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Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen in Stuttgart

© dpa/Sebastian Gollnow

Update

Proteste gegen Corona-Beschränkungen: Politiker warnen vor Vereinnahmung durch Radikale

Tausende Menschen haben am Wochenende gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert. Politiker fürchten, dass Extremisten die Proteste ausnutzen könnten.

Nach den bundesweiten Demonstrationen gegen die Corona-Restriktionen haben Vertreter verschiedener Parteien vor einer Vereinnahmung der Proteste durch Extremisten gewarnt. "Wir lassen nicht zu, dass Extremisten die Corona-Krise als Plattform für ihre demokratiefeindliche Propaganda missbrauchen", sagte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak in einem Interview mit der "Augsburger Allgemeinen".

Nach einer Videoschalte des CDU-Präsidiums am Montag hieß es aus der Partei: Zwar sei das Recht auf Demonstration ein hohes Gut und stehe nicht in Frage, Demonstrationen ohne Distanz untereinander und ohne Distanzierung von mitlaufenden Extremisten seien aber besorgniserregend.

SPD-Chefin Saskia Esken sagte, wer die Pandemie leugne und zum Verstoß gegen Schutzvorschriften aufrufe, nutze die Verunsicherung der Menschen "schamlos" aus. "Wegschauen und Schweigen hilft nicht. Hier müssen wir gegenhalten und uns als streitbare Demokraten erweisen", sagte Esken Zeitungen der Funke Mediengruppe. 

Die Verbreitung falscher Botschaften zur Corona-Pandemie ziele darauf ab, "die Gesellschaft zu destabilisieren und zu spalten", sagte Esken.

Am Wochenende hatten tausende Menschen in Berlin, Stuttgart, München und anderen deutschen Städten gegen die Corona-Beschränkungen demonstriert. Dabei wurden wiederholt die Auflagen zum Infektionsschutz missachtet.

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Ziemiak sagte weiter, zwar nehme die CDU als Volkspartei die Sorgen der Bürger immer ernst. Aber klar sei auch, "dass wir konsequent gegen diejenigen vorgehen, die jetzt die Sorgen der Bürger mit Verschwörungstheorien anheizen und Fake News in Umlauf bringen". Diesem "verantwortungslosen Handeln" werde die Regierung "weiter mit Transparenz, Aufklärung und Informationen" entgegentreten.

BKA-Chef: Verschwörungstheoretiker kapern die Proteste

Nach den Worten des Chefs des Bundeskriminalamts, Holger Münch, hätten Verschwörungstheoretiker das Thema Coronavirus , „dankend aufgenommen“. Mit dem Aufkommen von Demonstrationen hätten vor allem Akteure aus dem rechten Spektrum versucht, die Proteste des bürgerlichen Lagers, das von den Corona-Maßnahmen belastet sei, zu kapern, sagte Münch.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass das zu einem wirklich ernsthaften Problem werden kann, steigt mit der Abnahme der Akzeptanz der Maßnahmen einerseits oder der Frage, ob wir ein wirklich großes wirtschaftliches Problem gerade für viele Bundesbürger bekommen.“

Damit die Proteste kein Besorgnis erregendes Ausmaß annähmen, sei Aufklärung sehr wichtig, sowohl über das Coronavirus als auch über Möglichkeiten zu wirtschaftlicher Unterstützung, sagte Münch. Zwar sei die Unzufriedenheit noch nicht so groß wie in der Flüchtlingskrise. Er halte es aber für möglich, dass es eine ähnliche Entwicklung geben könne.

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Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz nannte es legitim, Maßnahmen infrage zu stellen und Unmut zu äußern. „Aber es laufen all jene mit, die das System grundsätzlich infrage stellen und Politiker insgesamt für Marionetten von George Soros und Bill Gates halten“, kritisierte er in der „Welt“. 

Auch Thüringens FDP-Chef Kemmerich protestierte

An den Protesten hatte sich am Samstag auch der Thüringer FDP-Chef und kurzzeitige Ministerpräsident Thomas Kemmerich beteiligt. Auf Bildern war zu sehen, wie er in Gera ohne Mundschutz dicht neben anderen Teilnehmern lief. FDP-Chef Christian Lindner übte scharfe Kritik: „Wer sich für Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie einsetzt, der demonstriert nicht mit obskuren Kreisen und der verzichtet nicht auf Abstand und Schutz.“

FDP-Vorstandsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte Kemmerichs Parteiaustritt. Der räumte einen Fehler ein.

Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Ute Vogt, nannte den Protest gegen die Corona-Maßnahmen in der "Welt" ein "gefundenes Fressen" für Rechtsradikale. Sie versuchten, die Unzufriedenheit mit den Auflagen für sich auszunutzen.

