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Anschläge von Madrid: Peinliche Pannen an der Terrorfront

Der Prozess um die Anschläge von Madrid bringt grobe Nachlässigkeiten ans Licht. So wurde einer der Drahtzieher gleich mehrfach von der Polizei kontrolliert und wichtige Hinweise wanderten unbesehen in die Schublade.

Madrid - Buitrago del Lozoya ist ein idyllischer Ort in den Bergen rund 75 Kilometer nördlich von Madrid. An Wochenenden suchen viele Hauptstädter dort Erholung. Am 6. Dezember 2003, es ist zwei Uhr nachts, fällt zwei jungen Beamten der örtlichen Guardia Civil ein Mann auf, der an der Tankstelle Probleme mit seinem Wagen hat. Der Fahrer wird nur drei Monate später Schlagzeilen in aller Welt machen: Es ist Jamal Ahmidan, der Anführer der Bombenleger, auf deren Konto die Attentate des 11. März 2004 in Madrid gehen. 191 Menschen starben, mehr als 1800 wurden verletzt.

Die zwei Polizisten konnten das nicht wissen. Doch ihre Aussage im Prozess um den blutigsten Terroranschlag in der Geschichte Europas hat gezeigt, welche verhängnisvollen Versäumnisse seitens der Sicherheitskräfte mit im Spiel waren. Ahmidan ist an jenem Tag mit einem teuren Sportwagen unterwegs. "Er war sehr nervös und bat uns, das Auto anzuschieben, um es zu starten", erzählt einer der Beamten. Das geht jedoch nicht, denn es ist ein Automatikwagen. Der 33-jährige Marokkaner wird zunehmend unruhig, zumal die Polizisten ihn um die Papiere bitten. Er zeigt ihnen einen belgischen Pass auf den Namen Youssef Ben Salah. Die Beamten vermuten, dass er gefälscht ist.

"Das werdet Ihr noch bereuen!"

Also fragen sie Ahmidan, von wo er kommt. "Aus Bilbao, meine Schwester besuchen", antwortet er. "Wir haben sofort gemerkt, dass er log, denn er konnte uns keine Straße nennen", berichtet einer der zwei Polizisten stolz vor Gericht. Bei der Durchsuchung des Wagens finden sie mehrere lange Messer, eine Keule ("eine von denen, die richtig wehtun können") und einen Koffer voller gestohlener Kleidung. Die Hemden tragen noch die Sicherheitschips eines großen Warenhauses. Ahmidan rastet wegen der Durchsuchung aus. "Rassisten seid Ihr, das werdet Ihr noch bereuen!", beschimpft er die Beamten.

Dennoch nehmen sie ihn nicht fest, sondern belassen es bei einer Geldbuße wegen unerlaubten Waffenbesitzes. "Warum bloß haben Sie ihn denn nicht verhaftet?" will ein verdutzter Anwalt der Nebenklage nach dieser Schilderung wissen. "Mann, wegen zwei geklauten Hemden nimmt man doch niemanden fest", antwortet einer der Beamten. Es sei außerdem schon zu spät gewesen, um der Sache genauer nachzugehen. "Vielleicht war es kalt. Oder sie hatten Hunger. Vielleicht waren sie auch nur zu faul. Solche Nachlässigkeiten zeigen aber, dass die Anschläge mit etwas mehr Eifer und polizeilicher Intuition hätten verhindert werden können", meint der Kolumnist David Gistau.

So wurde auch bekannt, dass Ahmidan nur wenige Tage vor dem Blutbad erneut von der Polizei angehalten wurde, diesmal wegen überhöhter Geschwindigkeit. Er bekam erneut eine Geldbuße, in den Kofferraum schauten die Polizisten diesmal aber nicht. Darin befand sich nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft der Sprengstoff, mit dem die Attentate verübt wurden. Der Marokkaner selbst kann nicht mehr zur Klärung beitragen: Er hatte sich drei Wochen nach dem Massaker mit sechs weiteren Extremisten in die Luft gesprengt, als deren Wohnung von der Polizei umstellt war.

Sprengstoff auf dem Schwarzmarkt

Der seit zwei Monaten laufende Prozess bringt immer wieder peinliche Details ans Licht. So hatte einer der 29 Angeklagten, der Marokkaner Rafa Zouhier, die Polizei bereits ein Jahr vor den Anschlägen darauf aufmerksam gemacht, dass ein ehemaliger Bergarbeiter in Nordspanien 150 Kilogramm Sprengstoff auf dem Schwarzmarkt anbot. Zouhier war zugleich ein Polizeispitzel. Sein Kontaktbeamter gab die Information an seine Vorgesetzten weiter, doch sie verschwand in irgendeiner Schublade. "Nach den Attentaten haben wir uns natürlich an den Kopf gefasst", räumte ein Offizier der Guardia Civil vor Gericht ein.

Der Anwalt zweier Nebenkläger hat inzwischen in dem Prozess gefordert, wegen Fahrlässigkeit müsse auch der spanische Staat für das Massaker haftbar gemacht werden. Die damalige Regierung des Konservativen José María Aznar habe bei der Vorbeugung der Anschläge kläglich versagt. Die Frage, ob das Blutbad mit dem Tipp des Polizeispitzels Zouhier hätte verhindert werden können, brachte einen Beamten vor dem Gericht in größte Verlegenheit: "Na ja, wenn es damals eine Razzia gegeben hätte..." (tso/dpa)

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