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Politik und Wirtschaft: Eine Liaison mit Tücken

Landespolitik und Wirtschaft sind eng aufeinander angewiesen. Das ist nicht nur in Niedersachsen so. Der Fall Wulff zeigt aber auch: Zu viel Nähe ist riskant. Worin bestehen die Gefahren?

Landesregierungen wollen und sollen die einheimische Wirtschaft fördern. Das setzt gute Kontakte voraus. Aber da beginnt eine Gratwanderung, der nicht jeder Regierungschef gewachsen ist.

War der Nord-Süd-Dialog in Niedersachsen und Baden-Württemberg eine Grenzüberschreitung der Landesregierungen?

Es war das Jahr 2007. In Stuttgart schickte sich der kleine, aber feine Sportwagenhersteller Porsche unter seinem Chef Wendelin Wiedeking an, die große Mainstreamschwester Volkswagen AG zu übernehmen. Über 30 Prozent der Anteile hatte Porsche schon zusammengesammelt, bald sollten es über 50 Prozent sein. Zu den VW-Großaktionären gehörte das Land Niedersachsen, aufgrund des VW-Gesetzes in einer europarechtlich fragwürdigen Sonderstellung dank einer nicht überstimmbaren zwanzigprozentigen Sperrminorität. Ohne das Land ging nichts bei VW, und das hieß: Ohne Christian Wulff, den Ministerpräsidenten, ging nichts. Freilich war das Sonderrecht des Landes 2007 in Gefahr, im Oktober entschied der Europäische Gerichtshof, dass das VW-Gesetz gegen EU-Recht verstößt. In Hannover musste man erkennen, dass das Kernunternehmen des Landes demnächst von Stuttgart aus regiert werden könnte, dass der eigene Einfluss schwinden würde, dass möglicherweise auch ein gewisser Günther Oettinger, damaliger Ministerpräsident in Baden-Württemberg, irgendwie mitreden würde. Also hieß es wohl in der Staatskanzlei Wulffs: Was tun?

Eine Idee aus jener Zeit scheint der Nord-Süd-Dialog gewesen zu sein, eine große, formell privat organisierte Verständigungsparty mit Prominenz aus beiden Ländern. Im Dezember 2007 stieg die Sause mit 600 Gästen in Hannover, ein Jahr darauf in Stuttgart, dann nochmals in Hannover. Olaf Glaeseker, der niedersächsische Regierungssprecher, hatte eine Aufgabe, Wulff eine Schirmherrschaft, der in der Politik bundesweit bestens vernetzte Eventmanager Manfred Schmidt ein Geschäft. Wulff sagte damals zum Zweck der Veranstaltung: „Wenn ich den niedersächsischen DGB-Vorsitzenden Hartmut Tölle, Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und den VW-Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh zusammen beim Glas Wein erwische und es mir gelänge, mit Ferdinand Piëch dazuzustoßen, wäre es ein gelungener Abend.“

Es ging also um Landschaftspflege unter Regionaleliten, um den Versuch, wirtschaftliche und politische Entscheidungsträger Niedersachsens und Baden-Württembergs zusammenzubringen. Mit einer Prise Glitter, es sollte ja nicht langweilig werden – Schauspieler, alternde Rockstars, Bundesligakicker waren auch geladen. Ein bisschen höfische Gesellschaft. Eventmanager Schmidt kannte sich da aus. Die Sache war finanziell erfolgreich, neben VW und Porsche sponserte eine ganze Reihe von Regionalfirmen, Schmidt machte offenbar ein ordentliches Plus (und richtete später auch eine kleine Party aus Anlass von Wulffs Wahl zum Bundespräsidenten in Berlin aus). Glaeseker verbrachte bald darauf mehrfach seinen Urlaub in Ferienhäusern Schmidts, mit Frau, kostenlos. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Bestechlichkeit im Amt.

Sind Landesregierungen generell anfällig für Kungeleien mit Unternehmen?

Die große Plauderparty namens Nord-Süd-Dialog ist sicher ein besonders groß angelegtes, aber nicht überraschendes Beispiel für das enge Miteinander von Politik und Wirtschaft in den Ländern (in Nordrhein-Westfalen übrigens sollte eine ähnliche Veranstaltung gemeinsam mit den Bayern 2010 stattfinden). In den Ländern geht diese Symbiose von Politik und Wirtschaft mitunter recht weit, Landespolitik bringt das so mit sich. Es geht anders zu als im Bund und in Europa. In Brüssel und Berlin ist Politik vor allem das technokratische Geschäft von Regierungsspitzen, Superbürokraten und Vertretern der Großverbände. Man hat spezifische Interessen, man kommt zusammen und geht wieder auseinander. Es geht um Gesetzgebung, die großen Linien. Big government.

In den Landeshauptstädten ist Politik dagegen ein pragmatisches Tagesgeschäft, bei dem auch viel Geld verteilt wird – für Wirtschaftsförderung und staatliche Investitionen. Vieles spielt sich ab in einer in aller Regel relativ überschaubaren Gruppe von Leuten, die sich kennen und sich nicht gut aus dem Weg gehen können. Es menschelt mehr auf der Landesebene, im Guten wie im Schlechten. Small world. Klüngel und Cliquen haben es dort ein bisschen leichter. In Niedersachsen, wo der Staat als Unternehmer bei einem Weltkonzern dick mitspielt, möglicherweise noch ein wenig mehr.

