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Dogan Akhanli.

© wikimedia

Prozess mit vielen Fragezeichen: Autor Akhanli in Istanbul auf der Anklagebank

Er plante einige Tage Haft ein - nun drohen ihm Jahre. In Istanbul steht der deutsch-türkische Autor Dogan Akhanli vor Gericht. Er soll 1989 an einem Raubüberfall teilgenommen haben - die Beweise dafür sind allerdings dürftig.

Als Dogan Akhanli seine erste Reise in die Türkei seit fast 20 Jahren vorbereitete, um seinen herzkranken Vater zu besuchen, rechnete er gleich zwei oder drei Tage Haft mit ein. Schließlich hatte der Autor als Linker und Opfer des türkischen Putsches von 1980 seine Erfahrungen mit der Justiz seines Heimatlandes. „Er flog an einem Montag und dachte, bis Freitag sei er dann wohl raus und bei seinem Vater“, sagte Akhanlis Lebensgefährtin Ulla Kux dem Tagesspiegel. Wie erwartet, wurde er bei seiner Ankunft in Istanbul festgenommen. Doch aus dem eingeplanten Kurzaufenthalt hinter Gittern wurden fast vier Monate, und es könnten Jahre werden. Vom heutigen Mittwoch an muss sich Akhanli in Istanbul vor Gericht verantworten: Der 53-Jährige soll 1989 an einem tödlichen Raubüberfall in Istanbul teilgenommen haben.

„Völlig absurde Vorwürfe“, sagen dazu er selbst und sein Anwalt. Akhanli habe erst zwei Jahre nach dem Überfall von seiner angeblichen Beteiligung erfahren, sagt Kux. Zwar beantragte die Türkei bei den deutschen Behörden nie seine Auslieferung. Doch aus Erkundigungen in der Türkei gewann Akhanli den Eindruck, dass die nationalistisch geprägte Justiz auf eine Gelegenheit wartete, mit ihm abzurechnen.

Nach dem Staatsstreich der Generäle am 12. September 1980 wurden zehntausende Menschen festgenommen, tausende wurden gefoltert. Der Druck richtete sich vor allem gegen die türkische Linke; auch Akhanli kam ins Gefängnis. 1991 floh er nach Deutschland und wurde als politischer Flüchtling anerkannt. Die Türkei entzog ihm die Staatsbürgerschaft; die deutsche erhielt er 2001. Akhanli schrieb Bücher, engagierte sich für den interkulturellen Dialog und setzte sich auch für die Aufarbeitung des Genozids an den türkischen Armeniern ein.

Seine Anwälte verweisen auf die dürftige Beweislage. Ein ehemaliger Zeuge der Anklage sagt heute, er habe Akhanli noch nie gesehen, ein anderer berichtet, er habe unter Folter ausgesagt.

„Es gibt keine Beweise“, sagte auch die Menschenrechtlerin Eren Keskin. Keskin und andere Intellektuelle, darunter Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk, fordern die sofortige Freilassung Akhanlis. Auch aus Deutschland haben sich Unterstützer gemeldet, zu ihnen gehört auch der Journalist und Autor Günter Wallraff.

Das Urteil der Richter der elften Kammer des Istanbuler Schwurgerichtes ist schwer vorhersehbar. Traditionell fühlt sich die Justiz zuallererst dem Schutz des Staates verpflichtet, während Menschenrechte oder internationale Rechtsnormen eher eine untergeordnete Rolle spielen.

Akhanli will im Prozess nur seine Personalien nennen, ansonsten schweigen. Sein Vater starb am vergangenen Wochenende, ohne dass er ihn noch einmal sehen durfte.

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