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Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer liegen die humoristischen Auftritte näher als der Kanzlerin.

© Foto: Oliver Dietze/dpa

Politischer Aschermittwoch in Demmin: Kramp-Karrenbauer übernimmt in der Heimat der Kanzlerin

Angela Merkel wird abgelöst – jetzt auch bei der Aschermittwochsrede im vorpommerischen Demmin.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Der Politische Aschermittwoch in Demmin zählte bisher eher zu den Pflichtterminen, die die dorthin entsandten Korrespondenten gemeinhin als Strafbefehl empfanden. In der Kleinstadt im Vorpommerischen bewies Angela Merkel Jahr um Jahr, dass sie auf Auftritte als Starkrednerin selbst zum Karnevalsausklang keinen Wert legte. Im vorigen Jahr hörte das von der Landes-CDU geladene Publikum in der Tennishalle wieder einen Fachvortrag, diesmal über die Vorzüge des frisch verhandelten Koalitionsvertrags mit der SPD. Und es hörte einen wohlbekannten Satz zum Schluss: „Ich bin überzeugt: Wir schaffen das.“

Dass das der letzte Satz der CDU-Vorsitzenden Merkel an dieser Stelle sein würde, ahnten damals weder Rednerin noch Zuhörer. Dass er ein Jahr später noch stärker nachklingen könnte, ahnte überhaupt niemand. Denn der Demminer Aschermittwoch findet wieder statt, nur ohne Festrednerin Merkel. Dafür kommt ihre Nachfolgerin in die Kanzlerinnen-Heimat. Annegret Kramp-Karrenbauer ist nicht nur eine erprobte Karnevalistin. Die CDU-Chefin hat dem „Schaffen“-Satz der Vorgängerin bekanntlich auch einen Nachsatz hinzugefügt: Als „Ultima Ratio“ in einer zukünftigen Flüchtlingskrise schloss sie Grenzschließungen nicht aus.

Seither freut sich der Merkel-kritische Teil der Union, wie’s die Neue der Alten gegeben habe – endlich Schluss mit Willkommenskultur! Allzu laut fällt die Freude allerdings nicht aus. Umgekehrt ist von Merkel-Freunden auch kein nennenswerter Protest zu hören, eher erntet man auf Nachfragen ein Schulterzucken. Beides hat seinen Grund. Bei genauerem Hingucken erweist sich die vermeintliche Wende in der Asylpolitik als weniger rasant, als sie zunächst erscheint.

Denn Kramp-Karrenbauer hat nicht nur den berühmten „Tagesthemen“-Satz nach dem CDU/CSU-„Werkstattgespräch“ zur Migration gesagt, sondern selbst dort noch einige mehr. Die lassen die Distanz zwischen Kanzlerin und CDU-Vorsitzender dann doch wieder erheblich schrumpfen.

Das fängt beim Ergebnis des Werkstattgesprächs an. In dem Abschlusspapier findet sich der Grenz-Satz im Kern wieder: Die Rede ist von „andere(n) politische(n) Entscheidungen“, darunter „in der letzten Konsequenz, wenn notwendig auch im Hinblick auf Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen.“ Doch schon dort wird daran erinnert, dass sowohl die deutsche Gesetzeslage als auch der Rahmen in Europa sich seit 2015 „stark weiterentwickelt“ habe und „dadurch“ jene anderen Entscheidungen möglich würden.

In dem Fernsehinterview wurde Kramp-Karrenbauer konkreter. Grenzschließungen ja, aber: „Wir haben auch seit dem vergangenen Sommer im Übrigen eine andere Situation. Die Kanzlerin hat ja in Europa verhandelt, dass man auch auf Grundlage von Vereinbarungen mit Nachbarstaaten darüber reden kann.“

Das spielt auf Merkels letzten Streit mit Horst Seehofer an. Der Bundesinnenminister wollte Flüchtlinge, die in anderen EU-Ländern schon registriert sind, an der Grenze zurückweisen lassen; die Kanzlerin bestand darauf, dass die Bundespolizei das nicht ohne Weiteres darf. Der Kompromiss lautete dann: Zurückweisung ist möglich in solche Staaten, die sich vertraglich mit dem Verfahren einverstanden erklären.

Kramp-Karrenbauer war damals als CDU-Generalsekretärin nicht nur maßgeblich an diesem Kompromiss beteiligt. Sie hat auch massiv für eine europäisch abgestimmte Lösung geworben. Außengrenzländer wie Italien dürften nicht einfach allein gelassen werden. Es gehe „um so etwas wie eine Schicksalsfrage, die darüber entscheidet, ob Europa auch in Zukunft stark beieinander bleiben kann“. Seehofers Alleingang, schrieb die Saarländerin sogar an die CDU-Mitglieder, „droht Europa weiter zu spalten und zu schwächen“.

Seehofer grollte gleich zurück, er lasse sich nicht als beschränkten „Provinzfürst“ hinstellen. Aber die Frau aus dem deutsch-französischen Grenzland an der Saar unterstützte Merkels Widerstand gegen nationale Alleingänge aus Überzeugung. Dass auch an die in der Unionswerkstatt vereinbarte „intelligente Grenzüberwachung bis hin zu Zurückweisungen“ an „Brennpunkten“ nur im Einklang mit europäischem Recht gedacht werden kann, hat sie seither mehrfach gegenüber Gesprächspartnern verdeutlicht.

Zu öffentlichen Klarstellungen, heißt es in der CDU, gebe es keinen Grund; wer lesen und in Mediatheken nachhören wolle, könne das ja ungehindert tun. Vielleicht spielt da auch die taktische Überlegung mit hinein, dass es den Parteifreunden bei den Landtagswahlen im Osten im Herbst ganz gelegen kommen könnte, ohne großes Wenn und Aber die Möglichkeit der Grenzschließung hochzuhalten.

Die Probe aufs Exempel droht ohnehin nicht. Insofern, merkt einer aus dem Merkel-Lager an, sei es wohlfeil, wenn Kramp-Karrenbauers „Ultima Ratio“ des Jahres 2019 gegen Merkels „Wir können die Grenzen nicht schließen“ von 2015 gestellt werde – hypothetische Maßnahme gegen chaotische Realität.

Die wirkliche Distanz zwischen der Neuen und der Alten liegt in den Worten. „Grenzen schließen“ käme Merkel nicht über die Lippen. Aber Merkel fiele es ja auch nicht ein, im Kittelschürzen-Kostüm im Karneval aufzutreten. „Viel geschwätzt und nichts beschlossen“, bescheinigte AKK als „Putzfrau Gretel“ von der Saar aus denen in Berlin. Das galt aber ausdrücklich den Regierenden.

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