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Wie sieht nachhaltiges Wachstum aus, fragte sich Angela Merkel.

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Ortstermin: Merkel sucht die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts

In der CDU-Parteizentrale geißelt Kanzlerin Angela Merkel die Schuldenkrise als "Ergebnis einer jahrzehntelangen falschen Philosophie eines Wachstums als Selbstzweck". Die anschließende Debatte überlässt sie anderen.

Angela Merkel fängt ganz pädagogisch an. Wenn sie jetzt fragen würde, ob es den Gästen im vollbesetzten Saal des Konrad-Adenauer-Hauses besser gehe als deren Großeltern, dann würde doch fast jeder mit Ja antworten. Die überwiegend ergrauten Häupter nicken. Doch wenn sie nun frage, ob das für ihre Enkel auch noch gelten werde, dann dürfte doch der eine oder andere „ins Nachdenken kommen“, vermutet die CDU-Parteivorsitzende.

Die Kanzlerin versuchte am Dienstagabend ihre Partei darauf vorzubereiten, dass die Zeit der Veränderungen weitergeht – ob die CDU nun mitgeht oder nicht. Deshalb hieß das Thema des Abends: Nachhaltiges Wachstum – Leben im 21. Jahrhundert.

Merkel sprach von vier „Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung“, einer finanziellen, einer ökologischen, einer sozialen und einer internationalen. Die Rettung der Banken und die Konjunkturprogramme, mit denen die Folgen der Finanzkrise abgefedert werden sollten, „hat einen Preis“, sagte Merkel, und meint die aktuelle Schuldenkrise. Diese Entwicklung sei das „Ergebnis einer jahrzehntelangen falschen Philosophie eines Wachstums als Selbstzweck. Damit muss Schluss sein“.

Merkel hat ähnliches schon vor dem Nachhaltigkeitsrat gesagt, aber nun steht sie als Parteivorsitzende vor ihrer Partei, deren Selbstverständnis es war, dass die Wirtschaft wachsen muss, damit etwas verteilt werden kann. Merkel findet es inzwischen aber falsch, dass „alles am Bruttoinlandsprodukt gemessen wird“. „Die soziale Marktwirtschaft für das 21. Jahrhundert muss erst noch gefunden werden“, sagte die Kanzlerin, die mit einem Grinsen im Gesicht referierte, dass ihr eigener Versuch einer „neuen sozialen Marktwirtschaft“ jedenfalls nicht geglückt sei, „weil viele dahinter nichts Gutes vermutet haben“.

Wie die Podiumsgäste auf Merkels Rede reagierten, lesen Sie auf der nächsten Seite -->

Aus der anschließenden Diskussion zwischen dem amerikanischen Publizisten Jeremy Rifkin, der Wirtschaftsweisen Professor Beatrice Weder di Mauro und des Umweltministers Norbert Röttgen (CDU) hielt sich Merkel heraus – hörte aber interessiert zu. Denn nicht nur die CDU-Politiker, die am Ende der Debatte zu Wort kamen, auch die Moderatorin und Tagesspiegel-Kolumnistin Ulla Weidenfeld ließen sich von dem Konzept nicht begeistern. Deshalb wollte Weidenfeld von Weder di Mauro wissen, ob der Versuch, neben dem Wirtschaftswachstum noch weitere Messgrößen für die Messung der Wohlfahrt zu finden, denn mehr sei als ein „Trostpflaster, weil es mit dem Wachstum nicht mehr so klappt“.

Beatrice Weder di Mauro sieht eine „ökonomisch begründete Aufmerksamkeit“ für zusätzliche Indikatoren, zumal das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auch negative Entwicklungen als positives Wachstum bewertet. Weder di Mauro wies vor allem auf die Entwicklungen hin, die zum Teil seit Jahrzehnten einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise entgegenstehen. Sie sprach von den öffentlichen Haushalten, vor allem aber von den Sozialsystemen. „Die Rente ist sicher. Aber sie ist nicht finanziert“, sagte sie. Um die Lücke in der Finanzierung der Rente zu schließen, die allein durch die Demografie entstehe, also die Tatsache, dass die Menschen älter werden, deshalb länger Rente beziehen, und weniger Junge nachwachsen, müssten schon heute jedes Jahr zwischen drei und 3,5 Prozent des BIP eingespart werden. Sonst könnten nur Beiträge erhöht und Leistungen gekürzt werden, stellte sie nüchtern fest.

Norbert Röttgen, sonst gerne Vordenker, konnte sich am Dienstagabend auf Jeremy Rifkin verlassen, der seine Vision einer „dritten industriellen Revolution“ vortrug. Da konnte Röttgen oft nur noch nicken. Rifkin beschrieb, dass die Wirtschaft sich immer dann entscheidend verändert habe, wenn eine neue Form der Energieversorgung mit einer neuen Form der Kommunikation verknüpft worden sei.

So sei das mit der Dampfmaschine und dem Zeitungsdruck gewesen und auch bei der Einführung einer zentralen Stromversorgung und des Telefons. Nun müssten die erneuerbaren Energien mit dem Internet verschmolzen werden, sagte er. Dann bestehe die Chance, dass diese dritte industrielle Revolution eine nachhaltige werde, im Gegensatz zur gegenwärtigen zweiten industriellen Revolution, „auf der Intesivstation“. Röttgen wies darauf hin, dass der „Deponieraum der Atmosphäre für Treibhausgase“ der entscheidende begrenzende Faktor für das alte Wirtschaften sei.

Er will's ich aber nicht „vom Wachstum verabschieden und Verzicht einführen“, sondern hofft auf ein Wachstum ohne den bisherigen Ressourcenverbrauch. Wer mit geringerem Energie- und Materialeinsatz produziere, werde „zu den Gewinnern von morgen gehören“.

Das hörte sich für Beatrice Weder di Mauro dann doch zu gut an. Es gebe schließlich noch „Externalitäten“, sagte sie. Wenn eine Volkswirtschaft weniger verbrauche und ihren Teibhausgasausstoß senke, mache sie „Platz für mehr Verschmutzung“ von anderen. Deshalb müsse es internationale Regeln geben, verlangte sie. Doch gerade damit tut sich die Welt schwer. Das hatte Merkel schon in ihrer Eingangsrede zugegeben, als sie mit Blick auf ein Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz sagte: „Es sieht nicht gut aus.“

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