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Das Kandidatenduo der US-Demokraten: Joe Biden und Kamala Harris

© AFP/Olivier Douliery

Gefährliche Rhetorik beim Parteitag: US-Demokraten folgen Donald Trump in den Mythos-Modus

Die US-Demokraten stilisieren die Wahl zum Kampf des „Lichts“ gegen das „Dunkel“. Sie verlassen damit den Raum des konkret Politischen. Eine Analyse.

Von Anna Sauerbrey

Zum Auftakt seiner Late-Night-Show hat das Team des Komikers Stephen Colberts am Donnerstagabend die Köpfe führender Demokraten und den von Donald Trump in einen Trailer zum Film „The Avengers – Endgame“ von 2019 montiert: In einer apokalyptischen Trümmerlandschaft, erhellt nur von den glimmenden Resten der Zivilisation, stellen sich Joe Biden, Kamala Harris, Bernie Sanders und andere führende Demokraten als Marvel-Superhelden gegen den außerirdischen Warlord Thanos (Donald Trump), der gerade das halbe Universum „desintegriert“ hat.

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Diese Parodie treibt die tatsächliche Rhetorik auf dem Parteitag der Demokraten auf die Spitze, viel war dazu aber nicht nötig. In den zentralen Reden des emotionalen viertägigen politischen Spektakels, das am Donnerstag zu End ging, wurde die Wahl am 3. November zu einer Art „Endkampf“ stilisiert.

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Ein „Wendepunkt“ sei sie, sagte die Vizepräsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris. Es gehe um das „Überleben der Demokratie“, sagte Barack Obama. Und der Kandidat selbst, Joe Biden, trieb diese Rhetorik am Donnerstagabend auf die Spitze. Ausgehend von einem Zitat der Bürgerrechtsaktivistin Ella Baker sprach er von einem Kampf des Lichts gegen das Dunkel. Er zeichnete das Bild eines Landes in Trümmern: 5.000.000 Coronainfizierte, 170.000 an Covid-19 Verstorbene, jedes sechste Kleinunternehmen geschlossen, 50 Millionen Arbeitslosenmeldungen. Dazu der Klimawandel.

Biden erklärt den Wahlkampf zum Ringen zwischen "Licht" und "Dunkel"

Es gehe um einen „Kampf um die Seele Amerikas“, um eine Restauration. Er, Biden, werde „ein Verbündeter des Lichts“ sein, um „diese Zeit der Dunkelheit in Amerika“ zu überwinden. Dazu sei es nötig, zusammenzustehen. „Das ist unser Moment. (…) Noch nie hat es etwas gegeben, dass wir nicht erreichen konnten, wenn wir zusammengestanden haben.“

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Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass die Demokraten nun mit einer ganz ähnlichen Erzählung in den Wahlkampf ziehen, wie sie Donald Trump bei seinem Amtsantritt 2017 entwickelt hat.

Die Rhetorik erinnert an Donald Trumps Rede zum Amtsantritt 2017

In seiner Rede zum Amtsantritt 2017 – noch geprägt vom Apokalyptiker und populistischen Chefideologen Steve Bannon - beschwor auch Trump eine Art „desintegriertes Universum“. Er beschrieb das, was im Land geschehe, als „the American carnage“, als Gemetzel oder Blutbad. Trump entwarf das Bild einer apokalyptischen Landschaft, aus der „verrostete Fabriken“ wie „Grabsteine“ herausragten.

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Auch Trump sagte damals, dies sei nicht einfach irgendein Tag, an dem eben wieder einmal die Macht von einer Regierung auf die andere übertragen werde, sondern ein historischer Wendepunkt: „The American carnage ends here.“ Auch er versprach damals eine Restauration („great again“) und beschwor die Notwendigkeit unverbrüchlichen Zusammenhalts, um dieses Ziel zu erreichen: “When America is united, America is totally unstoppable.”

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Die amerikanische Realität liegt heute näher am Mythos vom Trümmerland als damals. Auf gewisse Weise hat Trump tatsächlich das „halbe Universum desintegriert“. Durch das Missmanagement der Corona-Krise steht das Land heute wirtschaftlich schlechter da als bei seinem Amtsantritt.

Durch seine Lügen und seine erratische Politik hat er die politische Kultur zerrüttet, Verbündete verprellt, das Land im Nahen Osten an den Rand eines physischen Krieges geführt und mitten hinein in einen Handelskrieg mit China. Den Kampf gegen den Klimawandel hat er beendet.

Bei seinem Amtsantritt litten tatsächlich viele Menschen in den USA: schon damals gab es eine Drogenkrise und eine Gefängniskrise, das von ihm beschworene Leiden von Menschen in desindustrialisierten Gebieten war echt. Verbessern konnte Trump ihre Lage nicht. Er hat es nicht einmal versucht.

Die USA sind im mythischen Modus

Dennoch liegt darin, dass die Demokraten nun ebenfalls mythische Bilder bemühen, auch eine Niederlage für die Demokratie. Die Demokraten haben wie Trump den Raum des konkret Politischen verlassen und sind ihm in den „Mythos-Modus“ gefolgt. In diesem Modus ist Politik als das mühsame Verhandeln über den Ausgleich konkreter Interessen irrelevant.

Wie genau eine allgemeine Krankenversicherung aussehen soll, welche Gesetze geändert werden müssten, um der Gefängniskrise zu begegnen, wie hoch die Subventionen für erneuerbare Energien sein sollen und aus welchen Steuereinnahmen sie kommen – all das wird belanglos, solange der Kampf „Licht gegen Dunkel“, das Ringen um „das Ganze“, „die Seele“, „die Nation“ tobt.

Donald Trump wollte immer das Ende der Politik - jetzt hat er es erreicht

Donald Trump hat das Ende der Politik immer angestrebt, denn solange der Mythos seine Mannen blendete, spielten sein Narzissmus, seine Korruption und seine Unfähigkeit zu konkreter Politik keine Rolle. Auch für die Demokraten ist der Mythos nun zunächst ein Vorteil, weil er ihnen hilft, die Reihen zu schließen.

Auf die Dauer aber ist der „mythologische Modus“ für die Demokratie gefährlich. Das Vertreten legitimer Interessen und abweichender Meinungen ist die Essenz der Politik, ein gesunder Modus ist die Verhandlung. Im „Mythos-Modus“ aber wird schon der Versuch zu Verhandeln zum Verrat. Der mythologische Modus bedeutet das Ende von Politik – die Desintegration des politischen Universums.

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