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Ein Glas Bier statt ein Besuch beim Psychotherapeuten? Für diese These erntete GBA-Chef Josef Hecken heftige Kritik.

© dpa

Psychisch Kranke: Funktionär empfiehlt Bier statt Therapie

Man brauche nicht immer einen Psychotherapeuten, manchmal könne auch eine Flasche Bier helfen. Das zumindest meint Josef Hecken, der Vorsitzende jenes Gremiums, das über die Leistungen der Krankenkassen entscheidet.

Für flapsige Äußerungen ist Josef Hecken bekannt. Doch in einer Gremiensitzung ist der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern aus der Sicht von Betroffenen nun eindeutig zu weit gegangen. Nicht „neben jedem Bürger“ benötige man einen Psychotherapeuten, sagte der Mann, der darüber zu entscheiden hat, welche Leistungen von den gesetzlichen Kassen bezahlt werden. Eine Flasche Bier tue es manchmal auch.

Nachzulesen ist die Äußerung im Protokoll einer Sitzung des Krankenkassen-Spitzenverbandes, das dem Tagesspiegel vorliegt. Gefallen ist sie im Zusammenhang mit der Forderung nach mehr Kassensitzen für Psychotherapeuten. Und Hecken bestreitet sie auch gar nicht, er bezeichnet seine Formulierung lediglich als „unglücklich, weil missverständlich“. Es liege ihm „fern, psychische Erkrankungen zu verharmlosen oder gar Alkoholgenuss als probate Alternative zu psychotherapeutischer Behandlung zu bezeichnen“, versichert der frühere CDU-Politiker, saarländische Gesundheitsminister und Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, der vor vier Jahren sogar für den Job des Bundesgesundheitsministers gehandelt wurde.

Geharnischter Protestbrief gegen Bierflaschen-Metapher

Mit seiner Äußerung habe er nur zum Ausdruck bringen wollen, „dass ich als Privatperson nicht jede Befindlichkeitsstörung wie zum Beispiel gelegentliche Einschlafprobleme als krankhaften und sofort behandlungsbedürftigen Zustand ansehe, sondern mir dann manchmal als altes und überliefertes Hausmittel eine Flasche erwärmten Bieres hilft“.

Dass es bei psychisch Erkrankten, die in Deutschland oft monatelang auf einen Therapieplatz warten müssen, nicht um „gelegentliche Einschlafprobleme“ geht, haben dem Spitzenfunktionär dann andere klarmachen müssen. Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Rainer Richter, zum Beispiel, der Hecken nach Aussage von Beteiligten „deutlich“ die Meinung geigte. Es sei alles andere als professionell, hieß es dort, wenn der GBA-Chef in seinem Ärger über die Bedarfsplanung „über alle psychisch Kranken herfällt“. Und unter den praktizierenden Psychotherapeuten kursiert ein geharnischter Protestbrief. „Sie bagatellisieren und ignorieren mit Ihrer Bierflaschen-Metapher die Not unserer Patienten und stigmatisieren subtil Menschen mit schweren psychischen Störungen“, heißt es darin.

"Heftiger Ausrutscher"

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, Dieter Best, nannte die Bier-Empfehlung Heckens einen heftigen Ausrutscher – gerade mit Blick auf den Zusammenhang von Depression und Alkoholabhängigkeit. Schlimmer noch sei aber dessen Äußerung, dass es „ein Kardinalfehler“ gewesen sei, den Zugang zur Psychotherapie ohne Arztüberweisung zu ermöglichen. Vor dieser Änderung im Jahr 1999 seien viele psychisch Kranke nicht zu der dringend benötigten Psychotherapie gekommen, sondern von vorgeschalteten Ärzten mit Medikamenten ruhig gestellt worden, sagte Best dem Tagesspiegel. Es sei ein Riesenfortschritt für die Betroffenen, dass dieser Filter beseitigt wurde. Und erschreckend, dass der Chef des Gremiums, das den Bedarf an Psychotherapeuten mitdefiniert, dies ganz anders sehe.

Laut Bundespsychotherapeutenkammer arbeiten in Deutschland knapp 23 000 Psychotherapeuten. Bis Patienten bei ihnen einen Termin bekommen, dauert es im Schnitt mehr als drei Monate. In ländlichen Regionen ist die Wartezeit noch zwei Wochen länger. Studien zufolge hat sich die Zahl derer, die sich wegen psychischer Störungen krankschreiben lassen oder in Frührente gehen, in den vergangenen Jahren massiv erhöht. Jede achte Krankschreibung basiert inzwischen auf diesem Hintergrund – ein Anstieg von 74 Prozent seit 2006. Und die Krankheitskosten dafür belaufen sich auf mehr als 28 Milliarden Euro pro Jahr.

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