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Kretschmann reagiert gelassen

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) reagierte dagegen gelassen auf die Proteste, die unter anderem in Stuttgart stattfanden. Das müsse die Meinungsfreiheit aushalten. „Wir machen nichts falsch. Aber man kann nicht erwarten, dass alle Menschen in einer Demokratie einer Meinung sind“, sagte Kretschmann am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. „Es ist ihr gutes Recht, dagegen zu protestieren.“ Die Politik richte sich in der Corona-Krise trotzdem weiter nach dem Rat von Wissenschaftlern. 

Die Einschränkungen würden Schritt für Schritt gelockert, die Gefahr sei aber noch nicht vorbei. Alle müssten weiterhin sehr vorsichtig sein.
Die Proteste führte Kretschmann auch auf den Erfolg der Maßnahmen zurück. „Man nennt das das sogenannte Vorsorge-Paradoxon: In dem Maße, wie das, was Sie machen, auch wirksam wird, in dem Maße schwindet einfach auch etwas die Einsicht, dass man sich noch weiter an diese scharfen Maßnahmen halten soll, weil sie haben ja schon gewirkt.“ 

Ähnlich äußerte sich Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). „Die Proteste sind das gute legitime Recht der Menschen“, sagte Ramelow der „tageszeitung“. Zugleich warnte er: „Bei diesen Kundgebungen ist derzeit viel Unwahrheit und Motivation aus ganz anderen politischen Suppen dabei.“

Ramelow: „Diese selbsternannten Spaziergänger“

Es sei schwierig, auf diese Proteste zu reagieren, räumte der Ministerpräsident ein: „Wie soll ich denn auf diese haltlosen Verschwörungen reagieren? Wie soll ich auf Impfgegner reagieren, wenn es gar keine Debatte über einen Impfzwang gibt, oder überhaupt erst ein Impfmittel?“

Man könne nur akzeptieren, „dass diese Menschen unterwegs sind“. Man müsse allerdings auf der Hut sein, „wo sich 'Pegida' und AfD, bürgerliche Sorgen und Existenzsorgen vermischen, das ist toxisch“, betonte Ramelow. Dies dürfe man nicht unterschätzen.

Er sorge sich vor allem vor der „Verharmlosung und Leichtsinnigkeit, die diese selbsternannten Spaziergänger da gerade betreiben“, sagte der Ministerpräsident weiter. Im thüringischen Sonneberg etwa behaupteten die Demonstranten, dass das Virus nicht vorhanden sei, „und gleichzeitig müssen wir wegen der Krankheitsfälle die Klinik schließen“. Diese Gleichzeitigkeit alarmiere ihn und mache ihm Angst.

Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) kündigte laut "Welt" an, dass Demonstranten künftig bei Verstößen gegen die Corona-Schutzvorschriften mit der Auflösung des Protests rechnen müssten.

Justizministerin: Bedenken und Sorgen anhören

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat im Zusammenhang der Proteste die politischen Entscheidungsträger aufgerufen, Beschränkungen der Grundrechte im Kampf gegen die Corona-Pandemie besser zu begründen. Es sei wichtig, sich die Bedenken und Sorgen der Bürger hinsichtlich der Einschränkungen anzuhören "und sie nicht einfach abzutun", sagte Lambrecht am Sonntagabend im ARD-"Bericht aus Berlin". Die Maßnahmen gegen die Pandemie zu begründen sei "eine Aufgabe, die wir noch mehr wahrnehmen müssen".

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Zugleich verteidigte die SPD-Politikerin die gegenwärtigen Einschränkungen. "Es geht nicht darum, irgendjemand eine Freiheit zu nehmen, sondern es geht weiterhin darum, Gesundheit und Leben zu schützen", sagte sie. "Und das, was wir mittlerweile erreicht haben, jetzt nicht leichtfertig zu verspielen."

Die derzeitigen Einschränkungen der Grundrechte seien aber zeitlich begrenzt, der Staat dürfe sie nicht länger aufrechterhalten als unbedingt notwendig. Sie sei "froh, dass jetzt Versammlungen wieder möglich sind" - "gerade in einer so schwierigen Zeit".

Meinungsfreiheit und deren Ausübung in Form von Demonstrationen sei wichtig für die Demokratie, sagte Lambrecht. Andererseits müssten sich die Demonstranten auch an der Eindämmung des neuartigen Coronavirus beteiligen, indem sie Mundschutz trügen und Abstandsregeln einhielten. 

Die AfD hingegen verteidigt die Proteste. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit gelte auch in Krisenzeiten, erklärte Fraktionschef Alexander Gauland. „Und in einer funktionierenden Demokratie ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Bürger ihre Ablehnung oder ihr Unbehagen über das Handeln der Regierung gewaltfrei auf die Straße tragen.“ Die zunehmende Kritik von Politikern und Medien an den Demonstrationen sei daher unverhältnismäßig, erklärte er. (Tsp, dpa, AFP)

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