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Kein Auftritt mehr. Der einstige Hoffnungsträger Bo Xilai (4. v. l.) und seine Frau Gu Kailai (3. v. l.) sind in Ungnade gefallen.

© REUTERS

China: Polit-Krimi erschüttert Peking

Erst stürzte die Pekinger Führung den Hoffnungsträger Bo Xilai. Jetzt steht seine Frau sogar unter Mordverdacht.

Man stelle sich vor: John F. Kennedy wäre während seiner Kandidatur für das Amt des US-Präsidenten von der Demokratischen Partei gestürzt und von allen seinen Aufgaben entbunden worden, die Polizei hätte ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen „disziplinarischer Vergehen“ eingeleitet und seine Frau Jackie sowie ein Angestellter wären verhaftet worden wegen des Verdachts, in den Mord an einem Briten verwickelt zu sein, der auch noch Verbindungen zum britischen Geheimdienst hatte. Unglaublich? Genau das ist gerade in China passiert.

Der Sturz des chinesischen Politstars Bo Xilai, der wegen seiner Popularität und Medienwirksamkeit auch als chinesischer John F. Kennedy bezeichnet wird, erschüttert die Kommunistische Partei (KP) Chinas. Der charismatische ehemalige Parteichef der Millionenstadt Chongqing, der vor kurzem noch als aussichtsreicher Kandidat für einen Posten in der Parteispitze gehandelt wurde, ist von der Kommunistischen Partei aus dem Politbüro und dem Zentralkomitee geworfen worden. „Genosse Bo wird wegen schwerwiegender Verletzungen der Disziplin ausgeschlossen“, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am Dienstag. Sein Fall wird von der mächtigen Zentralen Disziplinkommission der KP untersucht, die sich vor allem mit Korruptionsfällen beschäftigt. Gleichzeitig machte die Nachrichtenagentur polizeiliche Ermittlungen öffentlich, die gegen Bos Ehefrau Gu Kailai und den Angestellten Zhang Xiaojun laufen – wegen Mordverdachtes.

„Gu Kailai und Zhang Xiaojun sind bereits den juristischen Organen als Verdächtige in einem Fall von vorsätzlicher Tötung überstellt worden“, schreibt Xinhua. Die Ehefrau und der Mitarbeiter sollen aus geschäftlichen Gründen in den Mord an dem Briten Neil Heywood verwickelt sein. Der 41 Jahre alte Heywood war auch eng mit Bo Xilais Sohn Bo Guagua verbunden, der in China vor allem wegen seiner ausschweifenden Partys Bekanntheit erlangt hat. „Aufgrund von wirtschaftlichen Interessen sind die Spannungen (zwischen Heywood und Bo Xilais Ehefrau, Anmerkung der Redaktion) allmählich angestiegen“, will Xinhua von Ermittlern erfahren haben. Der Tod des Briten war zunächst auf übermäßigen Alkoholkonsum zurückgeführt worden. Jetzt wird der Fall von der chinesischen Polizei neu untersucht.

Inzwischen erscheint auch Wang Lijuns mysteriöse Flucht in das US-amerikanische Konsulat von Chengdu in einem neuen Licht. Die spektakuläre Aktion des abgesetzten Polizeichefs von Chongqing hatte im Februar den Politskandal erst ausgelöst. Wang Lijun hatte offenbar seinen Vorgesetzten und langjährigen Freund Bo Xilai mit dem Verdacht konfrontiert, dessen Ehefrau könnte etwas mit dem Tod des Briten zu tun haben. Daraufhin ließ Bo Xilai den Polizeichef fallen, der sich wiederum bedroht gefühlt haben muss.

Längst hat sich ein mysteriöser Kriminalfall entwickelt, der jedem britischen Krimiautoren zur Ehre gereichen würde. Nach Recherchen der Londoner Zeitung „Guardian“ arbeitete der Brite in China für eine Beratungsfirma, die von ehemaligen Beamten des britischen Geheimdienstes MI6 gegründet worden ist. Doch auch die politischen Folgen des Falles sind noch nicht überschaubar. Die Causa Bo Xilai stürzt Chinas Kommunistische Partei im Jahr des Machtwechsels in die tiefste Krise seit der gewaltsamen Niederschlagung der Demokratiebewegung im Jahr 1989.

Offensichtlich tobt in der KP Chinas hinter den Kulissen ein Machtkampf zwischen den Anhängern Bo Xilais, der die Neue Linke vertritt, und den Wirtschaftsreformern um Premierminister Wen Jiabao sowie Guangdongs Parteichef Wang Yang. Der geplante harmonische Machtwechsel an der Parteispitze im kommenden Herbst scheint völlig aus dem Ruder zu laufen.

Zuletzt hatten unbestätigte Gerüchte über einen Putschversuch in Peking Chinas Internetzensoren auf den Plan gerufen. Offenbar um die Nachrichtenhoheit zu behalten, veröffentlichte Xinhua zeitgleich mit der Meldung von Bos Sturz einen Leitartikel der „Volkszeitung“, dem Sprachrohr der KP. Der Titel lautete: „Kräftige Unterstützung für die richtige Entscheidung des Zentralkomitees der Partei“. Darin wird die Entscheidung als Beweis dafür gewürdigt, dass vor dem chinesischen Gesetz jeder gleich sei, „egal wie hoch seine Position ist“. Chinas Internetnutzer, welche die Nachricht auf den Mikroblogs sofort heiß diskutierten, sehen das zum Teil etwas anders. „Meine Schlussfolgerung ist, dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird“, lautet ein Kommentar, der auf der Internetseite „Tea Leaf Nation“ dokumentiert ist.

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