Ob Hannover, München, Mainz oder Erfurt – Landespolitik ist überall ein vielfältiger politisch-ökonomischer Komplex, in dem persönliche Kontakte, unmittelbare Gespräche, das direkte Gehörtwerden bei den Mächtigen eine große Rolle spielen. Man hat ein gemeinsames Ziel: Das Regionalunternehmen namens Baden-Württemberg oder Niedersachsen in dem großen Spiel des globalen Standortwettbewerbs möglichst gut zu positionieren. Wulff selbst nannte sich einmal „Vorstandsvorsitzender von Niedersachsen“. Regionale Strukturpolitik, das große Vernetzen aller Politikbereiche, von der Wirtschaftsförderung über die Infrastruktur bis zur Wissenschafts- und Schulpolitik,das ist die Kunst der Landespolitik. Dabei mischen nicht nur Unternehmer mit, die regionalen Gewerkschaftschefs, der Landtag – auch Bürgermeister, Landräte oder Hochschulpräsidenten müssen eingebunden werden. Bürgerinitiativen nicht zu vergessen.

Welche Rolle spielen dabei die Regierungschefs?

Wer bei den Ministern nicht weiterkommt, der wendet sich an die Staatskanzlei, die Machtzentrale, um die sich die gesamte Landespolitik dreht. Der Ministerpräsident ist der große Moderator in diesem regionalen Netzwerk. Sie sind daher mächtige Männer und Frauen, unsere Ministerpräsidenten, die zwar gern als Provinzfürsten belächelt werden, aber gerade wegen ihrer tragenden Rolle daheim mit der Zeit doch ziemlich viel Selbstbewusstsein aufbauen. Sie sind mehr als nur die Chefs von Regionalregierungen, sie sind kleine Staatsoberhäupter, oberste Repräsentanten ihrer Länder, deren Außenminister und Chefvermarkter.

Über den Bundesrat reden sie auf der nationalen Ebene mit, auch in Brüssel haben sie einen Fuß in der Tür. Jeder Ministerpräsident macht in seiner Amtszeit mehrfach Exkursionen in die weite Welt, an der Spitze einer größeren oder kleineren Karawane von Unternehmensrepräsentanten, um Werbung zu machen für seine Region, Investoren zu gewinnen, Geschäftsbeziehungen anzubahnen, Produkte zu verkaufen.

Das gehört zu ihrem Geschäft, es wäre naiv zu glauben, dass die Wähler das nicht erwarten. Und wenn es daheim nicht rund läuft, wenn Firmen gerettet werden müssen, wer steht in vorderster Front? Der Ministerpräsident. Arrogant sollte man nicht sein in diesem Amt. Auch kleine Gelegenheiten muss man nutzen. Eine Rede bei einem Marmeladenhersteller? Warum nicht, vielleicht bringt das einen neuen Standort, einige Arbeitsplätze. Oder man kann verhindern, dass solche verloren gehen. Der kleine Mittelständler muss dem Ministerpräsidenten so wichtig sein wie der Kanzlerin ihr Ackermann. Und wer möchte nicht alles den Ministerpräsidenten als Schirmherrn haben – bis hin zum Landespresseball. So viel Wichtigkeit kann schon mal zu Kopf steigen.

Worin liegen die Risiken solch enger Verquickung von Politik und Unternehmen?

Events wie der Nord-Süd-Dialog gehören zum modernen Politikmarketing. Moderieren, zusammenführen, Anstöße geben – wo könnte das besser funktionieren als bei inszenierten Veranstaltungen, erst recht dann, wenn die Staatskanzlei offiziell oder halbamtlich dahintersteht. Kongresse sind ein weiteres Mittel, am besten zu Zukunftsthemen (Demografie etwa machte sich in den letzten Jahren immer gut).

Der Ministerpräsident lässt eine kluge Rede schreiben, die Visionen formuliert oder mindestens gute Absichten. Dazu kommen Aktionswochen oder Kampagnen, Landesfeste, Ministeriumsfeten, die Sommerpartys der Landesvertretungen, auch die Parteitage, die selbst auf Landesebene immer mehr inszeniert werden. Das alles kostet Geld, man hat es nicht, im Landtag sitzt die missgünstige Opposition (die, wenn sie regiert, es natürlich auch nicht anders macht), also müssen Sponsoren ran, und das heißt: die regionale Wirtschaft. Man hilft ihr ja auch ständig. So entwickelt sich jener Nährboden aus politischem Interesse und der Einbindung privater Geldgeber, aus der ungute Verquickungen sprießen können.

Das Dasein als Ministerpräsident ist stets ein Hochseilakt. Die Gefahr liegt darin, dass das Moderieren und Zusammenführen hinübergleitet in willkürliches oder gezieltes Verteilen von Gunst und Gefälligkeiten. Dass man zu enge Bande knüpft. Zu große Abhängigkeit von einzelnen Akteuren aber kann der Karriere schaden, ja sie ruinieren. Selbst Vertrauten darf man nicht zu sehr trauen. Fast jeder Ministerpräsident hat in seiner Karriere mal Affären auszusitzen, in denen es um zumindest fragwürdiges Gebaren geht, und häufig hängt das zusammen mit möglicherweise zu engen Kontakten zu bestimmten Investoren, Unternehmern, Sponsoren.

Matthias Platzeck in Potsdam zum Beispiel ist da ein gebranntes Kind, er muss sich immer wieder gegen Filzvorwürfe wehren. Lothar Späth ist einst über eine „Traumschiff-Affäre“ gestolpert (Schippern in der Ägäis auf Kosten eines Unternehmens im Land), Max Streibl in Bayern über seine Amigo-Affäre (Gefälligkeiten für einen „befreundeten“ Luftfahrtunternehmer), Gerhard Glogowski in Niedersachsen über den Vorwurf der Vorteilsnahme (Privatfete von Brauerei gesponsert).

Doch die meisten Ministerpräsidenten kamen ohne große Skandale über die Runden. In welche Gruppe gehört nun Christian Wulff?

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