die EU nicht besser gehen

Es sind Drohkulissen, vor denen jetzt sowohl in London als auch in Brüssel die Übergangslösungen präsentiert werden für den Fall, dass die britische Regierung das eigene Parlament nicht überzeugen konnte. Diese Situation wäre für die EU nicht minder unangenehm als für die Briten. Denn gelänge Großbritannien der Abschied von der Europäischen Union, ohne dass es einen Preis dafür zahlen muss, wäre der Beweis erbracht, dass es gerade den stolzen Briten ohne die EU besser geht als mit ihr. Deshalb die Horrorszenarien von einer abrupten Unterbrechung des Luftverkehrs, einem Stopp der kontinentalen Finanzströme zwischen London und Europa.

Offenbar kann sich niemand mehr daran erinnern, dass es auch eine Zeit vor der allgemeinen Freizügigkeit von Menschen, Dienstleistungen, Waren und Kapital gegeben hat, in der es wirklich für jedes Detail des grenzüberschreitenden Zusammenlebens sorgfältige, zwischenstaatliche Vereinbarungen gegeben hat.

Britannia First" wird nicht funktionieren

Ungehindert von Grenzen zu reisen, zu leben und zu arbeiten war in Europa vor 40 Jahren ungleich schwieriger als heute. Wer sich daran noch erinnern kann, möchte diese Zeit nicht wieder erleben. Es wäre ein Rückfall. Die Vorstellung, man könne alles, was einem an europäischen Vereinbarungen gefällt, einfach so weiterlaufen lassen, und nur das streichen, was anderen Ländern mehr Vorteile als dem eigenen bringt, ist geradezu kindlich. Verträge zwischen Staaten sind immer Verabredungen auf Gegenseitigkeit, es sei denn, es handelt sich um Kapitulationsurkunden.

Dass es in der politischen Klasse Großbritanniens starke Kräfte gibt, die ernsthaft meinen, im Stile Donald Trumps eine „Britannia First“-Politik betreiben zu können, kann man nur kopfschüttelnd registrieren.

Brexit, No-Brexit- es ist alles möglich

Im Januar muss sich das Unterhaus, so oder so, zum Austrittsvertrag verhalten. Was davor und danach bis zum 29. März geschieht, entzieht sich fundierten Prognosen. Brexit, No-Brexit – möglich ist alles. Man kann nur hoffen, dass, mit welcher Lösung auch immer, der Verstand rechtzeitig die Emotionen beherrscht.

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