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Pflegereform: Zentrale Information

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt wirbt für ihre umstrittene Idee eines flächendeckenden Netzes an Pflegestützpunkten. In jedem Bundesland sollen Modellprojekte entstehen. In Rheinland-Pfalz gibt es schon eines, mit dessen Hilfe Schmidt den unwilligen Regierungspartner überzeugen will.

„Pflegestützpunkte müssen sich an möglichst zentraler Stelle im Wohnquartier befinden“, heißt es in den „ergänzenden Erläuterungen“ des Gesundheitsministeriums zur Pflegereform. Ulla Schmidts Vorzeigeeinrichtung befindet sich mittendrin im Marktzentrum des Rotweinstädtchens Ingelheim. Zentraler geht’s kaum. Trotzdem wirkt das Umfeld ein wenig unpassend. Links ein Motorradladen, schräg gegenüber eine Spielothek. Und dazwischen, hinter blitzblanken Scheiben, die „Beratungs- und Koordinierungsstelle“ (Beko) für Angehörige von Pflegebedürftigen. Ein Knotenpunkt, von dem die Ministerin möglichst bald – unter anderem Namen, mit mehr Personal und von den Pflegekassen mitfinanziert – 4000 haben möchte. Überall im Land, und für 20 000 Einwohner jeweils einer.

Deshalb ist sie angereist an diesem Morgen, zusammen mit ihrer rheinland-pfälzischen Ministerkollegin Malu Dreyer: um zu werben für ihr Projekt, und um dem unwilligen Regierungspartner zu zeigen, wie Pflegestützpunkte funktionieren können. Wie wichtig sie sind. Und dass man dabei bewährte Strukturen nicht zerstören muss, sondern darauf aufbauen kann. In Rheinland-Pfalz gibt es das Beko-System seit zwölf Jahren. Flächendeckend inzwischen, 135 Anlaufstellen sind es bereits. Sie brachten Ulla Schmidt auf die Idee mit den Pflegestützpunkten. Und da die Stelle in Ingelheim besonders gut läuft, wurde sie von ihr zum ersten Modellprojekt erkoren – für den Probelauf mit je einem Modell-Pflegestützpunkt in allen Bundesländern.

Christine Jacobi-Becker nimmt die Ehre und den damit verbundenen Rummel gelassen. Seit zehn Jahren hilft die Diplom-Sozialarbeiterin den Partnern oder Kindern von Pflegebedürftigen in Ingelheim durch das Gestrüpp von Bürokratievorschriften und Pflegehilfen. „Nicht fehlende Angebote sind das Problem, sondern die Orientierung“, sagt sie. Wo muss ich welche Anträge stellen? Wie bekomme ich den Wohnungsumbau gestemmt? Wie organisiere ich ehrenamtliche Hilfe? Wer nimmt mir den Demenzkranken mal kurzzeitig ab? Wie komme ich an einen Hausnotruf, wo bestelle ich „Essen auf Rädern“? Welches Heim kommt in Frage? Ihre Klientel sei selber „meist schon weit über 60“, sagt die Beraterin. „Viele sind nicht mobil und ohne Zugang zu modernen Medien.“ Denen helfe es ungemein, „dass sie nicht mehr von Pontius zu Pilatus rennen müssen“. Die Ministerin fühlt sich bestätigt. Sie verstehe die ganze Debatte um die Pflegestützpunkte nicht, sagt Ulla Schmidt. „Jeder Angehörige, mit dem ich spreche, sagt: Genau das brauchen wir. Und jeder, der vor Ort in der Pflege arbeitet, sagt dasselbe.“ Nur selten beschwerten sich pflegende Angehörige über ihre Mühsal zuhause. „Was sie umtreibt ist, dass sie von einer Stelle zur anderen rennen müssen.“

Schlimm ist es vor allem, wenn die Situation unerwartet eintritt. Wie bei der Mutter von Magda Grube. Ein Sturz der 83- Jährigen, Oberschenkelhalsbruch, Pflegefall. „Von heute auf morgen“, sagt die Ingelheimerin. Natürlich hatte sie sich vorher nicht erkundigt für den Fall des Falles, „da hat man ja auch Hemmungen“. Als sie erfuhr, dass die Mutter nicht mehr auf die Beine kommen würde, wandte sich Grube an die Stadt. Die nannte ihr die Anlaufstelle im Marktzentrum. Die Beraterin besuchte die Grubes zuhause, half ihnen bei den Anträgen, gab Tipps zum Umbau des alten Hauses – und nahm ihnen so auch die Angst vor der neuen Lebenssituation.

Sensibilität sei wichtig, sagt Rainer Ghitescu, der Geschäftsführer des Beko-Trägerverbunds in Ingelheim. Viele Kontakte, viel Erfahrung. Und Flexibilität. „Manchmal bekommen Angehörige ja erst am Freitag mittag mitgeteilt, dass der pflegebedürftige Vater aus dem Krankenhaus entlassen wird. Da müssen wir auch am Samstag erreichbar sein. Und schon mal ein Bett organisieren, das die Pflegekasse noch nicht bewilligt hat.“

Auch das Druck-Machen gehört zum Job. Weil es die gestressten Angehörigen meist nicht können. Wenn es nicht rund laufe, liege das in acht von zehn Fällen an den Pflegekassen, sagt Ghitescu. Entsprechend skeptisch ist er, dass sie bei den Stützpunkten nun mit ins Boot sollen. Heiße das nicht, „Graf Dracula zum Chef der Blutbank zu machen“, fragt er, erschrickt selber über den bösen Vergleich und bittet, ihn schnell wieder zu vergessen. Die Sorge aber ist da, er muss sie äußern. Wenn die Pflegekassen bei der Beratung finanziellen Druck auszuüben versuchten, gehe alles den Bach runter, warnt er. „Neutralität ist unser wichtigstes Gut.“

Andererseits: Billiger könnten es die Kassen gar nicht bekommen. Das sieht auch Armin Lang so, der als Landeschef des Verbands der Angestellten-Krankenkassen und des Arbeiter-Ersatzkassen-Verbands mit dem Aufbau der Stützpunkte betraut ist. Am teuersten wäre es, alles zu lassen wie bisher, sagt er. Ohne Vernetzung und bessere Koordinierung würden Pflegebedürftige „zu oft, zu früh und zu lang“ in Krankenhäusern behandelt, mit zu vielen oder falschen Medikamenten geschädigt – und viel schneller zum Fall für die weit aufwändigere stationäre Pflege.

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